Aktivisten über Bezahlkarte: „Die Bezahlkarte verhindert Integration“
Alle Bundesländer haben die Bezahlkarte für Asylsuchende beschlossen. Zwei Aktivisten berichten, was das für die Menschen im Alltag bedeutet.

taz: Die Bezahlkarte für Asylsuchende ist in allen Bundesländern beschlossene Sache, allerdings noch nicht flächendeckend im Einsatz. Nur 50 Euro monatlich lassen sich dann pro Person noch in Bargeld auszahlen. Welche Auswirkungen hat das für die Menschen?
Adam Bahar: Die Bezahlkarte schränkt Menschen in ihrer Autonomie und Selbstbestimmung ein, sich selbst auszusuchen, wo sie ihr Geld ausgeben wollen. Im Alltag braucht man Bargeld für verschiedenste Aktivitäten. Es gibt viele kleine Läden, die keine Kartenzahlung akzeptieren. Das diskriminiert Geflüchtete und Asylsuchende, weil es eine sozial ungerechte Beschränkung ihrer Freiheit vorsieht, nur weil sie keinen Asylstatus haben. Die Bezahlkarte verhindert Integration, weil es Menschen so nicht möglich ist, gleichberechtigt an unserer Gesellschaft teilzuhaben.
taz: Der Satz für Asylsuchende ist ohnehin sehr niedrig, aktuell sind es 441 Euro monatlich für alleinstehende Erwachsene. Welche Probleme haben die Menschen im Alltag?
Bahar: Wenn Familien mit Kindern nur 50 Euro pro Person im Monat in bar haben, müssen sie entscheiden, was sie damit machen. Jugendliche brauchen Freizeitaktivitäten, wollen in Clubs oder ins Kino. Für all das braucht es Geld, häufig Bargeld. Auch Anwalts- und Rechtskosten müssen gezahlt werden. Für anwaltliche Unterstützung im Asylverfahren zahlt man einer Kanzlei normalerweise 50 bis 100 Euro monatlich. Das heißt, die Leute müssen sich entscheiden, ob sie das wenige Bargeld für die Durchsetzung ihres Rechtsanspruchs ausgeben, oder für andere wichtige Dinge des Alltags.
taz: Können Anwaltskosten nicht einfach überwiesen werden?
Walter Schlecht: In manchen Bundesländern sind Überweisungen innerhalb Deutschlands für Menschen mit Bezahlkarte erlaubt, aber in der Regel sind sie ziemlich stark reglementiert, zum Beispiel in Baden-Württemberg. Wenn man eine Überweisung tätigen möchte, muss man sie über eine sogenannte „Whitelist“ beantragen. Es liegt dann bei den Behörden, ob sie die Überweisung genehmigen oder nicht. Im Prinzip geht es die Behörden aber überhaupt nichts an, welchen Rechtsanwalt ich habe und aus welchen Gründen ich ihn bezahlen muss. Das greift massiv in den Datenschutz ein. In Hamburg wird aktuell übrigens diskutiert, die Bezahlkarte auch auf Bürgergeldempfänger auszuweiten.
taz: Die Bezahlkarte soll sogenannte „Pull-Faktoren“ reduzieren und es erschweren, Geld in Herkunftsländer überweisen. Funktioniert das?
Schlecht: Warum sollen Geflüchtete, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, denn kein Geld in ihr Herkunftsland überweisen dürfen? Laut Bundesverfassungsgericht sollte jeder Leistungsempfänger frei über sein Geld verfügen können. Es gibt allerdings keine Beweise dafür, dass Geflüchtete das Geld in großem Stil in Herkunftsländer überweisen. Auch das Argument, die Bezahlkarte reduziere sogenannte „Pull-Faktoren“, ist nicht richtig – die zugrundeliegende Annahme, Geflüchtete würden nur einreisen, um hier Leistungen zu beziehen, ist schon mehrfach in Studien widerlegt worden. Wie man so häufig sagt: Niemand steigt in Libyen in ein Boot, nur mit dem Hintergedanken, in Deutschland 441 Euro Sozialhilfe zu bekommen.
taz: Zivilgesellschaftliche Initiativen ermöglichen es Asylbewerbern, trotz Bezahlkarte an Bargeld zu kommen. Wie genau läuft das ab?
Schlecht: Es gibt die legale Möglichkeit, dass Geflüchtete in Geschäften wie DM oder Edeka mit der Bezahlkarte Gutscheine kaufen. Mit diesen gehen sie dann zu Gutscheingruppen, wo solidarische Menschen ihnen die Gutscheine abnehmen und sie gegen entsprechende Geldbeträge in Bar eintauschen. Meine Erfahrung aus Freiburg ist: Das Angebot wird sehr stark in Anspruch genommen. Die Menschen brauchen einfach Bargeld. Wenn man in so prekären Verhältnissen lebt, wie Geflüchtete es tun, dann muss man mit seinem Geld ganz anders haushalten.
taz: Wie verbreitet sind diese Initiativen?
Schlecht: Es gibt sie in fast allen Bundesländern, wir schätzen, dass es mittlerweile in mindestens 100 Städten solche Tauschinitiativen gibt.
taz: Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigigt, die „Umgehung“ der Bezahlkarte beenden zu wollen, die CSU fordert ein Verbot der Tauschgeschäfte.
Schlecht: Meiner Einschätzung nach lässt sich Gutscheintausch an sich nicht verbieten. Man könnte möglicherweise beim Asylbewerberleistungsgesetz ansetzen, sodass es Geflüchteten nicht mehr erlaubt wäre, Gutscheine umzutauschen. Aber auch das ist fraglich.
ist Aktivist aus dem Sudan. Er lebt seit 2012 in Deutschland und ist Mitglied im Flüchtlingsrat Berlin. Bahar ist Mitorganisator der bundesweiten Konferenz gegen die Bezahlkarte.
ist Mitglied der Aktion Bleiberecht Freiburg und engagiert für die Rechte von Geflüchteten. Er ist beteiligt an Aktionen gegen die Bezahlkarte und einer Kampagne zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
taz: Am kommenden Wochenende findet in Berlin die zweite bundesweite Konferenz zum Widerstand gegen die Bezahlkarte statt. Was ist geplant?
Bahar: Es geht um die Forderung „Gleiche soziale Rechte für alle“. Wir erwarten an die hundert Personen. Zu großen Teilen wird es um die Bezahlkarte gehen, aber nicht ausschließlich. Ziele sind Vernetzung und Erfahrungsaustausch der zivilgesellschaftlichen Initiativen. Für uns hier in Berlin geht auch darum, von den Erfahrungen anderer Bundesländer zu profitieren, bevor die Bezahlkarte hier bald eingeführt wird. Auch für Betroffene soll es Raum geben, mal selbst zu Wort zu kommen. Zum Abschluss der Konferenz haben wir außerdem eine Protestaktion am Bundestag geplant.
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