Bargeldwüste in den Niederlanden: Nur Bares ist Wahres

Wenn die Karte funktioniert, ist ja alles gut. Wenn nicht, steht man dumm da. In der Provinz wie in der Großstadt. Über Bargeld – und die Niederlande.

Geldmünzen liegen auf einem Kassenbon

Was macht mensch bloß, wenn es eines Tages gar kein Bargeld mehr geben würde? Foto: dpa/Marijan Murat

Zweimal in den letzten Wochen habe ich Leute völlig ausrasten sehen, weil sie ihr Zeug nicht mit Karte bezahlen durften. Der eine explodierte auf dem Dorf vor der Eisdiele, wo er einen bereits verspachtelten Mokkabecher in bar auslösen sollte – der andere mitten in der Nacht in einem Neuköllner Späti, wo es wohl um Zigaretten ging. Und an diesen beiden Enden der bekannten Welt folgten zwei nahezu wortgleiche Gespräche, in denen jeweils das Wort „Steinzeit“ vorkam, „Scheiße“ und ich glaube auch „Arsch“.

Ich beobachte diese erstaunliche Gleichförmigkeit mit gehässiger Freude. Von allen irrationalen Ängsten da draußen war mir die vor der Abschaffung des Bargelds immer schon die liebste. Und bevor jemand mault: Mir ist klar, dass es vom Ausschluss marginalisierte Menschen über die Privatisierung des Geldverkehrs bis zur gläsernen Kun­d:in­nen­schaft auch eine ganze Menge Argumente gegen den Scheiß gibt, die ganz und gar nicht irrational sind.

Weit beliebiger erscheinen mir hingegen die Vorzüge der Karte, wie sie von Cashless-Lobby und ihren Opfern gepredigt werden – abgesehen vielleicht von der Bequemlichkeit. Und von wegen Irrationalität: Dass Bargeld anzufassen unhygienisch ist, hat mir meine Großtante schon 30 Jahre vor der Pandemie vorgebetet. Ungefähr zur gleichen Zeit, als Visa in einer strunzdummen TV-Werbung klargestellt hat, dass nach einem Tauchgang im Meer nur diejenige am Strand eine neue Sonnenbrille bezahlen kann, die unterm Badeanzug eine Kreditkarte am Popo kleben hat.

Sei’s drum. Aufgefallen ist mir die verblüffende Gemeinsamkeit kleinstädtischer und Neuköllner Befindlichkeiten jedenfalls, weil ich gerade aus einem Urlaub in Bargeld-Dystopia zurück bin. In den Niederlanden nämlich, wo ich ein paar Tage zwischen Tilburg und dem Nachbardorf am Tingeln war. Busfahren geht da so: Beim Einstieg hält man EC- oder Kreditkarte unter einen Scanner. Und wer am Ziel auf die gleiche Weise wieder auscheckt, bekommt eine automatische Abbuchung entsprechend der jeweiligen Tarifzone.

Bargeld gibt es in den Bussen nicht

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Das klingt so lange gut, wie die Karte funktioniert. Warum sie’s bei mir nicht tat, kann kei­ne:r erklären, das Problem aber vor allem auch nicht lösen. Bargeld gibt es in diesen Bussen nicht, auf den Karten von Freun­d:in­nen kann man wegen der Checkerei nicht mitfahren. Angeblich gibt es irgendwo Prepaid-Chipkarten zu kaufen, aber erstens nicht hier, zweitens nicht heute und drittens ist die Grundgebühr auch höher als der Fahrpreis.

Ein anderes Beispiel, das anfängt wie ein Witz: Wie viele Punkrocker braucht man, um ein Schließfach in Tilburg zu buchen? Ich weiß es nicht, aber drei sind jedenfalls zu wenig. Beim ersten ist der Handyakku so leer, dass er das Fach mit seinem Gerät später nicht wieder öffnen können würde. Der zweite hat keinen der privaten Zahlungsdienstleister gebucht, über die man das Ding bezahlen kann und der dritte hat so langsames Internet, dass es Stunden dauert, sich durch den Buchungsvorgang zu klicken.

„Shitty future“ wird dieser Zustand bisweilen genannt, was Dinge meint, die heute fortschrittsmäßig besser und einfacher sein könnten als früher, die sich dank proprietärer Kack-Software, privatisierter Infrastruktur und der Profitinteressen ihrer Ei­gen­tü­me­r:in­nen aber in ein fragiles Anwendungselend mit der Halbwertzeit von jeweils zwei bis drei Jahren verwandelt haben.

Vielleicht bin ich einfach zu alt für diesen Scheiß – aber ich war selten so froh, wieder in meinen gallischen Bargelddörfern zu landen. Ob nun in jenem an der Ackerkante oder dem anderen in der großen Stadt.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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