Klimabeschlüsse der Bundesregierung: Die Zwei-zu-eins-Koalition
Die Grünen sind enttäuscht vom Klimaschutzpapier des Koalitionsausschusses. SPD und FDP hochzufrieden. Die Rangeleien in der Ampel könnten zunehmen.
Eigentlich soll der Koalitionsausschuss, die nichtöffentlich tagende Runde der 17 führenden Politiker*innen der Ampelregierung, ihrer Fraktions- und Parteichef*innen, regelmäßig zusammenkommen, damit man sich auf Augenhöhe austauschen und Streitthemen geschmeidig abräumen kann. Doch diesmal hatte sich schon im Vorfeld so viel Unmut angesammelt, waren Briefe geschrieben und Gesetze geleakt worden, dass klar war: Ein erbaulicher Sonntagabend wird das nicht.
Und so kam es auch. Von Sonntagabend bis Dienstagabend zogen sich die Koalitionär*innen zurück, machten die Nacht zu Montag sogar durch. Zwischendurch flogen der Kanzler und einige Minister*innen zu unaufschiebbaren Terminen aus, doch sonst drang kein Wort durch die dicken Mauern des Kanzleramtes nach draußen. Drei Stunden vor Ende der Marathonsitzung verließ der Bundeskanzler den Ausschuss, statt seiner führte SPD-Co-Parteichef Lars Klingbeil die Verhandlungen zu Ende.
Heraus kam ein 16-seitiges Papier, ein „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“, welches besonders für die Grünen einige schwer verdauliche Brocken enthält: Neben Bahnschienen werden auch 1.200 Kilometer Autobahn superschnell ausgebaut und die für jeden Sektor geltenden Ziele zur CO2-Einsparung aufgeweicht. Bereiche wie der Verkehr, der unvermindert Treibhausgase produziert, wären fein raus, so die Befürchtung. Sogar ein eigenes Kapitel zu synthetischen Kraftstoffen, den umstrittenen E-Fuels, ist drin. Sehr zur Freude der Liberalen.
Grünen: Nicht mit uns abgestimmt
Die Vorlage stammt aus dem Kanzleramt, sie sei, so heißt es aus SPD-Kreisen, von Scholz und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt lange vorbereitet und vor allem mit dem Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck und FDP-Finanzminister Christian Lindner immer wieder besprochen und abgestimmt worden – etwa auf der Kabinettsklausur im brandenburgischen Meseberg Anfang März oder bei gemeinsamen Reisen.
Die Spitzen von Partei und Fraktionen hatten den vollständigen Entwurf allerdings erst einige Stunden vor der Sitzung des Koalitionsausschusses erhalten – doch zumindest aus SPD-Sicht standen „keine Überraschungen drin.“ Und 95 Prozent seien nach dem Sitzungsmarathon auch so geblieben.
Die Erzählungen der Grünen decken sich damit zu großen Teilen, weichen in einem entscheidenden Detail aber doch ab: Vorgespräche zwischen Scholz, Lindner und Habeck habe es zwar tatsächlich gegeben, sie hätten bloß zu keinen wirklichen Ergebnissen geführt. Das Papier, mit dem der Kanzler in den Koalitionsausschuss ging, bei den Grünen heißt es nur noch das Scholz-Papier, sei nicht mit ihnen abgestimmt gewesen. Habecks Punkte aus den Vorbesprechungen hätten sich darin nicht wiedergefunden.
Entsprechend zäh seien daher die Gespräche verlaufen. Die Grünen fühlen sich in der Koalition in die Ecke gedrängt: SPD und FDP zeigen ihrer Ansicht nach überhaupt kein Interesse mehr am Klimaschutz. Im Koalitionsausschuss hätten sich sowohl die Sozialdemokraten als auch die Liberalen sofort hinter das Scholz-Papier gestellt. In einer Eins-gegen-Zwei-Situation sei es dann allein an den Grünen gewesen, in mühsamen Verhandlungen zumindest Halbsätze zugunsten des Klimaschutzes abzuändern.
FDP lobt sich, SPD zufrieden
Eine Erzählung, die man in der SPD höchst ärgerlich findet, auch die Sozialdemokratie stünde schließlich für Klimaschutz. Aber bitteschön pragmatisch und die Menschen mitnehmend. Die Atmosphäre während des Verhandlungsmarathons sei auch keineswegs „showdownmäßig“ gewesen, sondern höchst konstruktiv.
Aber wie konstruktiv ist es, 48 Stunden zu verhandeln, um fünf Prozent in einem angeblich abgestimmten Papier zu ändern? Hat sich das wirklich gelohnt? Ja, finden FDP und SPD. Der Finanzminister wirkte am Dienstagabend im Bundestag sogar richtig euphorisch und wünschte sich Marathonsitzungen mit solchen Ergebnissen monatlich. Gleich nach dem gemeinsamen Statement der Parteivorsitzenden twitterten die ersten FDP-Politiker*innen Glückwünsche. Für den Vorsitzenden der FDP Bayern war es „ein hervorragendes Verhandlungsergebnis“. Der klimapolitische Sprecher der Fraktion lobte die „sektorübergreifende Rechnung“ und „Technologieoffenheit“.
Noch am Dienstagabend kursierte ein Papier aus FDP-Parteikreisen, in dem die Liberalen auf vier Seiten ihre Erfolge verkaufen. Das Klimaschutzgesetz werde „aus der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft überführt“, heißt es etwa darin. Zudem wird aufgeführt, was die FDP in den Verhandlungen alles abgewehrt hat. Zum Beispiel „die Reduktion der Pendlerpauschale“, eine „E-Auto-Quote von 100 Prozent bis 2030 für Firmenflotten und die Verdoppelung der Dienstwagenbesteuerung ab 2024“.
Auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion strahlte am Mittwochmorgen beim regulären Pressebriefing mit Kaffee und Croissants: Die SPD-Fraktion sei mit allen Punkten des Papiers zufrieden.
Kritik am Kanzler
Ganz anders das Bild bei den Grünen. Sie versuchen noch nicht mal, das Gesamtergebnis als Erfolg zu verkaufen. Sogar aus der Parteizentrale heißt es, dass zur Ehrlichkeit gehöre: Die Lücke, gerade beim Klimaschutz im Verkehr, sei weiter sehr groß.
Die Rückmeldungen von der Basis, so berichten Abgeordnete am Mittwoch, sind ganz überwiegend negativ. „Es ist bitter, dass Olaf Scholz und Christian Lindner sich hier gegen den Klimaschutz verbrüdert haben“, sagt Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend. Kein Grüner, den man am Mittwoch ans Telefon bekommt, klingt in der Sache anders. Auf Instagram nennt der Vorsitzende des Stadtverbands Hannover das Papier einen „Clusterfuck“.
Kaum Kritik gibt es jedoch an der Verhandlungsleistung der sogenannten Sechserrunde – also an den Partei- und Fraktionsvorsitzenden sowie Robert Habeck und Annalena Baerbock, die die Grünen im Koalitionsausschuss vertreten haben. „Unzufriedenheit darüber, wie unsere Leute verhandelt haben, habe ich bislang nirgendwo gehört“, sagt der Europa-Abgeordnete Rasmus Andresen. Die Dauer der Verhandlungen spielt dabei sicher eine Rolle: Die 48 Stunden scheinen die These zu belegen, dass wirklich hart verhandelt wurde, aber nicht mehr drin war.
Auf die beiden anderen Parteien konzentriert sich dann auch der öffentlich geäußerte Ärger der Grünen. Stärker als die FDP nehmen sie dabei mittlerweile die Partei des Kanzlers ins Visier. Klar erkennbar ist der Versuch, den öffentlichen Druck vor allem auf Olaf Scholz zu erhöhen, den die Sozialdemokraten auf Wahlkampfplakaten noch als „Klimakanzler“ betitelt hatten.
Es ist ein taktischer Schwenk, hinter dem eine größere Strategiefrage steckt: Die Grünen wollen die Koalition nicht platzen lassen, allein schon, weil eine bessere Alternative fehlt. Einen Koalitionsausschuss ergebnislos zu beenden, kommt für sie aber auch nicht infrage – staatstragend, wie sie längst sind, empfänden sie das als verantwortungslos. Wie aber wollen sie dann in der Ampel bis zur nächsten Wahl überhaupt noch Klimaschutz durchsetzen?
Härtere Gangart in der Koalition
Intern läuft die Strategiedebatte an. Dabei geht es auch um das Selbstbild der Grünen als fairer Player in der Ampel, der stets vertrauensvoll mit den Partnern zusammenarbeitet. Ein Ansatz, der an Grenzen stößt, wenn die anderen mit härteren Bandagen kämpfen.
„Bei der Existenzfrage Klimaschutz ist die Ausgangslage in der Koalition 2:1. Die Klimakrise wird sich weiter verschärfen, wenn das nur als Spezialthema der Grünen verstanden wird“, sagt der Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler. Man müsse inhaltliche Konflikte noch stärker machtpolitisch analysieren und angehen, folgert er. Konsens ist das in der Fraktion nicht. Eine Einzelmeinung aber auch nicht mehr.
Zu beobachten sein könnte eine härtere Gangart schon bald in den Gesetzgebungsverfahren, die aus den Ergebnissen des Koalitionsausschusses folgen. Rechtlich bindend ist das Papier des Gremiums ja nicht. In vielen Detailfragen bleibt es zudem schwammig – etwa bei der Frage, ob 30 Jahre alte Gasheizungen nun gegen klimaneutrale ausgetauscht werden müssen oder nicht. Sowohl innerhalb des Kabinetts als auch im Bundestag bleibt Raum für Verhandlungen.
„Ich sehe die Chance, dass wir im Bundestag auf Fachebene noch etwas herausholen“, sagt der Grünen-Abgeordnete Kassem Taher Saleh. Der Grünen-Umweltpolitiker Jan-Niclas Gesenhues hat bereits angekündigt, sich auf Zugeständnisse aus dem Koalitionsausschuss erst einzulassen, wenn SPD und FDP auch Punkte der Grünen tatsächlich umsetzen. Über „Zugeständnisse bei ‚Geld statt Fläche‘“ könne überhaupt erst gesprochen werden, wenn „wirklich ein verbindliches und gutes Flächenbedarfsgesetz für Biodiversität vorliegt“.
Und bis die Ausschussvereinbarungen zum Autobahnausbau tatsächlich dazu führen, dass die Bagger rollen, stehen in Bund, Ländern und Kommunen auch noch diverse Entscheidungen an. Grüne Verkehrspolitiker*innen haben bereits angekündigt, alle Hebel zu nutzen, die ihnen bleiben.
Auch nach 36 Stunden Koalitionsausschuss ist in der Ampel also noch lange nicht alles geklärt. Das nächste Gipfeltreffen wird kommen. Nach dem Ausschuss ist vor dem Ausschuss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Protest in Unterwäsche im Iran
Die laute Haut
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“