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Anti-Asyl-Plan der UnionMerz' wichtigstes Argument kommt von Wagenknecht

Eine Forderung werde nicht dadurch falsch, dass die AfD ihr zustimme, meinte Sahra Wagenknecht. Friedrich Merz hat sich den Gedanken zu eigen gemacht.

Keine Zeit für Argumente: Sahra Wagenknecht vom BSW am 29. Januar im Bundestag Foto: Jens Jeske

D ie Wagenknecht-Gruppe hat sich am Mittwoch im Bundestag in der Entscheidung über Merz’ Anti-Asyl-Plan enthalten. Kanzlerkandidatin Sahra Wagenknecht kündigte allerdings an, Merz’ Anti-Asyl-Gesetz am Freitag zustimmen zu wollen. Schlüssig war das nicht, aber ein Hinweis darauf, dass Konflikte auch in den straffsten Kadertrüppchen vorkommen und zu eigentümlichem Kompromissverhalten führen können.

Nun sind Wagenknechts Redezeiten im Bundestag etwas zu kurz, um widersprüchliche Entscheidungen zu erläutern. Andererseits ist sie doch eine Pointenkönigin. Ein wenig enttäuscht war ich also, dass ihr in den zwei Minuten, bis die Ermahnungen vom Präsidium einsetzten, nicht viel mehr gelang, als – in der üblichen Reihenfolge – erst Rot-Grün anzugreifen, dann die CDU, und dann natürlich zum Anti-Amerika-Thema zu kommen: Die Kriege der USA in Afghanistan, Irak und Libyen seien schließlich die Fluchtursachen. Die wichtigste Fluchtursache der vergangenen drei Jahre, der Krieg Russlands gegen die Ukraine, dürfte ihr allerdings kaum aus Zeitmangel entfallen sein.

Hätte sie noch eine Minute mehr gehabt, hätte Wagenknecht Friedrich Merz zum Beispiel daran erinnern können, dass er sein wichtigstes Argument zur Schleifung von Brandmauern von ihr übernommen hat: Eine Forderung werde nicht dadurch falsch, dass die AfD ihr zustimme, sagte Wagenknecht schon im Februar 2024 der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Ihr Mitstreiter, der BSW-Abgeordnete Andrej Hunko, führte wenig später aus, dass das BSW sich entsprechend auch vorstellen könne, AfD-Anträgen zuzustimmen, wenn das BSW sie „inhaltlich gut“ fände. Dies also als Hinweis an die Union: Wer das Ja von Rechtsaußen einsammelt, kann ebenso gut Ja zu Rechtsaußen sagen, Gruß vom BSW. In manchen Dingen braucht’s halt Beinfreiheit, und sei es, dass man dann der Demokratie selbst in die Kniekehlen tritt.

2015 saß ich neben Wagenknecht in ihrem Bundestagsbüro auf dem Sofa, um sie fürs Radio zu interviewen. Man sitzt dabei oft eher nebeneinander als sich gegenüber – jedenfalls dann, wenn der Arm mit dem Mikro zu kurz ist, um über den Sofatisch zu reichen. Gerade hatte in einer weiteren spektakulären Wendung des innerlinken Streits Gregor Gysi den Fraktionsvorsitz im Bundestag hingeworfen, Dietmar Bartsch und Wagenknecht würden übernehmen. Es war der Sommer der steil ansteigenden Flüchtlingszahlen, und ich fragte danach. Sahra Wagenknecht rückte noch weiter weg, als sie vorher schon saß, und flüsterte: „Wir können nicht alle aufnehmen.“ Der Satz war genauso leise, dass er nicht mehr sendetauglich war.

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Inzwischen hat sich die Linkspartei über diese Frage zerspalten. Während die Restlinke regelrecht befreit wirkt und mit ihrem lebendig-differenzierten Ansatz hoffentlich gute Chancen hat, wieder in den Bundestag zu kommen, rutscht Wagenknecht mit ihren Leuten den Hang rechts hinunter, beinahe noch schneller als gedacht.

Vor einem Jahr, am Holocaust-Gedenktag 2024, hatte das BSW seinen ersten Parteitag. Erste Rednerin war die Ost­berliner Publizistin Daniela Dahn, eine ins­gesamt nachdenkliche Linke ohne Partei, aber mit einer unerklärlichen Schwäche für ­Wladimir Putin. Dahn sagte: „Von diesem Parteitag geht unmissverständlich das Engagement für Antirassismus und Antifaschismus aus.“

Doch es war sehr wohl ein Missverständnis. Die Behauptung, „etwas Richtiges wird durch Zustimmung von der falschen Seite nicht falsch“, stimmt nur dann, wenn es gerade nicht um Macht geht. Aber wo mit Mehrheiten Gesetze gemacht werden, ist es so falsch, falscher geht es gar nicht mehr.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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22 Kommentare

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  • Wenn sich Merz die Schizophrenie zu Eigen macht, mehr abschieben, aber den Fachkräftemangel beklagen zu wollen, wo doch arbeitende Menschen, die angetroffen werden, "low hanging fruits" und bei wachsendem Druck auf Sollerfüllung besonders gefährdet sind ...

    Zur Erinnerung: Die Ausbildung eines Facharztes dauert über zehn Jahre. "Abhilfe" heißt, die Kosten dafür auf andere Länder abwälzen und auf Zuwanderung setzen. Wer aber befürchten muß, rauszufliegen, bevor sie/er die Papiere zusammen haben kann, wird sich das nicht antun.

    www.gmx.net/magazi...l-abhilfe-40620850

  • "Während die Restlinke regelrecht befreit wirkt und mit ihrem lebendig-differenzierten Ansatz ..."



    Ist das Satire und ich bin versehentlich bei der "Wahrheit" gelandet??

  • AFD und BSW . Die zwei Hände des Kampfschlumpfs Putin in deutschen Parlamenten.

  • Ich machte wirklich gerne ein Interview mit Sahra Wagenknecht.



    Sie darf aber nicht ausweichen.

    Mir ist so auf der menschlich-subjektiven Ebene einfach nicht klar, wie man da landen kann, wo sie gelandet ist. Wie lebt man das?

  • "Die Behauptung, „etwas Richtiges wird durch Zustimmung von der falschen Seite nicht falsch“, stimmt nur dann, wenn es gerade nicht um Macht geht. Aber wo mit Mehrheiten Gesetze gemacht werden, ist es so falsch, falscher geht es gar nicht mehr."

    Wenig ueberzeugent wenn man jahrelang vorgefuehrt bekommt, dass etwas Falsches durch Zustimmung von der richtigen Seite nicht richtig wird.

  • Ein etwas perfider Spruch, denn einerseits kann er durchaus wahr sein, z.B. wenn Extremisten für den Bau eines Kindergartens mitstimmen. Andererseits wird "das Richtige" nicht hinterfragt, sondern vorausgesetzt und das ist der Knackpunkt, denn das kann durchaus etwas sein, was eben nicht richtig ist.

  • Wenn die AfD zustimmt, läuft gewaltig was verkehrt.

  • Ein wunderbarer Kommentar.

    Natürlich gibt es den Beifall der falschen Seite, wie auch die Zustimmung der Falschen.

    Ich muss sagen, dass ich aus Wagenknecht nicht schlau werde. Sie hat ihre Haltungen, ich möchte das nicht bewerten. Ihre Motivation verstehe ich einfach nicht.

    Sicher ist: Die Linkspartei ohne Wagenknecht ist ein selten gewordener Lichtblick in der deutschen Politik. Vom Streit befreit, so lebendig und klar, dass es eine Freude macht.

    Man kann verändern ohne um jeden Preis Ministerkarossen fahren zu wollen.

  • Damit hat sie ja wohl auch recht.



    Es kann ja wohl nicht sein, dass demokratische Parteien der Mitte nach der AFD tanzen müssen. Demokratische Parteien der Mitte müssen die Möglichkeit haben selbst festzulegen welche Programme sie verfolgen - völlig unabhängig was die AFD denkt oder sagt.

  • Es ist so gekommen wie ich vermutet hatte: die Linke steht ohne Wagenknecht besser da. Ich wünsche der Linken viel Erfolg bei den Wahlen, mehr noch bei ausserparlamentarischen Bewegungen. Ohne letztere bewegen sich Parlamente i.d.R. wenig bis gar nicht.

  • Es macht aber einen erheblichen Unterschied ob eine Fundamentaloppositionspartei a la BSW dieses Stimmverhalten der afd toleriert oder die stärkste Partei in den Wahlprognosen..



    Eine zur Oppositionspartei verdammtes BSW kann so der afd den Wind nehmen und strategisch Protestwähler (möglicherweise) in die andere Richtung bewegen.



    Das kann eine Volkspartei nicht, da ist die Botschaft, die afd kann den großen sogar ans Bein pinkeln, afd wirkt.

    • @nutzer:

      "Eine zur Oppositionspartei verdammtes BSW kann so der afd den Wind nehmen und strategisch Protestwähler (möglicherweise) in die andere Richtung bewegen."

      Was das BSW im Osten geschafft hat ist die Linke zu schwächen.



      Die AFD hat vom BSW nichts zu befürchten, höchstens zu profitieren.

    • @nutzer:

      Zitat: "Eine zur Oppositionspartei verdammtes BSW kann so der afd den Wind nehmen und strategisch Protestwähler (möglicherweise) in die andere Richtung bewegen."

      Kann sie nicht, erwiesenermaßen. Sie kann allenfalls der AfD mit ihrem "Gutfinden" von Anträgen auf den Leim gehen. Denn SW wählt ihre "Angestellten" anscheinend nicht danach aus, daß sie in Thüringen ansässigen "Denkfabriken" gewachsen wären.

  • Sie hat halt vollkommen recht. Die AFD wäre niemals so stark geworden. Für mich ist die Sarah wahrscheinlich auch die, der ich meine Stimme gebe. Auch wenn ich von ihrer Ukrainepolitik leider nicht viel halte.

  • Was Merz und ja auch Wagenknecht formulieren und fordern, wird in Frankreich schon lange praktiziert und umgesetzt. Und es funktioniert. Also kann und wird es bei uns funktionieren. Zeit wirds.



    Siehe: www.faz.net/aktuel...ist-110268288.html

  • Ein wichtiger Aspekt ist:



    Mehrheiten in der Bevölkerung müssen sich in aller Regel in Mehrheiten im Parlament übersetzen.

    Alles andere führt die Demokratie ad absurdum.

  • Die Linke ist differenziert in der Asylpolitik ? Parteichef van Aken sagte gerade, dass er sich vorstellen könne, dass Deutschland noch weitere Millionen von Flüchtlingen aufnehmen kann.

    • @Puky:

      Lebendig ist sie bei dem Thema auch nicht, eher dogmatisch festgelegt, ohne Akzeptanzprobleme moderieren zu wollen.

    • @Puky:

      Werden wir auch, daran führt kein Weg vorbei. Das Recht auf Asyl ist nicht abgeschafft und Fachkräfte werden auch gebraucht - damit werden weiter Menschen kommen. Und wenn Sie mal schauen wollen, es gibt konkrete Zahlen dazu, wie viel Menschen die 2015 eingewandert sind heute in Arbeit sind und ihren Anteil einbringen. Das zeigt, das der Bedarf da ist und auch weiter steigen wird. 12,9 Millionen Erwerbspersonen werden bis 2036 das Renteneintrittsalter überschritten haben. Dies entspricht knapp 30 % der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen, bezogen auf das Berichtsjahr 2021. Zusätzlich muss man beachten, dass Migranten oft als Familie kommen und Frauen und Kinder in der Regel nicht oder weniger arbeiten. Ein indischer Arzt + Frau+ Kinder bedeutet also in der Rechnung mind. 3 Menschen für eine Fachkraft. Anders wird's nicht funktionieren.

      Quelle zu den Zahlen oben: shorturl.at/NpE5E

    • @Puky:

      Ja Puky,



      kaum vorstellbar Deutschland stemme, was allein der Libanon stemmt. Bekanntlich ein schwerreiches, ziemlich friedliches, von lauter Freunden umgebenes Land.

      - mehr als 20 Millionen Geflüchtete müsste das Notstands-gebeutelte Deutschland aufnehmen. So vergleichsweise.



      Geht aber nicht. Bekanntlich ist Notstand, den die CDU /CSU mit der FDP und der AfD bei der EU anmeldet.

    • @Puky:

      Er hat gesagt, dass "die Aufnahme von einer Million Menschen pro Jahr eine völlig überschaubare Zahl" sei. Und ja, Deutschland hat 2015 eine Million Flüchtlinge aufgenommen und 2024 waren es nur noch 230.000 Erstanträge auf Asyl (30% weniger als letztes Jahr). Von daher kann man auf diese unsägliche Übertreibung und Stimmungsmache (wer kommt auf so Nazisprech wie "Zustrombegrenzungsgesetz"?) mal aufmerksam machen.

      Und zur Erinnerung: Die Zahlen nur für Westdeutschland sahen auch mal ganz anders aus, in das zerbombte und wirtschaftlich kaputte Land kamen zwischen 1944 und 1948 12 Millionen Flüchtlinge. Von daher jammern wir schon auf sehr hohem Niveau.

    • @Puky:

      Das sehe ich auch so und sage: wir schaffen das nochmal!