Abtrünnige Region Transnistrien: Russland soll helfen

Wegen einer Wirtschaftsblockade durch die Republik Moldau hat die Region Transnistrien Russland um Schutz gebeten.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow

Mitte Februar gab Außenminister Sergei Lawrow zu Protokoll, Russland sorge sich um seine Bür­ge­r*in­nen in Transnistrien Foto: Alexey Maishev/imago

Russland, dein Freund und Helfer: „Abgeordnete“ der internatio­nal nicht anerkannten Region Transnistrien (PMR) haben am Mittwoch bei der Sitzung eines „Sonderkongresses von Deputierten aller Ebenen“ Moskau um Unterstützung gebeten. Das berichteten russische Nachrichtenagenturen. In einer Erklärung heißt es, wegen einer Wirtschaftsblockade durch die Republik Moldau rufe man Russland dazu auf, Trans­nistrien zu schützen.

Zudem verabschiedeten die Kon­gress­teil­neh­me­r*in­nen einen Appell an den UN-Generalsekretär, die Interparlamentarische Versammlung der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), die OSZE, das Europäische Parlament sowie das Internationale Rote Kreuz. In dem Appell werden „die Gewährleistung von sozialen und humanitären Rechten, der Interessen und Freiheiten aller Be­woh­ne­r*in­nen des linken Dnjestr-Ufers sowie die Verhinderung einer Eskalation des Konflikts gefordert. Auch müsse man wieder zu dem „5+2“-Verhandlungsformat zurückkehren.

Das oppositionelle russische Nachrichtenportal insider.ru zitiert einen Militärkorrespondenten namens Juri Kotenok, dem zufolge der Präsident Transnistriens Wadim Krasnoselski den politisch Verantwortlichen Moldaus „eine Politik des Völkermordes“ gegen die abtrünnige Region des Landes vorgeworfen habe.

Die Mehrheit der rund 470.000 Be­woh­ne­r*in­nen Trans­nistriens sind ethnische Rus­s*in­nen und Ukrai­ner*in­nen, 200.000 sollen mittlerweile auch russische Pässe besitzen. Anfang der 90er Jahre, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, spaltete sich die Region im Zuge eines Bürgerkrieges mit rund 1.000 Toten von der Republik Moldau ab und rief einen eigenen Staat aus.

Entgegen den Vereinbarungen eines Waffenstillstandes vom Juli 1992 sind in Transnistrien bis heute 1.500 bis 2.000 russische Soldaten – nominell als Friedenstruppen – stationiert. In dem Dorf Kolbasna befindet sich ein Depot mit rund 20.000 Tonnen Munition, die noch aus Sowjet­zeiten stammt.

Ebenfalls in den 90er Jahren begannen Verhandlungen – am Format „5+2“ waren Moldau, Transnistrien, die OSZE, Russland, die Ukraine, die USA und die EU beteiligt –, um den sogenannten eingefrorenen Konflikt zu lösen. Die Vermittlungsbemühungen blieben ergebnislos und liegen mittlerweile auf Eis.

Jahrelang galt Transnistrien, das wirtschaftlich total von Russland abhängig ist, unter der Kontrolle der dubiosen Holding „Scheriff“ als idealer Umschlagplatz für Schmuggelgeschäfte aller Art. Diese entzogen sich ebenfalls jeglicher Kontrolle durch die moldauische Regierung in Chișinău.

Im Jahr 2006 initiierte der Sonderkongress die Durchführung eines Referendums. Bei dieser Volksabstimmung sollen sich angeblich 97 Prozent der Wäh­le­r*in­nen für die Unabhängigkeit Transnistriens sowie eine Vereinigung mit Russland ausgesprochen haben. Doch die erwünschten Folgen blieben aus. Moskau blieb passiv, die vorhandenen Instrumente des Kreml, Einfluss zu nehmen, reichten offensichtlich aus.

Mittlerweile und vor allem seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich die Situation entscheidend geändert. Unter der Ägide von Moldaus Präsidentin Maia Sandu, die seit 2020 im Amt ist, und ihrer Regierung ist die Republik stramm auf Westkurs. Im Juni 2022 erhielt das Land zusammen mit der Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten der Europäischen Union. Auch aus seinen Ambitionen, der Nato beizutreten, macht Chișinău keinen Hehl.

Reaktionen in Russland auf derartige Absetzbewegungen ließen nicht lange auf sich warten. Vor allem seit Dezember 2023 fielen mehrmals Äußerungen, wonach Moskau russische Bür­ge­r*in­nen im Ausland (in Transnistrien) schützen müsse. Mitte Februar gab Außenminister Sergei Lawrow zu Protokoll, Russland sorge sich um seine Bür­ge­r*in­nen in Transnistrien und werde nicht zulassen, dass diese 200.000 Personen zu Opfern gemacht würden.

Zur Erinnerung: Die Begleitmusik zu Russlands groß angelegter Invasion in die Ukraine 2022 hatte ähnlich geklungen. Nur, dass „Russ*innen“ in den ostukrainischen Gebieten Luhansk und Donezk herhalten mussten, deren Menschenrechte angeblich massiv verletzt worden seien. Anfang 2024 holte die Regierung in Chișinău zu einem weiteren Schlag aus – es traten veränderte Steuergesetze in Kraft. Bislang waren transnistrische Betriebe bei Im- und Exporten von fällig werdenden Zöllen befreit gewesen. Jetzt müssen sie zahlen, sowohl an den transnistrischen Haushalt als auch an den moldauischen. Chișinău hat die Kontrolle, denn die Grenze zur Ukraine ist dicht. Übrigens gehen 70 Prozent der Exporte Transnistriens in die EU.

Für den moldauischen Politikanalysten Oazu Nantoi, einen der besten Kenner Transnistriens schlechthin, hat der Ukrainekrieg den Status quo zerstört. Der jetzige skandalöse Sonderkongress sei auf Geheiß Moskaus einberufen worden, sagte Nantoi in einem Interview mit dem ukrainischen Webportal Ukrainska Pravda. Die Anerkennung der Unabhängigkeit Transnistriens durch Russland sei nicht auszuschließen, aber von einer Annexion der Region könne keine Rede sein. Putin sei an dem Landstreifen nicht interessiert, sondern an der ganzen Republik Moldau, auf die Russland über Transnistrien Einfluss genommen habe.

Apropos Putin: Am Donnerstag dieser Woche und damit kurz vor der sogenannten Präsidentenwahl in Russland wird der Kremlchef seine Rede zur Lage der Nation halten. Ob darin auch Transnistrien Erwähnung finden wird? Das Moskauer Außenministerium nannte den „Schutz“ der Bewohner Transnistriens am Mittwoch „Priorität“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.