Bundestagsdebatte zur Ukraine-Krise: Eiszeit ohne Olaf
Nach Spott und Häme wegen des Versands von 5.000 Schutzhelmen nach Kiew verteidigt Baerbock das deutsche Vorgehen. Der Kanzler schweigt sich aus.
Eine schöne Vorlage für Friedrich Merz. Der designierte CDU-Chef gibt den Oppositionsführer in der Debatte, die seine Fraktion beantragt hatte. Er hätte sich „durchaus vorstellen können, dass Sie als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu dieser Lage eine Regierungserklärung abgeben“, sagt er in Richtung Scholz. Vom Regierungschef erwarte er eine klare Lageeinschätzung im Parlament, eine Initiative auf internationaler Ebene und eine klare Antwort an Moskau. „An der deutschen Entschlossenheit darf kein Zweifel entstehen“, sagt Merz. „Und diese Zweifel sind da.“
Das ist einerseits ein bisschen komisch: Es ist keine zwei Wochen her, da riet der CDU-Chef in spe als erster deutscher Spitzenpolitiker davon ab, Russland im Fall eines neuen Angriffs auf die Ukraine vom internationalen Zahlungsverkehr auszuschließen. „Wir sollten Swift unangetastet lassen“, sagte er damals. Das aber, erklärt er am Donnerstag später in der Bundestagsdebatte, habe er ganz anders gemeint. Und andererseits trifft Merz mit seiner Kritik, ob sie nun konsistent ist oder nicht, einen wunden Punkt.
Tatsächlich hält sich Scholz öffentlich ja weitgehend zurück, wenn es um erste kritische Stimmen aus dem Ausland in seiner Amtszeit geht. Und tatsächlich steht die Bundesregierung in westlichen Partnerstaaten in der Kritik ob ihres angeblichen Zauderns gegenüber Moskau.
Der polnische Ministerpräsident Morawiecki macht sich Sorgen über „die Reaktionen unserer Nachbarn in Deutschland angesichts der Bedrohung aus Russland“, im US-Kongress gibt es parteiübergreifende Allianzen gegen die Bundesregierung und ihr Festhalten an Nord Stream 2. Und der ukrainische Botschafter in Deutschland, im Ton nicht immer diplomatisch, besteht auf deutsche Waffen für die Ukraine.
Lieferung von Schutzausrüstung „fatales Signal“
Die gibt es aber weiterhin nicht. Kiew bekommt, wie schon länger vereinbart, ein von Deutschland bezahltes Feldlazarett und, wie am Mittwoch verkündet, 5.000 Schutzhelme. Die Linke-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali bezeichnete die Lieferung von Schutzausrüstung prompt als „fatales Signal“ und redete von „Säbelrasseln“. Ansonsten löste die Ankündigung allerdings von vielen Seiten Spott aus, hatte sich die ukrainische Regierung doch weit mehr und weit tödlicheres Material gewünscht.
Für die Bundesregierung verteidigt am Donnerstag im Bundestag statt des Kanzlers die Außenministerin das deutsche Vorgehen. „Wir erleben eine Zeit, in der markige Sprüche gut klingen, aber Steilvorlagen für heftigste Konsequenzen sein könnten“, sagt Annalena Baerbock. Dass es verschiedene Herangehensweisen innerhalb der Nato gebe, sei kein Problem, ganz ähnlich wie im Sport: „In einem Team braucht es keine elf Mittelstürmerinnen, die alle dasselbe machen.“
Waffenlieferungen lehne sie weiterhin ab, um nicht „Türen zur Deeskalation zu verschließen“. Ansonsten stehe Deutschland der Ukraine aber durchaus bei – mit enormen Finanzhilfen über die letzten Jahre zum Beispiel oder ganz neu bei der Instandsetzung von Schutzbunkern bei Odessa. Die Ukraine habe da um Unterstützung gebeten, am Freitag finde eine erste Erkundungsreise statt.
Bei neuer Aggression: Sanktionen
Und auch die Zweifel Friedrich Merz’ will Baerbock zerstreuen. Im Falle eines neuen Angriffs Russlands auf die Ukraine würde die Bundesregierung ihr zufolge geschlossen mit den westlichen Partnern Sanktionen verhängen: „Bei neuer Aggression steht uns eine Bandbreite an Antworten zur Verfügung, inklusive Nord Stream 2.“
Einigkeit beschwören in dieser Angelegenheit alle Verantwortlichen unentwegt, am Vortag übrigens auch US-Außenminister Blinken während einer Pressekonferenz in Washington. Die Bundesregierung nahm er dort in Schutz. Bei seinem Besuch in Deutschland habe er sowohl mit Baerbock als auch mit Scholz lange geredet. Er sehe allerorten „sehr starke Solidarität“ in Bezug auf mögliche Konsequenzen gegenüber Russland, auch in Deutschland.
Lars Klingbeil, Co-Chef der SPD
Im Bundestag ist es am Donnerstag ein paar Minuten nach Baerbock dann allerdings Lars Klingbeil, der die feinen Differenzen hinter all der Einigkeit aufblitzen lässt. „Wir brauchen Klarheit und Konsequenz, wenn die russische Seite die Grenze überschreitet“, sagt zwar auch er. Anders als Baerbock nimmt er den Begriff „Nord Stream 2“ aber nicht in den Mund und wird auch sonst nicht konkret. Denn: „Wir brauchen nicht jeden Tag Drohungen.“ Solange Russland keinen Angriff startet, „konzentrieren wir uns doch bitte darauf, über Frieden zu reden“.
Solche Gespräche, immerhin, finden im Moment auch statt. Kam es in der letzten Woche zu Besuchen auf Ministerebene, unter anderem mit Baerbocks Reise nach Kiew und Moskau, so ist in dieser Woche die Arbeitsebene dran. In Paris trafen sich am Mittwoch Vertreter von Frankreich, Deutschland, der Ukraine und Russland. Für die Bundesregierung nahm Jens Plötner, der außenpolitische Berater des Kanzlers, teil.
Gespräche verliefen zäh
Es war seit Monaten das erste Vierertreffen in diesem Normandie-Format, in dem seit Jahren über die Umsetzung der Befriedungsabkommen für die Ostukraine verhandelt wird. Achteinhalb Stunden saßen die Diplomaten am Mittwoch zusammen, was schon zeigt, wie zäh die Gespräche verliefen. Am Ende einigten sie sich nur auf die Minimalformel, dass alle Seiten die Einhaltung des Waffenstillstands unterstützen. Immerhin: Sie reden miteinander. In zwei Wochen soll es mit einem Treffen in Berlin weitergehen.
In diesem Format geht es allerdings um vergleichsweise kleine Fragen, die Lage in den ukrainischen Separatistengebieten. Die großen Fragen, die russischen Forderungen nach Sicherheitsgarantien sind eine andere Baustelle. In dieser Woche schickten die USA und die Nato ihre Antworten an Moskau. Das Versprechen, die Ukraine nicht in das westliche Militärbündnis aufzunehmen, ist erwartungsgemäß nicht enthalten. Gesprächsbedarf wird es also auch hier noch geben. Vielleicht redet dann ja auch Olaf Scholz mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel