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Pro und Contra zur autofreien InnenstadtWie sozial ist das denn?

Das Ringen um den Raum auf der Straße ist auch ein Kulturkampf. Aber: Ist die autofreie Stadt überhaupt sozialverträglich?

Gab's alles schonmal: Erster autofreier Sonntag in Berlin, 1973 auf dem Kudamm Foto: dpa/picture alliance

Pro

Das ist eine gute Nachricht. Der Kulturkampf gegen das Auto hat begonnen. Geführt wird er von unten: von BürgerInnen, die ihrer Lebensqualität in der Stadt, ihrer Sicherheit und dem Klimaschutz größeren Stellenwert einräumen als dem individuellen Anspruch darauf, mit dem eigenen Auto Lebensqualität und Sicherheit anderer sowie das Klima für alle zu beschädigen. Nicht die Industrie und auch nicht die Politik sind die Antreiber dieser Debatte, sondern jene, die die autofreien Straßen mit Protest­aktionen und wissenschaftlich fundierten Analysen einfordern.

Die Forderung nach Innenstädten ohne motorisierten Individualverkehr ist keineswegs nur ein Projekt grünliberaler Eliten, sondern wird von Fahrradfahrern, Eltern und Klimaaktivisten aus allen sozialen Schichten erhoben. Genauso milieuübergreifend sind ihre Gegner, jene, die am privaten Luxus eines Autos festhalten. Der Auto-Fetisch ist vom Einkommensmillionär bis zum kleinen Handwerker verbreitet – doch deren Individualinteresse schadet der Allgemeinheit. Die Verbannung der Autos etwa aus dem S-Bahn-Ring träfe alle gleichermaßen. Unsozial ist das nicht.

Autos sind auch kein Fortbewegungsmittel derer, die morgens um 4 Uhr unsere Schulen putzen. Etwa 300 Euro sind monatlich notwendig, um ein Auto zu unterhalten. Wer prekär lebt, muss darauf seit jeher verzichten. In Berlin sind das viele: mehr als die Hälfte der Haushalte hat – auch aus anderen als finanziellen Gründen – überhaupt kein eigenes Auto. Warum auch? Schon jetzt hat Berlin einen öffentlichen Nahverkehr, der einen nahezu überall schneller hinbefördert als das eigene Auto auf den überfüllten Straßen.

Mehr öffentliche Infrastruktur

Hinzu kommt: der Weg zu einer autofreien Innenstadt geht nur über eine weitere massive Verbesserung des Angebots von BVG und S-Bahn. Wer morgens um 4 zu seinem Arbeitsplatz muss, braucht ein entsprechendes Angebot ohne lange Wartezeiten. Für Pendler müssen Park-and-Ride-Angebote ausgebaut werden.

Und für Wege, die nicht anders zurückgelegt werden können, braucht es Car-Sharing-Angebote, die finanzierbar sind und deshalb nicht privaten Firmen überlassen bleiben dürfen. Mit all diesen Begleitmaßnahmen gibt es keinen Grund mehr, warum 3,5 Millionen tägliche Kfz-Fahrten, von denen nur ein minimaler Teil auf Pendler entfallen, und insgesamt 1,2 Millionen Autos, die 95 Prozent der Zeit ungenutzt herumstehen, die Stadt verstopfen.

Eine lebenswerte Stadt bietet Platz für Flaneure, Straßencafés, für Radfahrer und Kinder. Sie ist außerdem die Voraussetzung dafür, dass Berlin seinen Teil zur Lösung der globalen Klimakrise leistet. Die Zeit dafür ist gekommen. Jetzt braucht es Mut – und keine Ausflüchte. Erik Peter

Contra

Eins vorneweg. Mit Testosteron vollgepumpte Männer, mit oder ohne Tattoo, die die Straßen der Stadt als Kampfplatz missbrauchen, sind mir zuwider. Nur frage ich mich, wie es wäre, wenn die Straßen der Innenstadt nur noch von Besserverdienenden genutzt werden, die unter dem Pflaster nicht den Strand entdecken, sondern ihre teuren Kinderwägen statt der SUV spazieren fahren.

An manchen Orten in Prenzlauer Berg ist bereits abzusehen, welche Bilder eine Eroberung der Innenstadt durch die Gewinner der Gentrifizierung hervorbringt. Und die Gewinner der Gentrifizierung werden auch die Gewinner einer autofreien Innenstadt sein, wenn diese nicht sozialpolitisch abgefedert wird. Man könnte auch sagen: Was die Mietenexplosion trotz aller Verwerfungen noch immer nicht geschafft hat, könnte ausgerechnet die autofreie Stadt bewirken: die massive Verdrängung von Geringverdienern aus den Innenstadtbezirken.

Fridays for Weltklima

In diesen Tagen dreht sich alles ums Klima. Aus dem einsamen Protest von Greta Thunberg in Stockholm ist eine globale Bewegung geworden. Sie ruft zum weltweiten Streik auf. Am 20. September protestiert „Fridays For Future“ in 400 deutschen Städten, weltweit soll es 2.000 Aktionen in 120 Ländern geben. Gleichzeitig stellt die Bundesregierung die Weichen für eine strengere Klimapolitik.

Die taz ist Teil der Kampagne „Covering Climate Now“. Mehr als 200 Medien weltweit setzen bis zum UN-Klimagipfel vom 21. bis 23. September in New York gemeinsam genau ein Thema: Klima, Klima, Klima.

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Denn wer prekär lebt, ist oft auf das Auto angewiesen. Ein Job hier, einer dort, dazwischen kurz das Kind versorgen? Geht nur mit dem Auto. Schichtarbeit als Krankenschwester in einer Klinik am Stadtrand? Auto. Ein Intensivpfleger mit eng getaktetem Zeitplan für die Pa­tienten? Auto. Arbeit in der Gastronomie bis morgens um drei. Auto. Mögen sich die Besserverdienenden mit guter Arbeit die autofreie Stadt leisten können, sind viele, die in der Innenstadt wohnen bleiben wollen und am Monatsende kaum mehr was auf dem Konto haben, auf das Auto angewiesen.

Stadt: Ein Nebeneinander von Fremden

Und dann gibt es noch die, die ohne ihr Statussymbol zu Zwergen schrumpfen würden. Man muss sie, wie gesagt, nicht mögen. Aber Stadt ist immer auch das Nebeneinander von Fremden, die sich nicht lieben, wohl aber nebeneinander leben lernen müssen. Ein Abbild dieser sozialen und kulturellen Mischung ist auch der Straßenverkehr mit dem Nebeneinander von Autos, Fahrrädern und E-Scootern.

Eine Stadt, in der nur noch Gleiche unter ihresgleichen leben würden, wäre nichts anderes als ein überdimensioniertes Dorf. Ein solches Dorf aber könnte aus der Innenstadt werden, wenn, nennen wir sie Maik und Mesut, künftig nicht mehr auf der Sonnenallee ihre BMW flott machen dürften.

Ja, auch an ihnen darf der Klimawandel nicht vorbeigehen, auch sie müssen den Schuss hören. Aber besser, sie hören ihn in der Innenstadt als am Stadtrand. Manche Grünenwähler, die diese Nachbarn schon immer störend fanden, dürften sich über solche Kollateralschäden der autofreien Stadt heimlich freuen.

Die Zurückdrängung des privaten Autoverkehrs braucht also eine Gentrifizierungsbremse. Wer nachweisen kann, dass er oder sie auf das eigene Auto angewiesen ist, muss es auch weiter nutzen können. Wer seinen Lieferwagen braucht, um als Handwerker über die Runden zu kommen, muss sich nicht verteidigen müssen. Und wer sich ohne Auto nackt fühlt, darf sich auch in Chrom kleiden dürfen. Teurer darf es aber gerne werden, wenn das Auto nicht beruflich gebraucht wird.

Vielleicht teilen sich Maik und Mesut dann mal einen tiefgelegten BMW, wenn es für zwei nicht mehr reicht. Auch eine Art von Sharing. Uwe Rada

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46 Kommentare

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  • "... braucht es Car-Sharing-Angebote, die finanzierbar sind und deshalb nicht privaten Firmen überlassen bleiben dürfen."

    Warum muss Carsharing öffentlich betrieben werden? Private haben Carsharing erst ins Rollen gebracht. Und Carsharing ist bereits heute günstiger als ein eigenes Auto. Dort wird gute Arbeit gemacht.

    Zudem sind Konzepte notwendig in denen Private, Öffentliche und private Carsharingkunden zusammenkommen. Der Autopool von Firmen und der Verwaltung kann am Wochenende oder nach Feierabend beispielsweise der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

    Ein rein öffentliches Carsharing schaftt weniger Autos von der Straße.

    Aber ansonsten klar. Die Kommunen müssen Carsharing massiv unterstützen. gerne auch als eigener Anbieter.

  • "sondern jene, die die autofreien Straßen mit Protest­aktionen und wissenschaftlich fundierten Analysen einfordern."

    ... ist falsch!

    "Jene" fordern auf Basis wissenschaftlich fundierten Analysen autofreie Städte ein. Es ist längst erwiesen, dass es den Klimawandel gibt und Verkehr einer der großen Verursacher ist.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Die Leute verstehen das falsch, der Klimawandel ist nicht das Problem, der Klimawandel ist die Lösung des Planeten für das Problem Menschheit, 5 Jahre verregnete oder zu heiße Sommer und Hunger und Seuchen lösen das Problem für den Planeten. Das Problem ist Umweltverschmutzung und wenn wir das nicht in den Griff kriegen dann werden wir alle vom Planeten als Humus verwertet.

  • Wir alle verbrauchen zu viel Energie & Ressourcen. Die Einwände der Autofans sind reines Wunschdenken.

    Der motorisierte Individualverkehr ist eine Seuche, der die Welt befallen hat. Egal ob nun mit Strom oder Gas oder Erdöl betrieben.



    Dabei geht es mitnichten nur CO².

    - Böden werden versiegelt, damit Autos stehen können



    -Böden werden versiegelt, damit Autos fahren können.



    - Diese versiegelten Böden ersetzen Grünflächen.



    - Autos verbrauchen bei der Herstellung Ressourcen und während sie betrieben werden



    - Autos verschmutzen die Luft



    - Autos töten und verletzen tausende von Menschen - häufig unschuldige Fußgänger und Radfahrer.



    - Autos verstopfen die Strassen und behindern den ÖPNV



    - Autos verpesten die Luft und das Wasser



    - Autos machen Lärm und erzeugen damit andauernden Stress



    - Autos fördern den Bewegungsmangel

    Die gute Nachricht ist: Autos sind in vielen Regionen gänzlich überflüssig und können in allen Regionen überflüssig gemacht werden.

    Menschen, die meinen ein Auto zu brauchen erinnern mich an Drogensüchtige oder Alkoholiker. Die Argumente sind vorgeschoben und halten keiner Hinterfragung stand.

    • @Michael Garibaldi:

      Wie sehen denn Ihre attraktiven Alternativen aus?

      Und bedenken Sie vielleicht auch

      1. dass es die möglicherweise schon viel länger gibt als den pösen motorisierten Individualverkehr und trotz ihrer ach so einleuchtenden Vorzugsürdigkeit sich letzerer nicht ohne Grund im Bereich Personentransport spielend gegen sie durchgesetzt hat.

      2. dass diese Alternativen in unserem Land schon auf demokratischem Wege durchgesetzt werden müssten. Es reicht also nicht, sie im Stil eines Rio-Reiser-Postulats ("Wenn ich König von Deutschland wär...") für einzig umsetzungswürdig zu erklären. Das allein ist und bleibt nur idealistisches Geurteile über Dinge, über die im Zweifel Jeder sein eigenes Urteil fällt und es keinesfalls einfach so dem Ihren unterwirft.

      Die Mehrheit hat nicht notwendigerweise "Recht". Aber ein Konzept, das nicht mit einbezieht, wie man sie praktisch davon überzeugt, dass sie nicht nur Unrecht hat sondern auch WIRKLICH mal was ändern muss, verdient nicht wirklich die Bezeichnung "Konzept". Welche Alternative theoretisch voll öko und "richtig" wäre, ist eine zutiefst banale Erkenntnis (zumal wenn die sich, - wie Ihr bisheriges Posting - nur in der Gegenrede gegen den Status Quo erschöpft).

      Fazit:



      Autos gefallen. Die Alternativen gefallen nicht. DAS muss sich ändern.

      Zu Ihrer abschätzigen Bemerkung zum Schluss (Motto: "Wenn Dein Gegenüber nicht so denktund schlussfolgert wie Du, sprich ihm erstmal das Urteilvermögen ab."): Überlegen Sie mal, Sie kämen einem ECHTEN Drogensüchtigen mit Ihren Argumenten. Würde DAS ziehen?



      Und was würde?

      • @Normalo:

        Dass eine hedonistische Mehrheit für den Augenblick plant und sich nicht um die Zukunft schert ist ja nichts neues.

        So war die Welt immer schon.



        Der Unterschied ist diesmal, dass dieses Verhalten dazu führt, dass der Planet unbewohnbar werden kann.

        Vermutlich ist tatsächlich nicht zu erwarten, dass Alle das verstehen und das ist auch nicht nötig. Uns reicht eine qualifizierte Mehrheit.

        Unter den Erstwählern wäre sogar eine Regierung aus Grünen, Linken und Der Partei möglich .....

        Wir haben gesehen, was ein heißer Sommer und tausende von Kindern auf der Straße tun können.



        Und es werden noch viele glühende trockene Sommer folgen. Und die Kids gehen erst mal auch nirgendwo hin außer weiter auf die Straße.

        Der Klimawandel wird und muss uns radikalisieren.

        • @Michael Garibaldi:

          "Der Klimawandel wird und muss uns radikalisieren."

          Wen meinen Sie mit "uns"?

          Die Mehrheit wird bis auf Weiteres nicht aus Erstwählern bestehen. Und bei Zweit-, Fünft- und Zehntwählern ändern sich meist die Prioritäten. Schauen Sie mal, was die die Grünen heute für eine Politik machen. Ihre ersten Anhänger haben noch eine kommunistische Kaderpartei von Bürgerschrecken gewählt (O-Ton meines urgrünen Sowi-Lehrers). Die sind auch eher entradikalisiert, obwohl der Klimawandel eine weit größere Gefahr darstellt, als es der ursprüngliche, radikal bekämpfte Nemesis, die Atomkraft, nüchtern betrachtet je war. Selbst die FFF-Jugend würde ums Verrecken ihre Smartphones nicht aufgeben, obwohl man über die genauso eine Litanei der Schädlichkeit verfassen könnte wie Sie oben über das Auto. Am Ende ist viel von der Radikalisierung punktuelle Aktivität,und das Endresultat sind mehr oder minder erfolgreiche Kreuzzüge gegen einzelne vermeintliche Hauptschädlinge, die vergessen sind, wenn die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Der Rest bleibt eh, wie er ist, oder verändert sich ganz langsam.

          Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich will nicht dem Status Quo das Wort reden. Mir scheint nur die Radikalisierung der falsche Weg, um Mehrheiten wirklich zu überzeugen. Wer das Ruder echt rumreißen will, kommt nicht umhin, auch die Hedonisten irgendwie abzuholen. Und "abholen" ist eben nicht Kanzel der selbsterklärten Verstehenden gemeint, von der herab der Hedonismus gegeißelt und mit Verboten traktiert wird. Ein bißchen mehr Epikur täte dem Ganzen nicht schlecht. Die Menschen sind keine Roboter.

  • Wer Berlin stets als Maß aller Dinge nimmt und von Berlin automatisch auf anrede Orte schließt, ist kaum in der Lage, zu einem differenzierten Urteil zu kommen. Nehmen wir als Beispiel Solingen. Wegen der Lage dieser Stadt gibt es z.T. erhebliches Gefälle, das von normalen RadlerInnen nicht zu bewältigen ist. Dafür hat Solingen eine andere Besonderheit: Hier fuhren die ersten elektrischen Busse, die allerdings den ÖPNV auch nicht zum Allheilmittel machen.



    Schon die Tatsache, dass Kommentatoren hier noch nicht einmal ahnen, dass auch prekär Beschäftigte auf ein Auto angewiesen sind, macht doch ziemlich drastisch deutlich, wie ideologisch verblendet solch eine Diskussion sein kann. Ich hoffe, dass die Zeit der Hysterie und Empörung irgendwann vorbei ist und konstruktives Denken wieder Oberhand gewinnt. Und zwar ausschließlich im Sinne eines ökologischen Fortschritts, der mit dem derzeitigen Ökopopulismus nichts am Hut hat.

  • Der Pro-Text ist geschrieben, als bestünde die Welt aus: Berlin. Das wirkt nicht so weitsichtig, wie der Autor seine Meinung sicherlich gerne verstanden wissen möchte...

    Genauso kommt dann auch das gesamte Anliegen daher. Ja es ist nicht schön für uns Innenstädter, dass es bei uns vor der Tür immer so stinkt und lärmt (warum zahlen wir eigentlich die exorbitanten Mieten??). Dörfliche Idylle bei voller urbaner Infrastruktur ist ein schönes, aber auch ein wenig egoistisches Wunschbild, macht es doch das Erreichen diese Idylls für Alle, die NICHT in seiner Nähe wohnen ungleich umständlicher.

    Und deshalb wird es auch nicht so einfach funktionieren. Die Innenstädte würden massiv an Zulauf und Lebhaftigkeit einbüßen. Denn Jene, die heute mit dem Auto zum Shoppen da hineinfahren, würden erstmal auf außerstädtische Einkaufszentren etc. ausweichen, wo man noch mit dem Auto hinfahren darf, bevor sie sich an hybride Park&Ride Systeme gewöhnen. Das tun sie vielleicht irgendwann, aber Einzelhandel und Gastronomie haben im Zweifel bis dahin einen Schlag erhalten, der viel Leben verschwinden lassen würde, das auch nicht mehr nachwächst.

    Wer unbedingt dörflich wohnen will, soll aufs Dorf hinziehen. Die Arbeitsplätze werden schon folgen. Das entlastet die Innenstädte dann auch...

  • Beides Mist - weil falsche Denke: man muss darüber nachdenken, wie man Alternativen fördert, nicht, wie man das Autofahren behindert.

    Das Problem liegt daran, dass Straßen erst mal so gebaut werden, dass Autos darauf fahren. Dann plant man den ÖPNV. Der Rest (Radfahrer, Fußgänger, ...) wird einfach noch an den Rand des bestehenden mit ran geklastscht, aber ohne Verkehrskonzept.

    Ziel muss sein, dieses zu ändern: ein Radverkehrsnetz (ob mit oder ohne Elektro-Hilfsmotor) muss genauso geplant werden, wie bisher ein Automobilverkehrsnetz. Da kann man, muss aber nicht zwingend die Autos und ihre Fahrer vollständig aus der Stadt verbannen - Platz machen müssen sie auf jeden Fall. aber nur Sperrschilder aufstellen und die Leute selber suchen lassen sorgt nur für die Abwahl des Bürgermeisters.

    Manch einer steigt dann auch tatsächlich um, und findet auch mit wenig Geld in der Tasche geeignete Wege.

  • "Denn wer prekär lebt, ist oft auf das Auto angewiesen."

    Auf welchem Planeten ist das denn nun wieder? Auf dem, auf dem ich lebe, haben Menschen, die präkar leben keine Autos und warten auf Busse mit bis zu 30 Minuten Verspätung, die im Stau stecken, weil irgendwelche Umweltsäue mi8t ihren SUVs die Stadt verstopfen.

    Das muss ja ein lustiger Planet sein, wo die Reichen zu Fuß gehen und die Armen Auto fahren.



    Aber da scheint es auch viele Ahnungslose zu geben.

    • @Michael Garibaldi:

      Schöne auf den Punkt gebrachte Antwort.

      Es ging mir schon bei den Gelbwesten gegen den Strich, dass der von CO2 Steuern Betroffene vielfahrende Ober- und Mittelstand sich als das ausgebeutete Weltprekariat geriert hat

    • @Michael Garibaldi:

      Ziemlich exakt das Gleiche ist mir auch durch den Kopf gegangen.

      • @Anna Bell:

        Das ist ja wohl die naheliegende Reaktion auf solchen Blödsinn. ;)

        Hier - wo ich wohne - ist niemand auf ein Auto angewiesen. Dass es Autos gibt erschwert halt das Leben derer, die den ÖPNV nutzen.

        Das hat auch gar nix mit arm und reich zu tun, sondern mit Bequemlichkeit und der Sucht nach Bewegungsmangel.

  • Die soziale Frage besteht v.a. darin, dass Reiche nicht an lauten und abgasgeschwängerten Straßen wohnen möchten, und dass diese Wohnngen daher relativ preiswerter zur Verfügung stehen.

    Die sozial schwachen, die auf diese Weise zu billigeren Wohnunen kommen, zahlen aber einen hohen Preis, von Atemwegserkrankungen bis zu Herzinfarkten. Ihre Kinder lernen weniger, haben auch mehr lärmbedingten ADHS, und bleiben damit sozial zurück.

    Wer sozial argumentiert, muss die Sachverhalte auchklar benennen.

    • @meerwind7:

      Der Sachverhalt sieht mit Autos immer so aus, dass es unabhängig vom Einkommen Hauptverkehrsstraßen geben wird. Es ist deshalb keine soziale sondern eine ökologische Frage.

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    "Wer prekär lebt..."



    Prekär leben vor allem Menschen, die zu Fuß oder mit dem Rad den Gefahren der Straße (und des Gehwegs) ausgesetzt sind. Das ist nicht nur eine Frage des Arbeitseinkommens und der ungesicherten wirtschaftlichen Verhältnisse. Warum der Unfall neulich in Berlin eine solche Wirkung entfaltet? Weil eruns aus der Verdrängung gerissen hat: es kann jeden Moment passieren und jede_n treffen.



    Mir ist es egal, wie nackt sich jemand ohne Auto drumrum fühlen mag. Ich fühle mich deretwegen in einer prekären Lage, täglich bedroht von diesen Fahrzeugen bzw. denen hinter dem Lenkrad und das hab ich allmählich satt, aber so richtig!

  • "Und wer sich ohne Auto nackt fühlt, darf sich auch in Chrom kleiden dürfen. Teurer darf es aber gerne werden, wenn das Auto nicht beruflich gebraucht wird."



    Mir ist doch so, als hätte der Autor hier eher sich selbst im Sinn als "Maik und Mesut"......

  • Warum die Fokussierung auf Innenstädte? In Berlin, Hamburg oder Anderen Großstädten macht dies wenig Sinn. Die Infrastrukturschwerpunkte sind über die ganze Stadt verteilt. Sich da einen Schwerpunkt herauszupicken ist schwach und keine wirkliche Maßnahme gegen Autoverkehr in Städten. Warum nicht gleich in allen Stadtteilen mit ihren Schwerpunkten?



    5% der Stadt autofrei? Da kann man es auch gleich sein lassen.

  • Titel und Untertitel kommen unklar daher. Geht es nun um autofreie Innenstädte oder autofreie Städte?

    Ersteres ist nicht mehr als eine Ausweitung von Fußgängerzonen und ein pro und contra diesbezüglich weltfremd und von vorgestern. Es gibt sie bereits seit Jahrzehnten. Nicht mehr plant beispielsweise der Rot-Grün-Rote Senat in Bremen und die Aufregung darüber geht gegen Normalnull.

  • Ich seh es schon kommen, dass bei der Befreiung der Städte vom Auto jedes Wochenende Horden von vor Freude strahlender PKW über's Land rattern um die Idylle und den Asphalt zu genießen. Was machen dann bloß die armen Motorräder, die dann keine freie Fahrt mehr finden für das Ausleben ihres Freiheitsdrangs. Eine ganze Landschaft wird sich verändern, wenn das allvorherrschende Knattern und Grollen der Freizeit'-Zweiräder verdrängt wird vom Leerlaufsurren und Hupen ihrer vierrädrigen Artgenossen? Und das dann nicht nur bei Sonnenschein... Argh...

  • "Geführt wird er von unten." - Das gerade eben nicht. Insbesondere, wenn wir die Bürger mit Bildungskapital zu denen mit Finanzkapital dazurechnen. Schaut uns selbst hier in den Kommentaren an — da mag der Eine oder die Andere sein, die nicht viel Geld verdienen (Gutes Abi in Freiburg und dann doch Rikschafahrer in Berlin geworden), aber n echter Prolo is hier gewiß nich dabei. Nur welche, die so tun.



    Sonst wären se nich hier bei der TAZ. Dem Fachmagazin für moralisch-habituelle Distinktionsgewinne,

    • @Heide Gehr:

      Weil arme Menschen gleichzeitig dumm sind und nur in Hauptsätzen denken können oder was?



      Also lebe seit Jahren von Hartz VI (bin gelernter Facharbeiter und habe tatsächlich Abi) und lese die Taz, weil sie die einzige Tageszeitung mit nem halbwegs emanzipierten Blick auf die Welt ist und ich keinen Bock habe mich mit rassistischer und sexistischer Propaganda aus dem Hause Springer oder deren Konkurrenz versorgen zu lassen.



      Distinktionsgewinne habe ich als Anarchist davon allerdings keine. Ich muss mich aber beim lesen deutlich seltener über die Menschenfeindlichkeit der Autor*innen aufregen. Das schont das Herz und das ist sonst schon genug gestresst.

  • So einen Contra Stuss, der mit so vielen stigmatisierenden Andeutung und Bildern versetzt ist, hat sich in den 80er Jahren nicht einmal die CDU, die ADAC Motorwelt oder die FAZ erlaubt. Da wurde nur angedeutet, dass Fußgänger und Fahrradfahrer eigentlich unter die Erde gehören.

    "Freie Fahrt für freie Bürger" wegen Gentrifizierung? Kinderwagen gleich SUVs? Schwanzvergleiche tätowierter und nicht tätowierter Abgasschnüffler mit Kastrationsängsten, gleichberechtigt neben dem Wunsch "Ohne Auto mobil" sein zu können? Ist schon eine sehr aufschlussreich "Argumentationskette"!

  • Ich habe den Eindruck, dass alle, die hier und anderswo das Hohelied des Fahrrads singen, offenbar in der norddeutschen Tiefebene wohnen und arbeiten.

    Hier im Süden, wo es hügelig ist, ist Fahrrad fahren kein Genuss, sondern pure Anstrengung, die vor allem älteren Menschen und Menschen mit einem Handicap nicht zugemutet werden kann.

    • @Der Allgäuer:

      Ziehen Sie in die Stadt, gentrifizieren Sie Kollegen Uranus und Konsorten aus ihren ÖPNV/Radweg Heimstätten und leben dann einfach selbst diesen den Anderen überlegenen Stil. Wetten, wenn Sie dann den Uranus mit ihrem Velomobil mit 40 Sachen überholen, während er von Außen kommend, schon 20km hinter und noch 30 Minuten vor sich hat, dann stellt der bestimmt sofort die Systemfrage und fordert Reichen wie Ihnen, das viele Geld wieder wegzunehmen.

    • @Der Allgäuer:

      ... ob noch die Ausreden von Menschen aus Norddeutschland kommen: "und hier ist es so windig und deswegen pure Anstrengung"? ;)



      Zum einen ist es eine Frage des Trainings, der Gangschaltung zum anderen gibt es auch Ebikes oder windschnittige Velomobile (ebenfalls mit Emotor erhältlich).

      • @Uranus:

        Die erste Fußgängerzone Deutschlands gab es in Norddeutschland, in Oldenburg. Die Innenstadt ist dort heute... jepp! Autofrei!

  • Mal einen zur Sozialverträglichkeit: Ich übernehme jetzt mal ungeprüft die 300 Euro pro Monat Unterhaltskosten pro Wagen (ich neige aber dazu, diesen Durchschnittswert zu glauben, in Anbetracht dessen, was manche an Kilometern runterreissen und was gerade die älteren Fahrzeuge der Schlechterverdienenden an Reparaturen kosten) – da wäre doch die BVG-Monatskarte locker finanziert, dazu die eine oder andere Taxifahrt oder eben ein Gelegenheitsleihwagen. Dafür braucht es dann halt auch einen besseren S-Bahntakt und gerade für die Leute aus Ahrensfelde, Marzahn etc. endlich ein Ende des jahrelangen Schienenersatzverkehrs. Innerhalb des Rings braucht der Berliner Nahverkehr sich hinter anderen Städten nicht zu verstecken. Wie weit man hier für ein ABC-Ticket kommt, ist zumindest bemerkenswert, aber noch verbesserungsfähig.

    • @Konrad Ohneland:

      Als Ergänzung: Die Kosten pro Monat liegen sogar noch über 300 Euro. Los geht es nach den Beispielen auf folgenden Seiten ab 318 Euro:



      de.wikipedia.org/w...obil#Beispielwerte



      Es ist ein kleines Auto. Je größer desto teurer werden die Dinger. Ein sogenanntes Mittelklasseauto kostet bereits 502 Euro und gilt für diese Klasse als vergleichsweise günstig.

      • 9G
        90618 (Profil gelöscht)
        @Uranus:

        @Uranus



        Danke für den Link!



        Jetzt habe ich Uwe Rada verstanden. Prekär lebt, wer mindestens 300 Euro im Monat zu verballern hat. Ich kenne so einige prekär lebende, die selbst einmalig 300 Euro Anschaffungskosten für ein Fahrrad nicht stemmen könnten. Und wenn sie dann ein 100-Euro-Fahrrad haben, werden sie von Maik oder Mesut über den Haufen gefahren?

        • @90618 (Profil gelöscht):

          Gerne! :)



          Mit dem Tod müssen sich offenbar auch Prekärlebende arrangieren. ;/

  • 9G
    90618 (Profil gelöscht)

    Mal ein bisschen Anekdata:

    Meine Urgroßeltern, meine Großeltern, meine Eltern, ich selbst - wir lebten bzw. leben alle in Berlin, ohne je ein Auto gehabt zu haben. Vor allem, weil das Geld nicht da war oder ist.

    Aus dieser famliären Erfahrung ziehe ich den Schluß: Wer sozialverträgliche Mobilität will, baue den ÖPNV aus und mache ihn preiswert!

    • @90618 (Profil gelöscht):

      Und genau das passiert ja nicht.

      Lieber nur grüne Punkte auf die Fahrbahn und eine Fußgängerzone für hochpreisige Geschäfte in der Innenstadt.

  • Ja ja, Prenzlauer Berg. Hmhm (zustimmendes Nicken), Gentrifizierung ... Soso, Latte Macchiato...



    Wer mal n Unfall hatte mit Auto als Gegner, kann die Dinger nich gut finden. Mit und ohne Prekär und Latte.

  • Das mit der autofreien Innenstadt (autofreier Sonntag) hat heute schon mal super geklappt - in Berlin! Es waren bei dem schön Wetter genauso viele Autos wie sonst bei Regen. Für was wurde am Freitag demonstriert?

  • Schliesse mich meinen VorrednerInnen an: ich kenne einige prekär beschäftigte: alle kein Auto (woher auch?). Contra hat also eine seltsame Vorstellung von prekär.



    Ich vermisse immer noch eine klare Analyse darüber, wie uns die Autoindustrie versucht, zum Kaufen zu verführen: die sind verzweifelt, die sehen ihre Stückzahlen schmelzen, sind aber seit jeher auf Wachstum gepolt. Mir erzähle niemand, der Trend zu grösseren Autos (SUVs, z.B.) komme nur von alleine; das ist es, wo das Wachstum gerade hingeht.

    Nur... wie machen die das?

    • @tomás zerolo:

      Na ja, ich kenne schon ein paar 'Prekäre' mit Auto, nämlich die Wachmänner, mit denen ich an meinem innenstädtischen Arbeitsplatz ab und zu ein Pläuschchen halte. Aber stellen Sie sich vor: die haben auch den Schuss gehört - vielleicht über ihre Kinder - machen sich Gedanken und sind bereit zum Verzicht, solange sie halt auf die Arbeit kommen. Da geht schon was.

    • @tomás zerolo:

      Ich kenne solche prekär Beschäftigten: Pizzaservice und Hauskrankenpflege.

      Ich hatte auch schon Jobs, bei denen ich nachts um 1 Uhr oder früh um 5 anfangen musste. Beide körperlich richtig anstrengend. Glauben Sie, ich bin da mit dem Nachtbus hingefahren?

      Und Frauen machen das erst recht kaum, weil sie Angst haben.

      Deshalb finde ich Contra ja völlig realistisch.

    • @tomás zerolo:

      "Denn wer prekär lebt, ist oft auf das Auto angewiesen." ... fand ich auch völlig daneben. Prekär kann sich schlichtweg kein Auto leisten.



      Und es darf auch nicht nur um die Innenstädte gehen, sondern um die Städte als ganzes. Wer in einem Ballungsraum lebt, braucht auch heute schon kein Auto, um von A nach B zu kommen.

  • Zum Contra-Teil: Also ich sehe da kaum Gründe für Autos. Zumal es doch weniger um Berufs-PKWs geht. Und selbst in dem Bereich machen sich durchaus Leute Gedanken, wie bspw. der eine Schornsteinfeger*innenbetrieb, der Autos durch Cargobikes ersetzt hat. Offenbar müssen alternative Strukturen ausgebaut werden, wie es im Pro-Teil zum Teil auch bereits genannt wird: ÖPNV, Cargobikeverleih, Rufbus/Nachtbusse und für Barrierefreiheit und Nachteilsausgleich (bspw. Anspruch auf Handbike, Aktivrolli, schnelleren ERolli) und Betreuungsangebote/Elternzeiten gesorgt werden. Dann können auch mehr Menschen ihr Auto getrost weggeben.

  • Solange wir über (Innen-)Städte reden: Wenn man bereit ist, einige Nachteile in Kauf zu nehmen, dann geht beinahe alles ohne Auto.

    2 Kinder, 2 Jobs, 1 Studium, 1 Fahrrad, 2 Gepäcktaschen & 1 Rucksack (sowie gute Regenkleidung)

    Von der Arbeit schnell die Kinder holen und noch den Einkauf machen? Fahrrad

    Von der Uni zur Arbeit und wieder zurück? Fahrrad

    Wocheneinkauf für die vierköpfige Familie? Fahrrad

    Tagessausflug ins Grüne? Fahrrad und ÖPNV

    Bis auf die Tage mit fiesem Schneematsch oder Eis, an denen man durchaus aus Sicherheitsgründen das Rad stehen lassen möchte, kann man - mit unterschiedlicher Begeisterung - einfach Fahrrad fahren.



    Es ist deutlich billiger als ein Auto. Gerade wenn man das Rad als Autoersatz sieht sind alle Kosten eigentlich ein Witz.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @pitpit pat:

      volle Zustimmung bin aber Innenstadtbewohner (25 Minuten ins Zentrum mit dem Rad) ich will aber nicht den Leuten die in der Pampa wohnen sagen was sie zu tun und zu lassen haben.

    • @pitpit pat:

      Sehr gut. Genau so geht das.

    • @pitpit pat:

      den ÖPNV nicht nur für die Fahrt zur Arbeit, sondern auch am Wochenende als Familienausflug zu benutzen, ist eine einzige Qual. Bahnen/Busse sind überfüllt und unpünktlich oder fallen ganz aus. Ich weiß ja nicht, wo Sie wohnen, hier in Köln - Bonn - Koblenz funktioniert der ÖPNV jedenfalls nur eingeschränkt.

      • @schoenerrhein:

        Hier in Berlin ist das - gerade am Wochenende - auch nicht ohne.



        Mit Kindern und drei Rädern ganz schnell in den Regionalexpress, der schon von Rädern überquillt?



        Da bringt man besser Geduld und ein Skatspiel mit...

        Deshalb schrieb ich von den Nachteilen, die man (noch) in Kauf nehmen muss.