Bomben auf ukrainische Getreidesilos: Ein lange geplanter Angriff
Der ukrainische Militärgeheimdienst veröffentlicht ein Papier, wonach Russland alle ukrainischen Getreideexporte verhindern will.
Das geheime Papier richtet sich an Russlands politische und militärische Führung und legt Regeln für die Arbeit der russischen Vertreter im Gemeinsamen Koordinierungszentrum in Istanbul fest. Die Einrichtung des Zentrums ist Bestandteil der sogenannten „Schwarzmeer-Initiative“, die nach Vermittlung der Türkei und der UNO am 22. Juli 2022 in Kraft trat und den Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer sicherstellen soll.
Zur Sabotage dieses Vorhabens seien laut dem Dokument mehrere Hebel eingesetzt worden. Die vorübergehende Aussetzung des Abkommens zwischen dem 29. Oktober und 3. November 2022 habe dazu geführt, dass die Exporte von 4,2 Millionen Tonnen (Oktober) auf 2,6 Millionen Tonnen (November) gefallen seien.
Die Anzahl von Schiffen sei reduziert, Registrierungen sowie Inspektionen verzögert worden. Den niedrigsten Stand hätten die Exporte im Zeitraum zwischen dem 19. März und dem 17. Juli 2023 erreicht: 7,8 Millionen Tonnen. „Das gesammelte Archiv-Wissen wird es ermöglichen, bei der Lösung derartiger Probleme eine hohe Effizienz in kürzester Zeit zu erreichen“, heißt es in dem Bericht weiter.
Keine gute Aussicht für Getreideabkommen-Verlängerung
Am 17. Juli hatte Russland seine Entscheidung bekannt gegeben, das Getreideabkommen nicht zu verlängern – es sei denn zu seinen Bedingungen. Dazu gehört unter anderem, die hauseigene Agrarbank wieder an den internationalen Zahlungsverkehr Swift anzuschließen. Das würde eine Lockerung der Sanktionen bedeuten. Kyjiw hatte daraufhin angekündigt, die Exporte fortsetzen zu wollen und sich um alternative Lieferrouten zu bemühen.
Am Dienstag hieß es in Moskau, man sehe vorerst weiter keine Möglichkeit, das Getreideabkommen mit der Ukraine wieder aufzunehmen. Ein entsprechender Vorschlag von UN-Generalsekretär António Guterres sei nicht auf die Hauptbeschwerde Russlands eingegangen, dass es keine Fortschritte beim Abkommen gegeben habe.
Stattdessen wird der Plan des Kreml weiter abgearbeitet. Massiven Bombardements von Odessa und Mykolajiw, bei denen vor allem Hafenanlagen und Getreidesilos zerstört wurden, folgten in der Nacht zu Montag erstmals Angriffe auf ukrainische Häfen an der Donau beziehungsweise auf die Städte Reni und Ismajil, nicht weit entfernt von der Grenze zum Nato-Mitglied Rumänien und zur Republik Moldau. Der Angriff auf Reni erfolgte mit iranischen Drohnen.
Andrei Sizow vom russischen Webportal für Agrarfragen Sowekon, den der russischsprachige Dienst der BBC zitiert, spricht von einer schnellen Eskalation der Ereignisse. Die Angriffe auf die Donauterminals seien ein größeres Ereignis als jene auf Odessa, die vorhersehbar gewesen seien. Die Donau sei eine wichtige Exportroute mit einer monatlichen Umschlagkapazität von mehr als 2 Millionen Tonnen, schrieb Sizow auf Twitter.
Auch Angriffe unter falscher Flagge geplant?
Alarmiert zeigte sich auch Rumäniens Staatschef Klaus Johannis, der den Angriff verurteilte und von ernsthaften Sicherheitsrisiken im Schwarzen Meer sprach. „Diese Eskalation wirkt sich auch auf den künftigen Getreidetransit aus der Ukraine aus und folglich auf die globale Ernährungssicherheit“, schrieb er in den sozialen Netzwerken.
Laut dem US-Nachrichten- und Medienunternehmen Bloomberg seien bereits jetzt erste konkrete Auswirkungen der Angriffe festzustellen. So seien beispielsweise die Börsenpreise für Weizen in Chicago spürbar gestiegen – für einen Scheffel (27,2 Kilogramm) um 2,6 Prozent auf 7,7 US-Dollar.
Unterdessen machte sich der Sprecher des State Departments, Matthew Miller, über ein weiteres Szenario Gedanken. Washington lägen Informationen vor, wonach Russland Operation unter falscher Flagge vorbereite, sagte er bei einer Pressekonferenz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen