Abtrünnige Region Transnistrien: Russland soll helfen
Wegen einer Wirtschaftsblockade durch die Republik Moldau hat die Region Transnistrien Russland um Schutz gebeten.
Russland, dein Freund und Helfer: „Abgeordnete“ der international nicht anerkannten Region Transnistrien (PMR) haben am Mittwoch bei der Sitzung eines „Sonderkongresses von Deputierten aller Ebenen“ Moskau um Unterstützung gebeten. Das berichteten russische Nachrichtenagenturen. In einer Erklärung heißt es, wegen einer Wirtschaftsblockade durch die Republik Moldau rufe man Russland dazu auf, Transnistrien zu schützen.
Zudem verabschiedeten die Kongressteilnehmer*innen einen Appell an den UN-Generalsekretär, die Interparlamentarische Versammlung der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), die OSZE, das Europäische Parlament sowie das Internationale Rote Kreuz. In dem Appell werden „die Gewährleistung von sozialen und humanitären Rechten, der Interessen und Freiheiten aller Bewohner*innen des linken Dnjestr-Ufers sowie die Verhinderung einer Eskalation des Konflikts gefordert. Auch müsse man wieder zu dem „5+2“-Verhandlungsformat zurückkehren.
Das oppositionelle russische Nachrichtenportal insider.ru zitiert einen Militärkorrespondenten namens Juri Kotenok, dem zufolge der Präsident Transnistriens Wadim Krasnoselski den politisch Verantwortlichen Moldaus „eine Politik des Völkermordes“ gegen die abtrünnige Region des Landes vorgeworfen habe.
Die Mehrheit der rund 470.000 Bewohner*innen Transnistriens sind ethnische Russ*innen und Ukrainer*innen, 200.000 sollen mittlerweile auch russische Pässe besitzen. Anfang der 90er Jahre, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, spaltete sich die Region im Zuge eines Bürgerkrieges mit rund 1.000 Toten von der Republik Moldau ab und rief einen eigenen Staat aus.
Entgegen den Vereinbarungen eines Waffenstillstandes vom Juli 1992 sind in Transnistrien bis heute 1.500 bis 2.000 russische Soldaten – nominell als Friedenstruppen – stationiert. In dem Dorf Kolbasna befindet sich ein Depot mit rund 20.000 Tonnen Munition, die noch aus Sowjetzeiten stammt.
Ebenfalls in den 90er Jahren begannen Verhandlungen – am Format „5+2“ waren Moldau, Transnistrien, die OSZE, Russland, die Ukraine, die USA und die EU beteiligt –, um den sogenannten eingefrorenen Konflikt zu lösen. Die Vermittlungsbemühungen blieben ergebnislos und liegen mittlerweile auf Eis.
Jahrelang galt Transnistrien, das wirtschaftlich total von Russland abhängig ist, unter der Kontrolle der dubiosen Holding „Scheriff“ als idealer Umschlagplatz für Schmuggelgeschäfte aller Art. Diese entzogen sich ebenfalls jeglicher Kontrolle durch die moldauische Regierung in Chișinău.
Im Jahr 2006 initiierte der Sonderkongress die Durchführung eines Referendums. Bei dieser Volksabstimmung sollen sich angeblich 97 Prozent der Wähler*innen für die Unabhängigkeit Transnistriens sowie eine Vereinigung mit Russland ausgesprochen haben. Doch die erwünschten Folgen blieben aus. Moskau blieb passiv, die vorhandenen Instrumente des Kreml, Einfluss zu nehmen, reichten offensichtlich aus.
Mittlerweile und vor allem seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich die Situation entscheidend geändert. Unter der Ägide von Moldaus Präsidentin Maia Sandu, die seit 2020 im Amt ist, und ihrer Regierung ist die Republik stramm auf Westkurs. Im Juni 2022 erhielt das Land zusammen mit der Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten der Europäischen Union. Auch aus seinen Ambitionen, der Nato beizutreten, macht Chișinău keinen Hehl.
Reaktionen in Russland auf derartige Absetzbewegungen ließen nicht lange auf sich warten. Vor allem seit Dezember 2023 fielen mehrmals Äußerungen, wonach Moskau russische Bürger*innen im Ausland (in Transnistrien) schützen müsse. Mitte Februar gab Außenminister Sergei Lawrow zu Protokoll, Russland sorge sich um seine Bürger*innen in Transnistrien und werde nicht zulassen, dass diese 200.000 Personen zu Opfern gemacht würden.
Zur Erinnerung: Die Begleitmusik zu Russlands groß angelegter Invasion in die Ukraine 2022 hatte ähnlich geklungen. Nur, dass „Russ*innen“ in den ostukrainischen Gebieten Luhansk und Donezk herhalten mussten, deren Menschenrechte angeblich massiv verletzt worden seien. Anfang 2024 holte die Regierung in Chișinău zu einem weiteren Schlag aus – es traten veränderte Steuergesetze in Kraft. Bislang waren transnistrische Betriebe bei Im- und Exporten von fällig werdenden Zöllen befreit gewesen. Jetzt müssen sie zahlen, sowohl an den transnistrischen Haushalt als auch an den moldauischen. Chișinău hat die Kontrolle, denn die Grenze zur Ukraine ist dicht. Übrigens gehen 70 Prozent der Exporte Transnistriens in die EU.
Für den moldauischen Politikanalysten Oazu Nantoi, einen der besten Kenner Transnistriens schlechthin, hat der Ukrainekrieg den Status quo zerstört. Der jetzige skandalöse Sonderkongress sei auf Geheiß Moskaus einberufen worden, sagte Nantoi in einem Interview mit dem ukrainischen Webportal Ukrainska Pravda. Die Anerkennung der Unabhängigkeit Transnistriens durch Russland sei nicht auszuschließen, aber von einer Annexion der Region könne keine Rede sein. Putin sei an dem Landstreifen nicht interessiert, sondern an der ganzen Republik Moldau, auf die Russland über Transnistrien Einfluss genommen habe.
Apropos Putin: Am Donnerstag dieser Woche und damit kurz vor der sogenannten Präsidentenwahl in Russland wird der Kremlchef seine Rede zur Lage der Nation halten. Ob darin auch Transnistrien Erwähnung finden wird? Das Moskauer Außenministerium nannte den „Schutz“ der Bewohner Transnistriens am Mittwoch „Priorität“.
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