Affäre um Nazi-Flugblatt: Aiwanger muss gehen
Die heutigen Hetztiraden Aiwangers wiegen schwerer als seine Jugendsünden. Er sollte wegen seiner demokratiefeindlichen Gesinnung abtreten müssen.
H ubert Aiwanger muss nachsitzen, doch lässt Markus Söder den Volkstribun fallen, mit dem er „exzellent zusammengearbeitet“ hat? Söders Vorbild Franz Josef Strauß, von 1961 bis 1988 Vorsitzender der Christlich-Sozialen Union, gilt als Ideal jener „Vollblutpolitik“, die heute vermisst wird: der deutsche Prototyp des Populisten, dem die Symbiose von Führung und Volk gelang. So hielt seine Partei jahrzehntelang die absolute Mehrheit im Bayerischen Landtag.
Zum einen marginalisierte die Mischung von Lederhose und Laptop die „Sozis“, zum anderen machte Strauß seine erklärte Absicht wahr, rechts von ihm sei nur die Wand. Die NPD blieb 1966 eine Eintagsfliege, die REPs von Franz Schönhuber schafften die fünf Prozent in Berlin, Brüssel und Stuttgart, aber nicht in München. Dann kam doch der Absturz: Rechts von der unverdrossen selbstherrlichen CSU hat sich die AfD etabliert und die Freien Wähler (FW), die manche erst nach Aiwangers Ausfällen als Rechte erkannt haben.
Seinen Anhängern gilt er als der neue Strauß, noch volksnäher und diffamatorischer. Will sagen: Bayerns Wählerschaft ist rechts stabil geblieben, hat sich aber auf drei Parteien verteilt. Würde die Flugblatt-Affäre Söders Koalitionsoption durchkreuzen, wäre das für ihn fatal. Er müsste – wie die CDU in Hessen und in NRW – auf seinen (und Friedrich Merz’) erklärten Hauptgegner, die Grünen, umschwenken und mehr als Bäume streicheln.
Die Reaktion auf Aiwangers heutige Hetztiraden, die eher im Fokus stehen sollten als seine Jugendsünden, ist ein Crashtest der „Brandmauer“ und demonstriert das Dilemma der gesamten Union. Koaliert sie mit den Ultrarechten, verliert der Konservatismus seine Seele; hält das Tabu, verliert sie ihre Machtoption und muss auf der gemäßigten Linie bleiben, die von Konrad Adenauer über Helmut Kohl bis zu Angela Merkel führte. Söder braucht Aiwanger nur noch als Blitzableiter des AfD-Gewitters.
Um zu ermessen, wie Machtpolitiker wie Söder oder Michael Kretzschmer reagieren, wenn ihnen Figuren wie Aiwanger und Björn Höcke Konkurrenz machen, muss man sich nur Strauß im Originalton von 1987 anhören, als ihm die REPs die absolute Macht streitig machten: Es solle keine demokratisch legitimierte Partei rechts von der Union geben. FW und AfD können durchaus von sich behaupten, demokratisch legitimiert zu sein.
Das heißt: Über Aiwangers Schicksal entscheidet am Ende nicht die Staatskanzlei, sondern die bayerischen Wählerinnen und Wähler. Aiwanger muss gehen, und zwar vor allem wegen der demokratiefeindlichen Gesinnung, die er heute in Talkshows und Bierzelten an den Tag legt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“