Rechtsextreme Gesänge auf Sylt: Rassismus als Partykracher

Vor einem Promiclub auf Sylt werden ausländerfeindliche Parolen zu Discomusik gesungen. Seit Monaten geht diese Version in rechtsextremen Kreisen viral.

Archivbild der Gaststätte Pony in Kampen, Sylt Foto: Axel Heimken/dpa

BERLIN taz | Das Video einer ausgelassenen Partyhorde sorgt seit Donnerstagsabend für Aufregung auf diversen Social-Media-Kanälen. Es zeigt knapp 20 feiernde Menschen mit Getränken, die zu Discomusik den alten Nazislogan „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ singen. Gefilmt wurde es offenbar als Selfie von einer jungen Frau, die fröhlich in die Kamera singt. Sonnenbrillenträger singen Aperol Spritz schwenkend lauthals mit.

Besonders auffällig ist ein Mann im Hintergrund, der mit lässig über die Schultern gelegtem Pullover den rechten Arm winkend nach oben streckt. Zwei Finger der linken Hand legt er sich zudem an die Oberlippe, eine Geste, die als Symbol für Hitlers Bärtchen gelesen werden kann.

Als eine der ersten hatte die Podcasterin Nora Zabel das Video getwittert. „Eher Anzeigen sind raus“ hatte sie dazu auf X als Replik auf den ausländerfeindlichen Slogan im ursprünglichen Post geschrieben. Zabel ist CDU-Mitglied und hat sich mit dem feministischen Podcast „Womensplaining“ einen Namen gemacht.

Sie sei von einer Freundin auf das Video aufmerksam gemacht worden, die es in einer Fußballbubble gesehen habe, sagte Zabel der taz. Geteilt habe sie es, damit die Menschen in dem Video „sehen, was sie für einen Mist gemacht haben.“ Wo die Menge gesungen hat, wusste sie da auch noch nicht.

Partycrowd vor Sylter Promiclub

Weil ihr Post auf X schnell gelöscht wurde, hatte Zabel das Video erneut gepostet. Auch dieser zweite Post ist mittlerweile gelöscht. Zuvor war es aber von prominenten Accounts wie dem Jan Böhmermanns retweetet worden. Der ZDF-Moderator stellte zudem die Frage: „Wer und wo sind diese Leute?“. So kam schnell heraus, dass die Szene offenbar vor dem Pony Club in Kampen auf Sylt gefilmt wurde. Der bezeichnet sich auf seiner Homepage als „ältester Nachtclubs Deutschlands“, in dem sich „Stammgäste und die neue Generation von heute in perfekter Harmonie“ zum gemeinsamen Feiern treffen würden. An Pfingsten feiert der Club auf der Nordseeinsel regelmäßig mit besonderen Events.

Der Prominenten-Club reagierte umgehend. Auf seinem Instagam-Profil teilte er über Ausschnitten des Videos ein klares Statement, in dem sich die Betreiber „von jeder Art Rassismus und Diskriminierung“ distanzieren. „Bei uns ist jeder Gast unabhängig von der Ethnie herzlich willkommen“, heißt es weiter. Und im „PS“ wird hinzugefügt: „All diejenigen, die sich singend auf dem Video wiedererkennen … Ihr habt Hausverbot bei uns!“

Club-Betreiber erstattet Anzeige

Tim Becker, Mit-Inhaber des Pony Club im Kampen, erklärte der taz am Freitagmorgen, sein Geschäftspartner sei gerade bei der Polizei in Westerland und erstatte Anzeige. Es hätten sich einige Leute beim Club gemeldet, die die Gäste wiedererkannten, die die ausländerfeindlichen Parolen riefen. Sie bekämen im Club Hausverbot, er und sein Geschäftspartner seien in Kontakt mit einem Anwalt, der weitere Schritte prüfe.
 Die Aufnahme stamme von einer Party vom Pfingstwochenende. „Es war richtig viel los, 400 bis 500 Leute. Der Charakter war eher der von einem Festival.“

Öffentlich ist über die Teil­neh­me­r:in­nen der rassistischen Sause bisher wenig bekannt. Gleich zu Beginn des Videos erscheint eine Frau in Großaufnahme, die fröhlich feiernd die Zeilen mitsingt. Sucht man nach dieser Frau im Netz, findet man schnell professionelle Modelfotos. Ein norddeutscher Fotograf hat die Frau in seiner Kartei, auch ein anderer Fotograf wirbt mit ihren Bildern. Die Fotos stammen von 2019 und 2021. Bei Linked-In gibt sie an, an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften studiert zu haben, ihr Linked-In Profil ist mittlerweile gelöscht.

Zwei weitere Gäste stammen nach Recherche der taz mutmaßlich aus München. Im Video stehen sie hinter der Frau. Einer von ihnen trägt ein weißes Hemd, eine schwarze Weste und eine schwarze Sonnenbrille. Die Aufnahmen zeigen, wie er im Chor ebenfalls „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ singt. Er und vor allem der Mann neben ihm sind im Netz wohl keine Unbekannten. Fotos zeigen die beiden auf einem Instagram-Account, dessen Betreiber sich „Fashion / Lifestyle Influencer“ nennt und mehr als 59.000 Follower hat. Am Freitagmorgen wurde der Account auf „Privat“ umgestellt.

Das Video, das in den sozialen Medien die Runde macht, ist selbst von einem anderen X-Account namens „Oskar Breitfeld“ abgefilmt. Er hatte das Video mit dem Kommentar gepostet: „Hier ist kein Ton reingeschnitten, war wirklich so…“ Aktuell ist das Profil abgeschaltet. „Dieser Account existiert nicht“, heißt es bei Aufruf der Seite. Von dem Video kursieren aber weiterhin zahlreiche Kopien.

Am Donnerstagabend teilte auch Anna Leisten, Landesvorsitzende der Jungen Alternative (JA) in Brandenburg, das Video, bezog sich allerdings positiv darauf. „Ich komme im Sommer nach Sylt“, schrieb Leisten und fragte: „Gibt es da schon eine JA?“. Am Ende fügte sie ein Sonnen-Emoji und eine Deutschlandfahne an.

Altgediente Naziparole

Die Parole „Deutschland den Deutschen“ wird mit und ohne die Ergänzung „Ausländer raus“ seit Jahrzehnten von Neonazis verwendet. So wurde sie beispielsweise von dem rechtsextremen Mob 1992 während der mehrtägigen rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen gebrüllt. Ebenso bei einer Hetzjagd auf Inder 2007 in Sachsen oder bei einer rechtsextremen Demonstration in Köthen 2018. Von der NPD wurde er schon in den 1980er auf Wahlplakate gedruckt.

Laut Recherchen der „Welt“ reichen die Ursprünge der Parole „bis ins späte 19. Jahrhundert und sind mit einer offenen Judenfeindlichkeit verbunden.“ Später sei sie auch mehrfach von Adolf Hitler verwendet worden.

Hit in der rechtsextremen Bubble

Die rassistische Feierei haben die Reichen und Schnöden von Sylt keineswegs exklusiv. Schon seit Monaten wird sie auf TikTok und anderen Kanälen verbreitet. Die Melodie stammt von dem Discohit „L'Amour Toujour“ von Gigi D'Agostino aus dem Jahr 2001, der mit leichtem Beat und einfachem Text zum Tanzen animiert. Während es im Original ganz harmlos heißt „Oh, baby, every day and every night / Well, I said everything's gonna be alright / And I'll fly with you“, wird in rechten Kreisen offenbar schon seit Monaten der Nazi-Slogan zum eigentlich textlosen Refrain des Liedes gesungen.

So wurde laut einem Bericht des Bayrischen Rundfunks auf Volksfesten in Landsberg am Lech oder in Weiden in der Oberpfalz die Nazi-Version gespielt. In Greding im Altmühltal sollen laut BR im Januar in einer Disco „AfD-Mitglieder, Landtagsabgeordnete der AfD und Mitglieder der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD“ die rechtsextremen Parolen zu dem Song gesungen haben, den sie sich zuvor vom DJ gewünscht hätten. Zuvor hatte in Greding ein Landesparteitag der AfD stattgefunden.

Laut einem Bericht des Onlinemagazins Katapult-MV war eine Nazi-Version des Discohits bereits im Oktober 2023 bei einem Erntefest im vorpommerschen Bergholz gefilmt worden. Laut Recherchen des NDR von Januar war ein Video dieses Erntefests Ausgangspunkt für die virale Verbreitung auf der Plattform TikTok, die vor allem bei jungen Menschen sehr beliebt ist.

Spätestens seit Donnerstagabend ist bekannt, dass dieser rassistische TikTok-Trend nun auch bei den obersten Schichten des Landes angekommen ist. Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli schrieb in der Nacht auf Freitag auf der Plattform X: „‚Deutschland den Deutschen. Ausländer raus. Ausländer raus.‘ Ort: Sylt. Und sie fühlen sich so sicher.“ Und die Moderatorin Dunja Hayali twitterte: „Mit Hitlerbärtchen und Schampus, aber ohne ‚Ausländer‘. #Sylt. 2024.“

„Nie wieder“

Das Lied von Gigi D’Agostino werde in ganz Europa und der ganzen Welt aufgelegt, sagt Pony-Mitinhaber Tim Becker. „Oft wird es nur kurz angespielt, um die Stimmung anzuheizen. Wir wussten nicht, dass das Lied von Rechten benutzt wird. Auch unsere internationalen DJs haben es nicht gewusst. Wir werden es nie wieder spielen“.

Der Pony-Club hat nach eigenen Angaben erst kurz vor Pfingsten eine neue Kameraüberwachung installiert. Auf den Aufnahmen sei auch die Gruppe zu sehen, deren Video nun für Aufregung sorgt, sagte Becker der taz. „Man sieht, wie die Leute tanzen, teilweise auf den Tischen stehen, wie die Gruppe interagiert und zusammengehört“, so Becker. Die Kamera nehme auch Ton auf. „Die meisten singen im Original. Das kann man ganz klar hören und das hat uns erleichtert.“ Es seien nur die etwa fünf Gäste gewesen, die die ausländerfeindlichen Parolen gesungen hätten. „In der Situation ist es unmöglich für die Türsteher oder Barleute, das rauszuhören“, so Becker. 
„Keiner von uns hat Kontakt zu Rechten. Wir werden zukünftig unsere Gäste dafür sensibilisieren, in solchen Fälle einzuschreiten.“

Ermittlungen wegen Volksverhetzung

Die Diskussion um das Video wird Folgen haben – rechtlich, wie politisch. Das Fachkommissariats für Staatsschutz hat wegen des Videos Ermittlungen wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Kennzeichen aufgenommen. Das teilte die Polizei am Freitag mit. Zuvor hatte die Polizei bereits auf X reagiert. „Dieses Video ist uns bekannt und wird hinsichtlich strafrechtlich relevanter Inhalte geprüft“, hieß es in einem Post. „Wir bedanken uns für die zahlreichen Hinweise, die wir an die zuständige Stelle weitergeleitet haben.“

Die SPD-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein will das rassistische Gegröle junger Leute vor einem Lokal in Kampen auf Sylt in den Innen- und Rechtsausschuss bringen.

Auch Mitglieder der schleswig-holsteinischen Landesregierung haben sich entsetzt über das Video geäußert. Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Das ist kein dummer Jungenstreich, sondern schlimmstes Nazi-Gegröle erwachsener Leute auf offener Bühne. Widerwärtig und ekelhaft. Schämen sollten sie sich! Jetzt müssen strafrechtliche Ermittlungen folgen.“

Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sagte: „Die Bilder dieser Party, auf der ausländerfeindliche Parolen gegrölt wurden, widern mich an“. Die Bilder seien „ein Zeichen von Wohlstandsverwahrlosung“. In Schleswig-Holstein sei kein Platz für Ausländerfeindlichkeit. „Ich freue mich, dass die Bar, in der diese Videos gemacht wurden, die Polizei bei den Ermittlungen unterstützt und den Grölenden Hausverbot erteilen will.“

Anm. der Redaktion: Der Text wurde nach der ersten Veröffentlichung mehrfach ergänzt, u.a. um die Stellungnahmen der Pony-Betreiber und der Polizei.

Mittlerweile wurde bekannt, dass zwei der rassistischen Sän­ge­r:in­nen von ihren Arbeitgebern wegen des Auftritts gekündigt wurde. Der taz-Bericht dazu steht hier.

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