Landtagswahl Bayern: Normalitas Bavariae
Im Freistaat hat man ganz eigene Vorstellungen davon, was anständig, normal oder gar witzig ist. Gedanken zu Söder, Aiwanger, Messern und Populismus.
E s wird sortiert in Bayern. In normal und unnormal. Hubert Aiwanger macht das, der Chef der Freien Wähler und Wirtschaftsminister im Freistaat. Und Markus Söder macht es auch, der Ministerpräsident und CSU-Chef. Der spricht auch gerne vom Normalverdiener in diesem Wahlkampf. Um den kümmere sich seine Partei besonders intensiv. Jeder Normalverdiener solle sich den Traum vom Eigenheim erfüllen können, um es später dann erbschaftssteuerfrei weitervererben zu können. Oder so.
Hat er das eigene Häuschen, ist er endlich wirklich normal. Denn in dem Bayernland, für das die CSU schon immer stand und das die Freien Wähler wegen der grünen Diktatur da oben in Berlin als gefährdet ansehen, lebt man im eigenen Heim. Nicht allein natürlich. Zum Haushalt gehören Frau und zwei Kinder, eine Garage, ein Carport und zwei Autos in unterschiedlichen Größen.
Denn da ist schließlich ein Unterschied zwischen Mann und Frau. Den kann man im statistischen Jahrbuch für Bayern 2022 nachlesen. Demnach verdienen 34 Prozent der erwerbstätigen Frauen netto mehr als 2.000 Euro. Bei den Männern sind das 67 Prozent. Natürlich ist es völlig normal, viel mehr als das zu verdienen. Auch ein Waldbesitzer kann normal sein. Ein solcher gehörte zu den Rednern an jenem denkwürdigen Tag im Juni in Erding, als über 13.000 Bürger für die Herrschaft der Normalität auf die Straße gegangen waren. Für die war es ein besonderer Tag. Monika Gruber, die zu dieser Demonstration unter dem Kampfmotto „Stoppt die Heizungsideologie!“ aufgerufen hatte, hat die versammelten Leute gefragt, ob sie zuvor schon einmal auf einer Demo gewesen seien. Kaum einer meldete sich. Logisch. Demonstrieren ist nicht normal. Eigentlich.
Der Normalbayer hat dafür auch gar keine Zeit. Denn er muss sich am Wochenende um seinen Rasen kümmern, das angebaute Gemüse, vielleicht auch mal mit den Kindern spielen. Auch das hat Monika Gruber in Erding gesagt. Die ist in Bayern ein Superstar. Als Kabarettistin wird sie bezeichnet. Auch wenn sie selbst eine erfolgreiche Humorunternehmerin ist, steht sie für ein Bilderbuchbayern, in dem Familien noch so aufgebaut sind, dass sie vom Ehegattensplitting profitieren.
Im Fanshop auf ihrer Website kann man das Kaffeebecherpaar „Mama und Papa“ kaufen. „Die Mama verdient Champagner“ steht auf der einen Tasse, „… da Babba das Geld“ auf der anderen. Wenn sie auftritt, sind die Tickets schnell vergriffen. Spielt sie in München in der Olympiahalle, sind alle 12.500 Plätze besetzt. Dann wird gelacht über Sätze wie „Die Lage ist besäufniserregend.“ Es gibt ganz viel Fäkalhumor bei einer Gruberveranstaltung und garantiert irgendwas gegen das Gendern. Wem das gefällt, kann sich auf ihrer Website eine Fußmatte kaufen mit der Aufschrift „Genderfreie Zone – Wer gendert, braucht gar ned erst klingeln“. Es ist ihr Ernst. Sie kann sich wahnsinnig darüber aufregen. Viel schöner, als Markus Söder das tut, wenn er bei einer seiner zahlreichen Bierzeltreden auf das Thema Sprechverbote kommt.
Bei diesen Auftritten beschwört der Ministerpräsident gerne die Liberalitas Bavariae, eine besondere Art der Freiheitsliebe, die typisch für Bayern sein soll. Damit die einen, in besten Falle die Normalen, diese Freiheit ausleben können, müssen andere auch schon mal weggesperrt werden. Sie werden dann präventiv in Gewahrsam genommen. Eine ganz spezielle Liberalitas ist das, auf die man da stolz ist. Dass laut einer Umfrage 2021 mehr als jeder dritte Bayer der Meinung war, eine Watschn habe noch keinem geschadet, ist auch so ein Zeugnis bayerischer Liberalität.
Womit wir wieder bei Hubert Aiwanger wären. „Ich bin überzeugt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte, und wir würden die Schwerkriminellen einsperren“, hat der Wirtschaftsminister mal getwittert, als das noch so hieß. Und wer in diesen Tagen des Oktoberfests in München die Messer sieht, die in den Lederhosen bayerischer Volksfestbesucher einen festen Platz haben, kann sehen, dass sich Teile der Bevölkerung längst selbst bewaffnet haben, weil da irgendetwas ist, was ihre Freiheit bedrohen könnte. Ein anständiger Bayer wird sich ja wohl noch wehren dürfen. Auch wenn er nicht weiß, gegen wen genau eigentlich. Im Zweifel sind eh die Migranten an allem schuld. Grenzen und Obergrenzen sollen es richten, so verspricht es Markus Söder. Darauf ein zünftiges „Die Krüge hoch!“
Im Bierzelt ist die Wehrhaftigkeit besonders hoch. Da wird die Freiheit in Tracht verteidigt. In Oberbayern, wo die Männer früher vielleicht wirklich mal in kurzer Lederwichs in die Kirche gegangen sind, genauso wie in Franken, wo das eher unüblich war. Auch wenn der Lederhosenwahnsinn und der Dirndlirrsinn eher so etwas wie eine Trachtenimitation ist, soll man sich echt vorkommen in dem Gewand. Zu Volksfestzeiten wird jede Stadt in Bayern auf diese Weise zum Teil des so gerne beschworenen ländlichen Raums. Auch Münchner Mütter bringen ihren Töchtern bei, dass Singlefrauen den Dirndlschürzenknoten auf der linken Seite binden müssen, damit die Mannsbilder wissen: „Schürze links, bringt’s!“. Rechts muss die Schleife sitzen, wenn die Frau vergeben ist. Auch die bayerische Grünen-Co-Chefin Katharina Schulze wird wissen, wie es sich mit der Schleife verhält, wenn sie sich ihr Dirndl anzieht. Als „Gender-Schmarrn“ wird das niemand bezeichnen. Das ist eher etwas, was von droben kommt, von Berlin – wie alle Verbote.
Aufgeregt wird sich dabei vor allem über Verbote, die es gar nicht gibt. Das Lied von der Puffmutter Layla, das selbst in den übelsten deutschen Party-Schuppen auf Mallorca zu den Songs von niedrigem Geschmack gerechnet werden muss, ist so zum Volksfesthit in Bayern geworden. Auch Hubert Aiwanger hat es schon im Bierzelt dirigiert, als sei es das bayerischste Volkslied der Welt – aus Trotz.
Man möchte sich schließlich den Mund nicht verbieten lassen. Genausowenig wie man sich das Fleisch verbieten lassen möchte oder das Auto im „Autoland Bayern“, wie Markus Söder sagt. Der weiß, dass es in seiner Landeshauptstadt Viertel gibt, in denen man aufpassen muss, dass einem kein Lastenfahrrad über den Zeh fährt, wenn man das Haus verlässt. Dass darunter Leute sind, die sich vegan ernähren, wird er auch wissen. Dass das nicht normal ist, wird er nicht müde zu betonen.
Im Bierzelt gibt es dafür tosenden Beifall. An den Wahlurnen nur noch 30 Prozent plus X für die CSU. 37,2 Prozent waren es bei der Landtagswahl 2018. Mit einem ähnlichen Wert ist am 8. Oktober zu rechnen. Aiwangers Freie Wähler, 2018 bei 11,6 Prozent, waren in den vergangenen Wochen im Aufwind, nachdem es dem Parteichef gelungen war, die Definition von dem, was in Bayern als normal gilt, zu erweitern.
Das Flugblatt, das die Aiwanger-Buben als Schüler am Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg kursieren haben lassen, und die mangelnde Einsicht, es mit den zynischen Auschwitz-Witzeleien zu weit getrieben zu haben, bescherte den Freien Wählern neuen Zulauf. Für die neuen Aiwangerfreunde soll es normal sein, nicht zu Kreuze zu kriechen, wenn in der Öffentlichkeit ein vergangenheitspolitischer Tabubruch begangen wird. Unnormal sind in ihren Augen all jene, die Aiwanger, der für sie das eigentliche Opfer der Flugblatt-Affäre ist, daraus einen Strick drehen wollen. Es wird normaler, in diesem Zusammenhang die Medien, die Linken und die Grünen als die wahren Übeltäter anzusehen. Antisemitismus wird normalisiert.
Es wird also gerade umsortiert. Es gibt ein neues Normal in Bayern. Markus Söder nennt es bürgerlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS