piwik no script img

Anschlag in MagdeburgVorsicht mit psychopathologischen Deutungen

Gastkommentar von Aiman A. Mazyeck

Der Täter ist ein Terrorist, wegen seiner Tat und nicht wegen seiner Herkunft. Das wird in der aktuellen Debatte mitunter vergessen.

Der Attentäter von Magdeburg ist ganz klar ein Terrorist Foto: Annegret Hilse/reuters

D er niederländische Rechtspopulist Geert Wilders nannte den Attentäter von Magdeburg einen „wahren Helden“. Nicht ohne Grund also zeigt der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt: Die sogenannte Islamkritikerszene radikalisiert sich zunehmend.

Bei der Einordnung der Tat fehlt allerdings ein wichtiger Aspekt: Der Terrorakt passt zu den rechtsextremistischen, mit islamfeindlichen Motiven verübten Anschlägen sowie zu jenen, die beispielsweise der Norweger Anders Behring Breivik 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya verübt hatte, sowie zum Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 2019.

Und er ähnelt hinsichtlich der Motivation frappierend jenem Terroranschlag von München im Juli 2016, als ein deutsch-iranischer Rechtsextremist aus rassistischen Motiven neun Menschen ermordete. Ebenso zum heimtückischen Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini im Dresdener Landgericht 2009. Auch die Attentäter von Hanau 2020 sowie in Halle 2019 stehen im „terroristisch-verwandtschaftlichem“ Verhältnis zu dem Attentäter von Magdeburg.

Alle Täter haben sich als „Islamkritiker“ und -hasser hervorgetan, alle hatten Verbindungen zur rechten und rechtsextremistischen Szene. Der Attentäter von Magdeburg ist ganz klar ein Terrorist – wegen seiner Tat und ihrer Umsetzung. Er ist aber kein Terrorist, weil er einen muslimischen Hintergrund hat, so wie das Rechtsextreme gern kommentieren. Fast alle Terroristen dürften „einen Hau weghaben“, wie man so schön sagt. Und sie sind gleichzeitig zurechnungsfähig. Es ist also falsch, eine psychopathologische Erklärung – psychisch labil, einsam, unter Drogen stehend – zu bemühen, sobald sich herausstellt, dass der Terrorist ein Islamkritiker, AfD-Fan oder Unterstützer israelischer Extremisten ist.

Terroristen sind in erster Linie Nihilisten, Menschlichkeitsnegierer, die mittels Gewalt und faschistoider Ideologie anderen Menschen die Existenz verweigern. Und sie tummeln sich – leider – in allen Weltanschauungen und Religionen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Endlich wird mal versucht, ein differenziertes Bild vom Seelenleben eines Täters zu zeichnen und dann fängt doch wieder jemand an zu nölen.



    Ja, die Motive hinter dieser dieser Strategie sind teilweise fragwürdig. Aber sie verhindert immerhin, dass die selbe arme Sau durchs öffentliche Dorf getrieben wird, wie bei jeder "ausländischen" Straftat. Ein paar Verwirrte demonstrieren gegen Menschenrechte, okay. Manche Leute kippen sich auch bei jeder Gelegenheit einen hinter die Binde, Hauptsache ein Anlass. Das war also zu erwarten. Aber durch das uneinheitliche Bild, das vom Täter in den Medien zirkuliert, sind die Rechten in Erklärungsnot und können den Rest des aufgeklärten Landes nicht vor sich hertreiben.



    Und die traurigen Wahrheiten, die sich offenbaren, können wir zum Anlass nehmen, um uns nicht nur zu empören und Schuld zuzuschreiben, sondern auch mal wieder zu schämen für das, was unser Land stellvertretend für uns tut. Bisher haben wir uns immer für Dinge geschämt, die so lange her sind, dass wir nichts mehr dafür können. Manche wollten das nicht mehr und drifteten ins Nationale ab. Jetzt könnten wir uns für unsere derzeitigen Verbrechen schämen.

  • Die Bezugnahme auf den Islam ist eine bloße Nebelkerze. Würden wir stattdessen von der Verschwörungstheorie eines „großen Austauschs“ durch die „arabische Rasse“ sprechen, würde sich außer der expliziten Einbeziehung der rassistischen Motivation nichts ändern.



    Es geht um „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, hier in ihrer extremsten Form, die unsere liberale (ich meine damit gerade nicht den Marktradikalismus der Lindner-FDP!) Zivilgesellschaft zerstören will. Auch „rechts“ und „links“ helfen da eher nicht weiter.



    Allerdings sind die allermeisten Verkünder der GBMF autoritär bis autokratisch eingestellt und reaktionäre Verfechter des weiß-suprematistischen, kapitalistischen Patriarchats, was eher „rechts“ als „links“ ist. Die gewaltbereiten Anhänger sind in erster Linie junge Männer, oft mit schlechtem Bildungsstand und unterbezahlt bzw. unterbeschäftigt. Genau da schließt sich der Kreis: Islamofaschisten und AgD rekrutieren im gleichen Milieu ihre Leute für die Drecksarbeit!

  • Ich würde es umkehren und sagen: Es ist töricht terroristische Anschläge (egal ob rechtsradikal oder islamistisch) kicht zu pathologisieren.

    Es sind in erster Linie Amokläufe mit politischer Tönung. Aber am Schluss sind es trotzdem Amokläufe. Und wir müssen Wege finden solchen Taten vorzubeugen. Ohne Islamismus oder Rechtsextremismus würden solche Leute eben anderweitig Amoklaufen.

    Ein viel zu wenig diskutierter Punkt ist, dass diese Täter meist Männer sind. Gleichzeitig ist längst bekannt, dass es ein riesiges Defizit bei der psychologischen Betreuung von Männern gibt.

    Natürlich rechtfertigt das diese Verbrechen nicht - aber trotzdem sehe ich in der pathologisierung den einzigen Ansatzpunkt.

  • Hier mal food for thought:

    Wenn voll zurechnungsfähige Menschen sich politisch radikalisieren und Terroristen werden, dann sind es fast immer radikale Linke.

    Wenn Geisteskranke mit Wahnvorstellungen, zurechnungsunfähige Menschen usw, sich politisch radikalisieren radikalisieren und Terroristen werden, dann sind es fast immer radikale Rechte.

    Es ist auffallend und man darf es nicht länger wegleugnen, dass Menschen mit "schweren seelischen Abartigkeiten" (wie es das Gesetz nennt) vorhersagbar und nahezu immer nach rechts abdriften.

    Kann und darf eine Demokratie hier noch mit demselben Maß messen?

    Oder ist es vielmehr so, dass Rechtsideologien ein Ausdruck einer latenten oder manifesten Geisteskrankheit sind, und daher stärker bekämpft und auf gar keinen Fall toleriert werden dürfen? Und dass das "Reden mit Rechten" einfach Zeitverschwendung ist?

    Ja, es gibt Ausnahmen. Aber: Der wahnsinnigste Linksideologe aller Zeiten wurde von der Armee des sozialistischen Vietnam gestürzt - nachdem der pathologisch kriminelle rechte US-Präsident Nixon ihn jahrelang unterstützt hatte!

  • Wie der Zufall so will, habe ich mal versucht, das zu lesen, was von den Kommentaren zum Attentat des Rechtsterroristen und Mörders Köhler von 1980 noch zugänglich ist Und siehe da: Auch damals funktionierte der Bauerntrick vom pathologischen Einzeltäter bestens. Und wer ausgerechnet jetzt hier nur darauf besteht, "trotzdem gegen den Islam" eingestellt sein zu dürfen, vor dem sollte man sich in Acht nehmen. Der könnte nämlich als nächstes behaupten, die Linken wären am Rechtsterrorismus schuld.

  • Ja, es gibt gewalttätige - und manchmal auch psychisch verwirrte - Antifaschisten. Dennoch darf man gegen den Faschismus sein. Und es gibt gewalttätige - manchmal auch psychisch verwirrte - „Islamhasser“ Dennoch darf man natürlich gegen die Weltanschauung des Islam sein, solange man die Menschen, die Muslim*innen, voller Respekt behandelt. In diesem Artikel werden mir islamkritische Männer und Frauen etwas zu sehr in eine bestimmte Ecke gestellt. Dabei haben wir gerade freiheitlich und demokratisch gesinnten Menschen wie Ahmad Mansour oder Hamed Abdel-Samad so viel zu verdanken!

  • Der Kommentar nennt ein wichtiges Detail: niemand ist qua Herkunft ein Terrorist, sondern wird es erst aufgrund seiner kriminellen Handlungen. Dass diese natürlich auch Elemente einer psychopathologischen Störung in sich tragen können, ist in diesem aktuellen Fall, was man bisher weiss, sicher auch ein Teilaspekt. Das entschuldigt aber keineswegs die faschistoiden und rassistischen Motive, auf die sich der Attentäter beruft. Bei der Anklage, der Verhandlung und einer späteren Verurteilung, wird diese psychische Störung aber sicherlich mit einfließen.