Russische Familie abgeschoben: Kirchenasyl nicht mehr sicher

Erstmals seit Jahrzehnten ist in Niedersachsen ein Kirchenasyl gebrochen worden. Russische Kriegsdienstverweigerer wurden nach Spanien abgeschoben.

Ein Flugzeug ist am Himmel hinter Stacheldraht zu sehen.

Vierköpfige russische Familie wurde in ein Flugzeug nach Barcelona gesetzt (Symbolbild) Foto: Julian Stratenschulte/dpa

HANNOVER taz | Mit mehreren Fahrzeugen und mindestens sieben bewaffneten Polizeibeamten rückte die niedersächsische Landesaufnahmebehörde am späten Sonntagabend in Bienenbüttel an. Sie umstellten das Pfarr- und das Gemeindehaus und führten eine vierköpfige russische Familie ab, die dort seit ­Februar Unterschlupf gefunden hatte. Noch in der gleichen Nacht wurde die Familie in ein Flugzeug nach Barcelona gesetzt, wo sie erst einmal auf sich ­allein gestellt war. Nicht einmal letzte Telefonate mit ihren Verwandten sollen ihnen gestattet worden sein – so schildert es jedenfalls Pastor Tobias Heyden in einer Pressemitteilung.

Die Vertreter der Gemeinde und des Kirchenkreises äußerten sich entsetzt. Auch der Flüchtlingsrat weist darauf hin, dass es das erste Mal seit 1998 sei, dass in Niedersachsen ein Kirchenasyl gebrochen wurde.

Nach der Darstellung des Kirchenkreises und der Gemeinde war die Familie – zu der ein erwachsener Sohn und eine 16-jährige Tochter gehören – auf der Durchreise bei Verwandten in Deutschland, als in Russland die Einberufungsbefehle für Vater und Sohn eingetroffen seien. Sie beantragten deshalb in Deutschland Asyl und hofften auf die Hilfe ihrer Verwandten und Freunde im Landkreis Uelzen. Die Mutter sei aufgrund der psychischen Belastung schwer erkrankt und habe sich in eine stationäre medizinische Behandlung begeben müssen.

Weil die Familie aber über ein spanisches Visum verfügte, sollte sie trotz der laufenden Behandlung nach Spanien abgeschoben werden. Um dem zu entgehen, begab sie sich ins Kirchenasyl. Die Gemeinde und die Kirchenkreissozialarbeit hätten den Fall sorgfältig geprüft, bevor sie einwilligten, heißt es in der Pressemitteilung. Neben dem Gesundheitszustand der Mutter habe auch die positive Prognose zur Integration der Familie den Ausschlag gegeben. Die Tochter besuchte das ­Lessing-Gymnasium in Uelzen, für Vater und Sohn gab es Jobangebote.

Die St-Michaelis-Gemeinde Bienenbüttel brachte die Familie im Gemeindehaus unter und meldete dies ordnungsgemäß dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Normalerweise wird das in Niedersachsen respektiert und darauf verzichtet, sich gewaltsam Zutritt zu Kirchenräumen zu verschaffen.

Politischer Druck für mehr Abschiebung

Der Flüchtlingsrat verweist darauf, dass dies sowohl unter Innenminister Boris Pistorius (SPD) als auch unter seinem Vorgänger Uwe Schünemann (CDU) gegolten habe – obwohl letzterer für harte Abschiebeentscheidungen berüchtigt war. „Es brauchte offenkundig eine rot-grüne Landesregierung, um dieses Tabu zu brechen“, kritisiert der Flüchtlingsrat.

Angesichts des politischen Drucks für mehr Abschiebungen hatte sich in den letzten Monaten auch an anderen Orten abgezeichnet, dass nun auch das Kirchenasyl verstärkt unter Druck geraten könnte. Nach Angaben der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche gab es bundesweit seit Juli mindestens sechs versuchte oder vollzogene Räumungen.

Dabei wird das Kirchenasyl bloß eingesetzt, um humanitäre Härten bei der Abschiebung in EU-Mitgliedsstaaten gemäß des Dublin-Abkommens zu verhindern. Meist geht es darum, so lange auszuharren, bis die sechsmonatige Überstellungsfrist ausgelaufen ist und doch Deutschland für das Asylverfahren zuständig wird. 2023 habe es bundesweit 2.065 beim Bamf registrierte Kirchenasylfälle gegeben, erklärt die kirchliche Bundesarbeitsgemeinschaft.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.