Bürgergeld und Lohnabstand: Neid muss ernst genommen werden
Wer arbeitet, hat deutlich mehr Geld als Bürgergeldempfänger:innen, sagen neue Zahlen. Die Politik muss dennoch mit wachsender Missgunst umgehen.
D ie neueste Rechnung kommt vom WSI-Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung: Ein Single, der in Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, hat ab 2024 im Monat 532 Euro mehr zur Verfügung als ein Mensch in vergleichbarer Konstellation, der nur vom Bürgergeld lebt. Eine vierköpfige Familie mit einem Vollzeitverdiener zum Mindestlohn hat bis zu 634 Euro mehr als ein vergleichbarer Haushalt im Bürgergeldbezug.
Arbeit lohnt sich, auch noch 2024, auch noch zum Mindestlohn – das ist die Botschaft, die einige Sozialpolitiker:innen der Ampelregierung erst mal aufatmen lässt. Denn die relativ deutliche Anhebung der Regelsätze im Bürgergeld zum Jahr 2024, eine Folge der Inflation, hat vielerorts die Befürchtung geweckt, jetzt könne sie wieder so richtig losgehen, die Debatte über die zu hohen Sozialleistungen, die angeblich Menschen zur Faulheit verleiten und Mindestlöhner mit Vollzeitjob als Trottel dastehen lassen. Dabei steigen mit dem Anheben der Regelsätze auch die Ansprüche von Erwerbstätigen auf aufstockendes Bürgergeld.
Allerdings gibt es bestimmte Konstellationen, in denen die Einkommensunterschiede zwischen den Bezieher:innen von Sozialleistungen einerseits und den Erwerbstätigen andererseits nahezu wegfallen. Das kann etwa der Fall sein, wenn man Vergünstigungen wie kostenloses Schulessen, Beitragsfreiheit in der Kita und andere Erleichterungen verliert, sofern man bestimmte Einkommensgrenzen für Bürgergeld oder Kinderzuschlag knapp überschreitet. Diese Einzelfälle fördern die toxische Erzählung über die angeblich privilegierten Bürgergeldbezieher:innen.
Mit solchen Narrativen werden wir uns künftig mehr herumschlagen müssen. Denn die Inflation triggert die Unzufriedenheit gerade auch der geringer verdienenden Mittelschichtmilieus über eine schwindende Kaufkraft, und das kann einen Sozialstaat zersetzen. Mit der Anhebung des Bürgergelds steigt daher auch der Druck, Löhne zu erhöhen und soziale Angebote breit zugänglich zu machen. Wie die Politik mit diesem Druck umgeht und die Unzufriedenen mitnimmt, ist die Frage der Zukunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen