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Deutsche NahostpolitikVerlogen und verloren

Gastkommentar von Hanna Al-Taher und Benjamin Schütze

Die Verurteilungen von Trumps Gaza-Plänen aus Deutschland sind scheinheilig. Denn die hiesige Politik unterstützt Israels Vorgehen.

Die Zerstörung im Gazastreifen ist immens Foto: Jehad Alshrafi/ap/dpa

N achdem US-Präsident Trump angekündigt hatte, den Gazastreifen zu „übernehmen“ und rund 2 Millionen Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen nach Ägypten und Jordanien „umzusiedeln“, dauerte es nicht lange, bis Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Achtung des Völkerrechts anmahnte und Trumps Vertreibungspläne als Völkerrechtsverbrechen verurteilte. Diese Anmahnung erscheint fast grotesk, denn Deutschland scheint kein grundlegendes Problem mit Völkerrechtsverbrechen zu haben: Die Genehmigung der Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Israel im Wert von 94 Millionen Euro zwischen August und Oktober 2024 wiegt schwerer als Worte.

Angesichts fortlaufender Exporte deutscher Rüstungsgüter in ein Land, dessen Kriegsführung der Internationale Gerichtshof (IGH) auf Völkermord prüft, sind deutsche Rufe zur Achtung des Völkerrechts verlogen. Trumps Vertreibungspläne stehen nicht im Widerspruch zu deutscher Politik, sondern wären ihre logische Fortführung. Im Laufe der vergangenen eineinhalb Jahre hatte die deutsche Regierung nur formaljuristische Probleme mit Israels Zerstörung des Gazastreifens und der Ermordung von mindestens 62.614 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen.

Israels genozidale Intentionen und Pläne zur Vertreibung sind so offensichtlich, dass jegliche Leugnung dessen einer Beleidigung des Intellekts gleichkommt. Israelische Po­li­ti­ke­r*in­nen formulieren ihre Absichten deutlich und handeln dementsprechend. Der Anspruch deutscher Regierungen, sie könnten sowohl Unterstützer des Völkerrechts als auch Israels sein, kann über die ihm zugrundeliegende Hybris nur noch Abscheu hervorrufen.

Als Empfehlung zur Sicherung angestrebter Politikkohärenz möchte man Ver­tre­te­r*in­nen des deutschen Staates zurufen, doch endlich einzugestehen, dass ihnen das Völkerrecht im Falle Israels und Palästinas egal ist. Das Festhalten an einer Zweistaatenlösung ist ein weiteres Beispiel für die Orientierungslosigkeit und Realitätsferne deutscher Nahostpolitik. Je­de*r halbwegs informierte Be­ob­ach­te­r*in weiß, dass dies keine Lösung ist.

Dass es sich um einen Konflikt zwischen zwei ebenbürtigen Parteien handelt, ist ein Irrglaube

Das beharrliche Zurückscheuen davor, Siedlungsbau, Siedlergewalt, die systematische Zerstörung palästinensischer Häuser und Dörfer und andauernde Vertreibung mit Sanktionen zu beantworten, trägt mindestens Mitschuld an dem Unmöglichmachen palästinensischer Existenz. Im besetzten Westjordanland leben völkerrechtswidrig rund 700.000 israelische Siedler*innen. Der Irrglaube, es handle sich um einen Konflikt ebenbürtiger Parteien und nicht, wie vom IGH im Juli 2024 festgehalten, um eine illegale Besatzung, ist ein weiteres Element im Ensemble deutscher Verlogenheit.

Die deutsche Unterstützung der genozidalen Politik und die Indifferenz gegenüber einem immer gewaltsameren Besatzungsregime wird komplementiert durch willentliche Ignoranz gegenüber den regionalen Implikationen. Jordanien etwa nimmt seit 1946 Millionen Geflüchtete aus umliegenden Ländern auf. Die Mehrheit der Bevölkerung hat eine Fluchtbiografie. Palästinensische Geflüchtete in Jordanien, die laut UN-Resolution ein Recht auf Rückkehr haben, besitzen größtenteils eine jordanische Staatsangehörigkeit. In diesem Kontext ist das Land einer der Hauptempfänger deutscher „Entwicklungszusammenarbeit“.

Hanna Al-Taher

ist Politikwissenschaftlerin und Dozentin für Politische Theorie.

Benjamin Schütze

ist Leiter einer Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am Arnold-Berg­straesser-­Institut in Freiburg.

Als Großbritanniens vermutlich erfolgreichstes Kolonialprojekt ist Jordanien noch heute abhängig von Hilfszahlungen, willentlicher Stützpunkt für US-amerikanischen Imperialismus – auch für 150 deutsche Sol­da­t*in­nen – und, trotz fehlender Unterstützung der Bevölkerung, verlässlicher Sicherheitspartner Israels. US-amerikanische Sol­da­t*in­nen dürfen ohne Kontrolle ein- und ausreisen und in jedem Ministerium befinden sich europäische oder US-amerikanische Ex­per­t*in­nen für vermeintlich technische Fortbildungsprogramme.

Demokratieförderprogramme tragen dabei eher zur Konsolidierung autoritärer Regierungspraktiken bei – so sind auch Lobpreisungen auf Jordanien als vermeintlich reformorientierter Stabilitätsanker zu verstehen. Sie ignorieren seit der Staatsgründung die systematische Unterdrückung oppositioneller, insbesondere palästinensischer Ak­teu­r*in­nen – und zeigen, dass westliche Unterstützung für Jordanien nicht missverstanden werden darf als Interesse an der Sicherheit oder politischen Teilhabe der Bevölkerung.

Eine Veränderung der Nahostpolitik ist unwahrscheinlich

Für die USA und Europa ist Jordanien kaum mehr als ein Auffangbecken für Geflüchtete aus Ländern, die mit ihrer Hilfe in Kriegsgebiete verwandelt wurden. Die Länder der Region teilen sich in zwei Kategorien auf: Die einen – Palästina, Libanon, Syrien – werden von Israel bombardiert und sind teils besetzt. Die anderen – Ägypten und Jordanien – sind Zielländer für Vertreibungspläne.

Dabei konterkariert die Mischung aus deutscher Unterstützung für und gleichzeitiger Indifferenz gegenüber einem zunehmend aggressiv-expansiven Israel das angebliche Interesse an der Achtung des Völkerrechts oder der Menschenwürde. Die zunehmenden Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit, das Scheitern der deutschen Nahoststudien, die Genozidverharmlosung in deutschen Medien und das Fehlen einer einzigen etablierten politischen Partei, die internationales Recht ernst nimmt und sich kohärent solidarisch mit Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen zeigt, machen eine Veränderung deutscher Nahostpolitik unwahrscheinlich.

Deutschland unterstützt einen mutmaßlichen Genozid und es mangelt an Bereitschaft, ein Waffenembargo sowie ein Ende der Besatzung zu verlangen und umzusetzen. Das zeigt, dass es sich bei Forderungen nach Achtung des Völkerrechts, wie denen des Bundespräsidenten, nur um verlogene Bemühungen zur Selbstdarstellung handelt. Was Taten betrifft, ist deutsche Nahostpolitik genozidal und pro-ethnischer Säuberung. Nur wird es weniger offen formuliert als von Trump.

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2 Kommentare

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  • Selbst wenn man annehmen würde, Israel sei der finsterste, böseste Staat auf Erden (obwohl in Wirklichkeit die in Israel lebenden Araber viel mehr Rechte haben als in jedem arabischen Land) - so, wie es die Hamas macht, geht es nicht. Ein Gazastreifen mit politischer, religiöser und wirtschaftlicher Freiheit hätte zu einer prosperierenden Riviera werden können. Die Anerkennung der Existenzrechte von jüdischen Menschen und des - nun einmal existierenden - Staates Israel wäre der erste Schritt. Ein gesunder Konkurrenzkampf mit dem jüdischen Staat würde dem palästinensischen Volk viel mehr Erfolg - und internationalen Respekt - einbringen als der blinde Hass auf jüdisches Leben, wie zuletzt am 7. Oktober 2023. Hoffen wir auf Einsicht und das Ruhen von Waffen auf beiden Seiten, und natürlich auf die baldige Freilassung der israelischen Geiseln.

  • "Trumps Vertreibungspläne stehen nicht im Widerspruch zu deutscher Politik, sondern wären ihre logische Fortführung"

    Das ist doch eher Polemik und wird dem Thema nicht gerecht. Gleiches gilt für den Hinweis das eine Leugnung von Israels genozidalen Absichten eine Beleidigung für den Intellekt darstellt Für wessen Intellekt? Für meinen jedenfalls nicht. Zur Zementierung des Arguments dann ein Link zu Al Jazeera zu einem doch eher mageren Beitrag.

    Auch zum Thema deutsche Waffenlieferungen wird zwar zurecht auf das Leid der palästinensischen Seite verwiesen, aber ausgeblendet das Israel nicht nur von wohlgesinnten Nachbarn umgeben ist, die nicht lange zögern würden den Staat von der Landkarte zu tilgen, sobald er seine Verteidigungsfähigkeit einbüßt.

    Das ist alles zu unausgegoren, zu desinformiert und vor allem zu einseitig und leider sorgt die Tonalität des Textes zudem dafür, dass die berechtigten Einwände der Autoren infolge dessen bei mir keinen Zugang mehr finden.

    Unterm Strich bleibt ein Wutartikel der exemplarisch dafür steht, warum sich die Fronten in der Region immer weiter verhärten.