Abschiebedebatte nach Solingen: Die AfD regiert
Thüringen und Sachsen wählen erst am Sonntag neue Landtage. Doch die AfD regiert schon längst: Sie bestimmt das politische Handeln der demokratischen Parteien.
E s ist schon irre. Erst am Sonntag wird in Thüringen und Sachsen gewählt. Die rechtsextreme AfD wird laut Umfragen 30 Prozent und mehr einsacken. Doch sie regiert schon jetzt. Sie bestimmt das politische Handeln bis weit hinein in sich einst als links definierende Parteien. Tun muss sie dafür gar nichts. Nur demonstrativ in der rechten Ecke stehen.
Seit dem mörderischen Anschlag auf das Volksfest in Solingen überschlagen sich alle im Wettbewerb um den besten AfD-Doppelgänger. Allen voran CDU-Möchtegernkanzler Friedrich Merz, der angetrieben von den täglichen Schlagzeilen der Bild sich als barhäuptiger Jean D’Arc der national Entrechteten inszeniert, der uns alle im Alleingang vorm selbst ausgerufenen Notstand rettet.
Da will die Ampel nicht nachstehen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) verkündet, die „irreguläre“ Migration zu begrenzen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) will für Ausreisepflichtige „null Euro“ rausrücken. Selbst bei den Grünen wird – schon wieder – eine Zeitenwende gefordert, was nichts anderes ist als eine kraftvoll klingende Umschreibung für die Verleugnung einst urgrüner Werte. Diesmal: Abschiebungen entschlossen durchführen! Schon am Mittwoch stellte Innenministerin Nancy Faeser das messerscharfe Sicherheitspaket der Ampel vor. Der zentrale Punkt lässt sich mit zwei Worten übersetzen: Ausländer raus.
Natürlich sagt das niemand so direkt. Und es geht ja auch nicht um alle Nichtdeutschen. Aber gehört werden soll sie genau so, diese Botschaft für die rechte Ecke. Dass damit nicht nur „berechtigte Ängste“ ernst genommen, sondern ebenso geschürt werden wie der um sich greifende Rassismus, scheint mal wieder egal. Genauso egal wie die Gewissheit, dass am Ende nur die AfD profitiert. Aber was soll man denn sonst auch machen?
Man könnte zum Beispiel mit Fakten dagegenhalten. Etwa dass laut Bundeskriminalamt die aus Syrien, Afghanistan und Irak Geflüchteten, für die es offenbar jetzt auch nur noch die Konzepte Raus! Raus! Raus! gibt, die Migrantengruppen mit der niedrigsten Kriminalitätsrate sind. Oder dass der Besuch von Volksfesten nicht erst durch irre Islamisten bedroht wird, sondern auch durch irre Autofahrer, wie in Volkmarsen 2020, oder durch irre Nazis, wie in München 1980. Oder dass Messer keine muslimische Waffe sind, sondern das Handwerkszeug krimineller Gauner, das schon Bert Brecht vor fast 100 Jahren besingen ließ.
Vor allem aber, dass nicht Abschiebung, sondern Integration das Gebot der Stunde wäre. Denn Deutschland braucht Einwanderung. Das Land sollte froh sein über alle, die trotz des grassierenden Rassismus kommen. Sie werden gebraucht als Busfahrer:innen, Ärzt:innen oder als Pflegekräfte, die den überalterten Deutschen das Braune vom Hintern wischen. Aber das darf man ja nicht mehr sagen. Weil die AfD längst regiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“