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Wael Aljasim sieht seine Frau und seine Kinder seit drei Jahren nur per Video-Chat Foto: Sebastian Wells

Asylrechtsverschärfungen„Ich vermisse meine Familie!“

Union und SPD wollen den Familiennachzug für Schutzsuchende einschränken. Was macht das mit Menschen, deren Kindern tausende Kilometer entfernt leben?

W ael Aljasim geht es nicht gut. Als er seine jüngste Tochter das letzte Mal sah, war sie gerade geboren. Heute ist sie ein Kleinkind. Seine Frau hat Angst. Sie und die vier Kinder verlassen ihre Wohnung in Kairo kaum, kein Kindergarten, keine Schule. Zu groß die Angst, mit der abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis erwischt und zurück nach Syrien gebracht zu werden. Seine älteste Tochter weint fast täglich. Am Telefon sagt sie ihrem Vater in Berlin: „Du sollst uns ein Flugticket organisieren. Wir wollen zu dir kommen.“

Wael Aljasim ist 29 Jahre alt, aber sieht älter aus. Er trägt einen hellgrauen Jogginganzug, schüttelt zur Begrüßung sanft die Hand und stellt sich vor, auf Deutsch. Dabei blickt er seinem Gegenüber gerade ins Gesicht. Dann erzählt er seine Geschichte mithilfe eines Übersetzers.

Wael Aljasim kommt aus Idlib, in Syrien. Er verließ seine Heimat im September 2022, floh über die Türkei und die Balkanstaaten nach Deutschland. Als Geflüchteter aus einem Bürgerkriegsland gewährte ihm die Bundesrepublik subsidiären Schutz. Heute lebt Aljasim in Berlin, arbeitet in einem Logistiklager, abends lernt er Deutsch. „Ich arbeite, aber ich kann mich nicht gut konzentrieren“, sagt er. Seine Gedanken seien bei seiner Frau und bei seinen Kindern. Auch im Deutschkurs sei das so. „Ich stehe morgens auf, aber ich habe keine Energie“, sagt er. Als er von der Entscheidung hörte, war das eine Katastrophe.

Union will harte Migrationspolitik umsetzen

Die Entscheidung, das ist die Einigung der schwarz-roten Bundesregierung, den Familiennachzug für Menschen unter subsidiärem Schutz in Deutschland für zwei Jahre auszusetzen. So steht es im Koalitionsvertrag und so soll es am Freitag im Bundestag beschlossen werden. Damit setzt die Union das um, was sie im Wahlkampf versprochen hatte: eine harte Migrationspolitik.

Schutzstatus

Eritreer in Deutschland Die meisten Menschen aus Eritrea kamen ab 2011 nach Deutschland. Zwischen 2011 und 2020 waren es 64.486 Personen, die allermeisten kamen als Geflüchtete. Familiennachzügler sind in dieser Zahl auch enthalten. Im Jahr 2020 lebten 75.000 Menschen mit eritreischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. 2022 waren es 82.000.

Subsidiärer Schutz Die Rechtsprechung zum Schutzstatus hat sich in den Jahren 2015 bis 2017 stark verändert. Vorher bekamen die allermeisten Eritreer vollwertiges Asyl. Seitdem erhalten pro Jahr 70 bis 90 Prozent lediglich einen subsidiären Schutzstatus.

Nicht nur die AfD, auch die FDP und die Union hatten es in den Wochen vor der Bundestagswahl geschafft, Migration nach Deutschland und vor allem die Einreise von Schutzsuchenden als unkontrollierbares Sicherheitsrisiko zu framen. Die Anschläge von Magdeburg und Aschaffenburg gaben ihnen vermeintlich allen Anlass dazu.

Ende Januar schlug sich die Stimmung gegen Migration auch deutlich in Umfragen nieder. Laut In­fratest dimap wollten 68 Prozent der Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt, dass Deutschland weniger Geflüchtete aufnimmt. Ganze 85 Prozent meinten, dem Staat gelinge die Kontrolle über Zuwanderung nicht gut. Friedrich Merz, zu dem Zeitpunkt noch nicht Bundeskanzler, inszenierte sich als Retter in der Not. Der Partei- und Fraktionsvorsitzende der CDU entwarf einen Fünfpunkteplan für eine härtere Migrationspolitik und verabschiedete ihn mit Stimmen von FDP und AfD.

Union und SPD führen dauerhafte Grenzkontrollen ein

Den Alltag der Kinder hält Wael Aljasims Frau auf Fotos für ihn fest Foto: Sebastian Wells

Auf die gemeinsame Abstimmung mit den Rechtsextremen folgten Massenproteste, ­trotzdem wurde die Union bei der kurz darauf folgenden Bundestagswahl am 23. Februar stärkste Kraft. In den Koalitionsverhandlungen mit der SPD ­gelang es ihr, sich mit ihrem harten Migrations­kurs durchzusetzen. Nach ­Amtsantritt von ­Kanzler Merz wurden dauerhafte ­Grenz­kontrollen wiedereingeführt, Menschen, die bei ihrer Einreise nach Deutschland um Asyl bitten, werden jetzt zurückgewiesen – trotz rechtlicher Bedenken. Und nun soll der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt werden.

Im März 2025 lebten laut Ausländerzentralregister 388.074 von ihnen in Deutschland. Wie viele noch ihre Kernfamilie im Ausland haben und nachholen möchten, ist nicht bekannt. Bisher durften 1.000 Menschen pro Monat über die Familienzusammenführung nach Deutschland kommen.

Bei minderjährigen Kindern durften die Eltern nachziehen, nicht aber die Geschwister. Bei einem eingereisten Elternteil durften der Ehepartner und die Kinder aus dem Ausland folgen. Wenn Kinder 18 Jahre alt werden, erlischt dieses Recht für sie beidseitig. Für Jugendliche, die in den nächsten zwei Jahren volljährig werden, wird das Wiedersehen mit ihren Eltern auf diesem Wege also unmöglich.

Mit Ausnahme von Härtefällen sollen keine Verwandten von subsidiär Schutzberechtigten mehr über den Familiennachzug nach Deutschland kommen. Die Maßnahmen folgen dem Ziel, Migration nicht mehr nur zu steuern, sondern zu begrenzen. Mit der neuen Regierung gilt also: Zahlen drücken, wo es nur geht.

Wael Aljasim berichtet von syrischen Menschen in Kairo, die sich aus Verzweiflung wegen der neuen Regelung das Leben genommen haben. Viele warten dort auf den Familiennachzug. Waels Frau Batoul Alshaaeiri floh mit den drei Töchtern Taybaa, Fatima und Taslim und ihrem Sohn Abdul Jabaar vor etwa einem Jahr in die ägyptische Hauptstadt. Vor ihrer Ankunft registrierte sich die Familie schon auf der Warteliste für einen Termin bei der deutschen Botschaft vor Ort, um dort ihren Familiennachzug zu beantragen. Bei der Botschaft im Kriegsland Syrien geht das nicht mehr. Alle Syrer müssen dafür erst irgendwie nach Kairo, Amman, Beirut oder Erbil kommen.

Die Wartezeit für so einen Termin bei der Botschaft beträgt in Kairo bis zu zwei Jahre. Batoul Alshaaeiri bekam im März dieses Jahres die E-Mail: Sie hatte einen Termin, für den 6. Mai! Wenn man den einmal hat und alle nötigen Dokumente mitbringt, ist man eigentlich auf der Zielgeraden. Dann dauert es meist nur noch wenige Monate, bis der Flieger nach Deutschland abhebt. Doch es gab ein Problem: Der Termin war für den 6. Mai des vergangenen Jahres ausgestellt. Für 2024. Batoul Alshaaeiri ging trotzdem hin, aber wurde abgewiesen. Es musste ein Fehler vorliegen.

Was passiert mit Familien wie dieser, die ohne organisatorische Fehler der Behörden vielleicht schon in Deutschland wären? Sind sie vom Stopp des Familiennachzugs ausgenommen? Werden gestellte Anträge noch ausgeführt? Die Gesetzesänderung soll ab dem Tag nach der Verkündung in Kraft treten. Heißt das, ab Samstag ist endgültig Schluss?

Wael Aljasim sorgt sich sehr um seine Frau und seine Kinder

Seit Jahren erhalten Eritreer in Deutschland fast nur den subsidiären Schutzstatus. Damit ist es schwierig, Familie nachzuholen Foto: Florian Boillot

Wael Aljasim sorgt sich sehr um seine Frau und seine Kinder in Ägypten. „Syrer sind nirgendwo willkommen“, sagt er. „Nicht im Libanon, nicht in Jordanien, nicht in der Türkei, nicht in Kairo.“ Er wolle in Deutschland leben und bleiben. Hier habe er als Geflüchteter Rechte. „Ich bin bereit, alles dafür zu tun, aber die Regierung soll mich und meine Familie auch ein bisschen unterstützen.“ Eins verstehe er nicht: Es gibt ein Gesetz, wonach anerkannte Flüchtlinge ihre Kinder und Frauen nachholen dürfen, aber die Leute mit subsidiären Schutz dürfen das nicht. „Warum?“, fragt er. „Das sind doch auch Frauen und Kinder!“

Anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskommission (GFK), das sind Menschen, die in ihren Heimatländern verfolgt werden. Wegen ihrer persönlichen Eigenschaften wie „Rasse“, Religion, Nationalität, Identität oder wegen ihrer politischen Überzeugung. Menschen, die nicht in diese Kategorie fallen, denen aber in ihren Heimatländern ernsthafter Schaden droht, zum Beispiel wegen eines Bürgerkrieges oder wegen unmenschlicher Behandlung, bekommen, wie Wael Aljasim, meist subsidiären Schutz.

Diese Unterscheidung ist wichtig. Denn die erste Gruppe hat ein Recht auf Familiennachzug, das weder begrenzt ist, noch ohne Weiteres ausgesetzt werden kann. Die zweite nicht.

Syrer sind nirgendwo willkommen. Nicht im Libanon, nicht in der Türkei, nicht in Kairo

Wael Aljasim

Familiennachzug wird seit zehn Jahren immer wieder eingeschränkt

Ein kurzer Rückblick: Im August 2015, dem Sommer, als Rekordzahlen an Geflüchteten nach Deutschland kamen und damals noch weitgehend freundlich empfangen wurden, durften zunächst auch subsidiär Schutzberechtigte Familiennachzug beantragen. Das war unter der schwarz-roten Regierung von Angela Merkel. Vorher hatten nur Asylberechtigte und GFK-Flüchtlinge dieses Recht.

Doch diese Gleichstellung hielt nicht lange an. Schon im März 2016 setzte dieselbe Regierung den Familiennachzug von Menschen unter subsidiärem Schutz schon wieder aus, für zwei Jahre. Ab 2018 galt dann eine Kontingentregelung: 1.000 Familienmitglieder von subsidiär Schutzberechtigten durften pro Monat ins Land kommen. Mehr nicht. Die spätere Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP wollte diese Ungleichbehandlung der Geflüchteten eigentlich wieder aufheben. Aber das tat sie nie.

Laut Angaben der Bundesregierung wurden erst ab 2023 die Kontingente voll ausgeschöpft. Es kamen in den Jahren 2023 und 2024 also etwa 12.000 Menschen pro Jahr über den Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten nach Deutschland.

Für Familie Bahta hat die Familienzusammenführung endlich geklapp

Für Familie Bahta aus Eritrea hat die Familienzusammenführung 2022 alles verändert. Sie lebt heute in einer Dachgeschosswohnung am Stadtrand von Berlin. Im Kinderzimmer sitzen beim Besuch der taz die 14- jährige Helen und die 12-jährige Fiona an ihrem rosa Schreibtisch und lernen. Mathe und Englisch. Über den Köpfen der beiden hängt eine Diddl-Maus aus Stoff an der Wand. Ihre echten Namen und die der restlichen Familie wurden auf Wunsch der Eltern hin verändert.

Eritrea, ein kleines Land am Horn von Afrika, wird wegen massiver Menschenrechtsverletzungen auch das „Nordkorea Afrikas“ genannt. Viele fliehen von dort vor dem jahrelangen Nationaldienst, der Zwangsarbeit im Militär, auf Plantagen oder Baustellen bedeutet. Für Männer endet er erst mit der Arbeitsunfähigkeit, bei Frauen bei der ersten Schwangerschaft. „Die Bedingungen waren menschenunwürdig“, berichtet Helen und Fionas Vater Nguse, der mit 16 Jahren eingezogen wurde. Nachts musste er im Freien auf dem Boden schlafen. Er habe während der Zeit dort viele Menschen sterben sehen. „Sie verhungerten, starben an Krankheiten oder wurden beim Versuch der Flucht erschossen.“

2015 gelang ihm dann selbst die Flucht. Er floh er mit seinem Bruder und dessen Familie nach Deutschland. Für die Flucht seiner eigenen Frau und Kinder reichte das Geld nicht.

Nguse Bahta fand in Berlin Arbeit in einer Gärtnerei. Er bekam den subsidiären Schutzstatus, wie die meisten Eritreer in Deutschland. Doch es dauerte noch fast sieben Jahre, bis er seine Frau Almaz, sowie seine Kinder Helen, Fiona und ihren Bruder Yonas wiedersehen konnte.

Für den Antrag auf Familiennachzug mussten Nguses Frau und Kinder erst einmal ihr Land verlassen, denn auch in Eritrea gibt es keine vollwertige deutsche Botschaft. 2018 gingen sie nach Äthiopien. Almaz wartete in Adis Abeba sieben Monate auf ihren Termin, um alle Dokumente abzugeben. Deren Prüfung dauert Jahre. Für Familia Bahta waren es vier, was, verglichen mit anderen eritreischen Familien, wenig ist. Die Kinder gingen in der Zeit dort zur Schule, wurden aber wegen der fremden Sprache einige Klassen zurückversetzt.

Es dauerte fast sieben Jahre, bis Nguse Bahta seine Frau Almaz sowie seine drei Kinder wiedersehen konnte

Demos für das Recht auf Familiennachzug

Was machte Nguse derweil in Berlin? „Arbeiten gehen und mich um meine Familie sorgen“, erzählt er heute der taz. Als 2020 in Äthiopien Krieg ausbrach, hatte er Angst vor Überfällen auf seine Frau und Kinder. Zweimal hat Nguse in dieser Zeit im Berliner Regierungsviertel für das Recht auf Familiennachzug demonstriert, zusammen mit etwa 1.000 anderen Eritreern. „Ich vermisse meine Familie!“, hatten die Männer im Chor gerufen, als sie vor dem Auswärtigen Amt standen. Deutschland müsse doch verstehen, dass Familien zusammenleben wollen und dass er sich während der Trennung sehr um seine Frau und Kinder gesorgt habe, sagt er heute.

2022 war es so weit. „Ich war einfach nur glücklich, als ich endlich in das Flugzeug steigen konnte. Das war besser als jeder Geburtstag“, sagt der achtzehnjährige Yonas. „Wir sind nachts geflogen, alles war dunkel. Ich habe geschlafen, konnte nicht aus dem Fenster sehen. Als ich wach wurde, war das ein neues Leben.“ Fiona wollte nach dem Flug lange Zeit Pilotin werden – „weil Piloten Familien zusammenbringen können.“

Wenn Mutter Almaz heute lernt, sitzt sie am Küchentisch. Sie macht eine Ausbildung zur Altenpflegerin. „Das ist mein Wunschberuf“, sagt sie. In Eritrea hat sie ihre Großmutter, mehrere Tanten und Onkel gepflegt. „Ich helfe gern alten Menschen.“ Hätte sie nicht sieben Jahre auf den Familiennachzug warten müssen, hätte Deutschland mit ihr bereits eine dringend benötigte Altenpflegerin mehr, ganz ohne Anwerbeprogramm. Es macht Almaz glücklich, jetzt zusammen mit ihrem Mann zu erleben, wie die Kinder aufwachsen. Dass der Familiennachzug ausgesetzt wird, stimmt sie aber traurig für eine Freundin, die seit 13 Jahren mit ihrem Kind in Äthiopien auf die Familienzusammenführung wartet.

„Eine ex­trem hohe Belastung für alle Familienmitglieder“

Benjamin Etzold ist Migrationsforscher am Bonn International Centre for Conflict Studies. Was Wael Aljasim gerade durchmacht, und die Familie Bahta schon hinter sich gebracht hat, beobachtet er vielfach in seiner Forschung. „Ich habe Menschen kennengelernt, die persönlich gebrochen sind, psychisch kollabiert, weil sie über Jahre von ihren Kindern getrennt sind. Das ist eine ex­trem hohe Belastung für alle Familienmitglieder, die oft zu Depressionen und Krankheiten führt.“

Das wirke sich auch auf ihre Integration aus. „Viele haben nicht die Energie dafür, gut Deutsch zu lernen und eine Ausbildung zu machen oder zu arbeiten. Dazu sind viele erst wirklich bereit, wenn ihre Familie bei ihnen ist.“ Auch Studien der Berliner Charité, des Schweizerischen Roten Kreuzes und der Robert Bosch Stiftung belegen, dass eine Trennung von der Familie zu Stress, Ängsten und Integrationsproblemen führen kann.

„Wenn umgekehrt unbegleitete Jugendliche herkommen, meistens junge Männer um die 16 Jahre, sind sie in einer Phase, in der sie eigentlich Orientierung brauchen“, so Etzold. „Nicht nur in einem neuen Land, sondern generell im Leben.“ Stattdessen wachsen sie ohne elterliche Unterstützung auf. Das sei extrem schwierig. „Sie leiden unter sehr hohen Erwartungen: arbeiten, Geld schicken, dafür sorgen, dass die Familie nachkommen kann. Daran zerbrechen viele.“

Es gebe auch Anzeichen dafür, dass Jugendliche, die ohne ihre Familien nach Deutschland kommen, deutlich anfälliger für Gewalt und Radikalisierung sind, so der Migrationsforscher. „Wenn die Eltern fehlen, suchen sie Halt in radikalen oder kriminellen Organisationen, die ihnen Orientierung versprechen.“

Dobrindt spricht von illegaler Migration

Anfang Juni, bei der ersten Lesung der Gesetzesänderung im Bundestag, sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), die „illegale Migration“ müsse zurückgedrängt werden. Und die Aussetzung des Familiennachzuges trage dazu bei. „Die illegale Migration, sie hat eine Grenze, und die Integrationsfähigkeit unseres Landes, sie ist erreicht.“ Bürgermeister und Landräte würden immer wieder darauf hinweisen, dass Schulen und Kitas, der Wohnungsmarkt, der Sozialstaat und das Gesundheitssystem überfordert seien. Legale Migration in den Arbeitsmarkt hingegen sei weiterhin gewollt und gefördert, so Dobrindt.

Dabei stellt sich die Frage: Brauchen Fachkräfte, die aus dem Ausland angeworben werden, denn keine Wohnungen, Schulen, Kitaplätze, ein funktionierendes Gesundheitssystem und einen Sozial­staat?

Die Grünen und die Linken kritisierten bei der Lesung im Bundestag, was auch Migrationsforscher Etzold anmerkt: Beim Familiennachzug handelt es sich gar nicht um illegale Migration. Ganz im Gegenteil. Familiennachzüge sind ein legaler Weg für Geflüchtete nach Deutschland zu kommen. Und sie können geplant und vorbereitet werden.

Doch es geht Dobrindt und der Regierung auch nicht allein darum, die Einwanderungszahlen um diese 12.000 Menschen pro Jahr zu senken. Bei der Lesung sagte er, es gehe auch darum, einen Pull-Faktor zu beseitigen. Einen Anreiz also, überhaupt nach Deutschland zu fliehen, in dem Wissen, die Familie dann nachholen zu können.

Wael Aljasim glaubt, das wird funktionieren: „Wenn es solche Gesetze gibt, werden natürlich nicht mehr viele Menschen kommen“, sagt er. „Aber ich bin schon seit zweieinhalb Jahren hier, die müssen mich unterstützen!“ Er könne noch ein bisschen auf seine Familie warten, aber nicht für immer. Eine Familie zu trennen, das könne man nicht machen.

Wael Aljasims Haus in Syrien ist zerstört

Zurück nach Syrien zu gehen, ist für Wael Aljasim keine Option. Alles sei zerstört, auch sein Haus. „Wo sollen wir schlafen – auf der Straße?“ Es sei dort immer noch nicht sicher. „Ich kann nicht zurück nach Syrien, dann sterben wir“, sagt er. Er will, dass seine Kinder zu ihm kommen, hier Deutsch lernen, in den Kindergarten gehen und in die Schule. Seine Stimme schwankt, er trinkt einen Schluck Wasser. „Es war von Anfang an mein Ziel, nach Deutschland zu kommen. Meine Erwartungen, dass man uns hilft, waren groß. Aber nach drei Jahren sagen sie, es gibt keinen Familiennachzug mehr. Das kann nicht sein.“

Manchmal spricht Wael Aljasim mit seinen Freunden darüber, dass vielleicht ein Krieg zwischen Russland und Europa ausbrechen könnte. Die Diskussionen sind nicht an ihm vorbeigegangen. Er sagt, dann wäre er bereit, Deutschland zu verteidigen. „Deutschland hat mich empfangen, Deutschland hat mir alles gegeben. Aber Deutschland soll mir bitte noch ein Stück helfen, damit ich meine Frau und meine Kinder wiedersehen kann.“

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