Klima-Hungerstreik in Berlin: Schonunglose Wahrheit

Hungerstreikende wollen aufhören zu trinken. Es ist ein Drama, dass es den verzweifelten Mut Einzelner braucht, um Selbstverständliches einzufordern.

Eine Frau hält ein Schild in der Hand, auf dem steht: Herr Bundeskanzler, Wolli darf nicht sterben.

Solidaritätsaktion für Wolfgang Metzeler-Kick am Dienstag vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin Foto: Stefan Müller/picture alliance

Zunächst ein paar einfache Wahrheiten: Der Fortbestand der menschlichen Zivilisation ist durch die Klimakatastrophe extrem gefährdet. Der CO2-Gehalt in der Luft ist viel zu hoch, ein Restbudget existiert nicht mehr. Notwendig ist daher ein radikales Umsteuern in der Klimapolitik.

Das Anerkennen dieser Fakten und ein daraus abgeleitetes politischen Handeln würde in Zukunft dazu beitragen, sehr viele Menschenleben zu retten. Ganz konkret könnte es aber jetzt ein Leben retten: Das des Klimaaktivisten Wolfgang Metzeler-Kick. Seit 91 Tagen befindet sich der Umweltingenieur im Hungerstreik; die Ärzte geben ihm kaum mehr als 48 Stunden, wenn er nun, wie angekündigt, ab Donnerstag auch aufhört zu trinken. Schon Montagabend war Metzeler-Kick, der bereits 30 Kilogramm verloren hat, kollabiert.

Retten kann ihn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), indem er sich jene Fakten zu eigen macht. Scholz muss dafür nicht einmal auf die Kampagne „Hungern bis ihr ehrlich seid“ eingehen, er braucht nur auf die Wissenschaft und seine eigenen Beratungsgremien zurückgreifen: auf den Sachverständigenrat für Umweltfragen, der im März festgestellt hatte, dass Deutschland seinen gerechten Anteil am globalen CO2-Budget für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels bereits aufgebraucht hat. Oder auf den Expertenrat für Klimafragen, der diese Woche feststellte, dass Deutschland seine Klimaziele für 2030 verfehlen wird.

Wann, wenn nicht jetzt, wo in Süddeutschland ganze Regionen absaufen, sollte der passende Moment für den selbst ernannten „Klimakanzler“ sein, die Dramatik in all ihrer Schärfe anzuerkennen?

Für Debatten über die Aktionsform ist es zu spät

Für Donnerstag hat Scholz eine Regierungserklärung zur aktuellen Sicherheitslage angekündigt. Die bedrohte Sicherheit durch die Folgen des Klimawandels und die Einsicht, dass die bisherigen politischen Maßnahmen nicht ausreichen, um diese abzumildern, sollten dringend dazu gehören.

Trotzdem tun große Teil der Öffentlichkeit derzeit so, als würde sich Scholz erpressbar zeigen, wenn er den Forderungen der Hungerstreikenden nachkommt. Als müsste Scholz davor beschützt werden, die Wahrheit zu sagen, weil wir sie selbst nicht hören wollen. Der Bundeskanzler wird nicht erpresst – nicht wie der fiktive britische Premierminister in der Serie „Black Mirror“, der zum Geschlechtsverkehr mit einem Schwein genötigt wird, um das Leben einer Entführten zu retten. Verlangt wird von Scholz eine Selbstverständlichkeit: die schonungslose Wahrheit zum alles entscheidenden Zukunftsthema der Menschheit. Es ist ein Drama, dass es den verzweifelten Mut Einzelner braucht, um diese einzufordern.

Mutig sein müsste auch Scholz für diesen Schritt. Echte Klimapolitik hat drastische Folgen und daher verbissene Gegner:innen. Die Rechte will mit der Schleifung der bisherigen Klimapolitik Wahlen gewinnen und lauert nur darauf, Scholz als Marionette der „Klima-Radikalen“ abzustempeln. Vermutlich hat die Bild-Zeitung den verächtlichen Titel schon im Köcher, dabei könnte auch sie das Leben der Hungerstreikenden retten, wie es Metzler-Kick zuletzt als möglichen Ausweg selbst benannt hat. Dafür müsste sie nur den ersten Teil dieses Textes abdrucken, sich also den eigenen Werbeslogan zu eigen machen: „Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.“

Aber Hungerstreik ist doch der falsche Weg, sagen auch viele derjenigen, die die Bewertung der Klimakatastrophe und die Forderungen teilen. Und ja, die Radikalität eines Hungerstreiks verstört; man möchte sich damit lieber nicht auseinandersetzen. Doch es hilft nichts: Sowohl vor den Folgen des Klimawandels als auch vor dem drohenden Tod des Aktivisten kann man die Augen nicht verschließen. Für Debatten über die richtigen Aktionsformen ist es nicht nur zu spät, sie führen auch zu nichts. Stattdessen müssen wir über den Klimawandel reden und darüber, wie wir ihn stoppen können. Wir alle. Und Olaf Scholz.

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Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".

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