piwik no script img

Streit um VerfassungsgerichtsbesetzungRechtsaußen nehmen Ann-Katrin Kaufhold ins Visier

Nun beginnt auch gegen die zweite SPD-Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht eine Kampagne. Die Vorwürfe gegen Kaufhold sind ebenfalls hanebüchen.

Gerät nun ebenfalls ins Visier rechter Hetze: die Münchner Rechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold Foto: C.Olesinski/LMU/dpa

Freiburg taz | Wird Rechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold das nächste Kampagnen-Opfer von Rechtsaußen-Meinungsmachern? Kaufhold wurde wie ihre Kollegin Frauke Brosius-Gersdorf von der SPD für die Wahl als Verfassungsrichterin nominiert. Bisher stand aber vor allem Brosius-Gersdorf im Feuer, da Teile der CDU und der CSU sie wegen ihrer Positionen zum Schwangerschaftsabbruch nicht mitwählen wollten. Gegen Kaufhold ist aus der Union noch kaum etwas zu hören. Doch das könnte sich bald ändern.

Die Kampagne gegen sie läuft bereits: Ann-Katrin Kaufhold sei „ebenso wenig wählbar wie Frauke Brosius-Gersdorf“, schreibt Ulrich Vosgerau (CDU-Mitglied und häufiger Rechtsvertreter der AfD) auf der Plattform X. „Es gäbe für die Union gute Gründe, Kaufhold ebenso entschieden abzulehnen wie Brosius-Gersdorf“, befindet auch der frühere Focus- und Cicero-Redakteur Alexander Kissler auf dem rechtspopulistischen Portal Nuis. Denn angeblich beabsichtige Kaufhold „einen Komplettumbau der Gesellschaft“. Autor Josef Kraus, der frühere Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, sieht bei Tychis Einblick in Kaufhold „wohl die noch größere Gefahr für die Demokratie“.

Wer also ist Ann-Katrin Kaufhold? Die 49-Jährige ist Rechtsprofessorin in München. Sie promovierte und habilitierte in Freiburg bei Andreas Voßkuhle, der von 2010 bis 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts war. Fachlich bekannt wurde sie mit ihrer Arbeit „Systemaufsicht“, in der sie nach der Lehmann-Finanzkrise komplexe Modelle für eine effiziente Finanzmarktaufsicht entwickelte.

Vorgeworfen wird Kaufhold zunächst, dass sie sich auch mit Klimaschutzrecht beschäftigt und dabei Gerichten eine wichtige Rolle zubilligt. In einem analytischen Interview stellte sie 2023 fest, dass Parlamente dazu tendieren, „unpopuläre Maßnahmen nicht zu unterstützen“, während Gerichte (und Zentralbanken) unabhängig seien und sich deshalb besser eignen, „unpopuläre Maßnahmen anzuordnen“. Obwohl Kaufhold zugleich feststellte, dass die politische Legitimation von Parlamenten deutlich höher ist als die von Gerichten, werfen ihr Kri­ti­ke­r:in­nen nun vor, sie wolle „Klimapolitik ohne Parlament“ machen und sei eine „Klimaaktivistin“.

Plumpe rechte Propaganda

Wer sich näher mit ihr beschäftigt, weiß allerdings, dass die Professorin im großen Klimaverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht auf Seiten der klagenden Umweltverbände stand, sondern Bundestag und Bundesregierung vertrat. Zwar hält Kaufhold Klimaschutz für eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, aber da ist sie ganz auf einer Linie mit dem Bundesverfassungsgericht, das 2021 den Klimaschutz zum Staatsziel erklärte.

Dieser Klimabeschluss erging in Karlsruhe einstimmig, also auch mit den Stimmen der unions- und fdp-nominierten Richter:innen. Was die Kri­ti­ke­r:in­nen auch übersehen: Ann-Katrin Kaufhold soll an den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts berufen werden. Für Klimapolitik ist aber der Erste Senat zuständig.

Zweitens wird Kaufhold vorgeworfen, sie sei eine „Enteignungsbefürworterin“, weil sie Mitglied einer Berliner Kommission war, die sich mit der „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ beschäftigte. Allerdings ging es in dieser Kommission nicht um das Für und Wider von Sozialisierungen. Für Vergesellschaftungen hatte sich die Berliner Bevölkerung bereits 2021 bei einem Volksentscheid mit einer Mehrheit von 57,6 Prozent der Abstimmenden ausgesprochen. Die daraufhin vom Berliner Senat eingesetzte Kommission sollte vielmehr Wege zu einer rechtssicheren Umsetzung des Volksentscheids erarbeiten.

Sozialisierungen sind in Artikel 15 des Grundgesetzes als Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen. In Berlin soll davon nun erstmals Gebrauch gemacht werden – zumindest theoretisch. Es wird zwar damit gerechnet, dass das Sozialisierungsgesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden muss, weil die Wohnungskonzerne klagen. Allerdings ist auch hier der Erste Senat zuständig und nicht der Zweite Senat, in den Kaufhold gewählt werden soll.

Aberwitzige Verschwörungstheorie

Schließlich wird Kaufhold als Teil eines „Staatsstreich“-Projekts der SPD gesehen, wie es etwa Vosgerau oder auch der Augsburger Rechtsprofessor Josef Franz Lindner an die Wand malen: Die SPD schlage als Verfassungsrichterinnen gezielt Personen vor, die ein AfD-Verbot befürworten – und wenn die AfD dann verboten ist, fielen alle AfD-Sitze im Bundestag weg und die SPD könne eine rot-rot-grüne Koalition bilden, mit Lars Klingbeil als Kanzler.

An dieser aberwitzigen Verschwörungstheorie ist aber schon die Vorannahme falsch: Das Bundesverfassungsgericht kann auf absehbare Zeit gar kein AfD-Verbot beschließen, weil es schon keinen Verbotsantrag geben wird, solange die Union ein Verbot der größten Oppositionspartei ablehnt.

Für Parteiverbote wäre zwar tatsächlich der Zweite Senat zuständig. Doch die von den Kri­ti­ke­r:in­nen zitierte Aussage Kaufholds ist nicht so eindeutig, wie sie behaupten. Tatsächlich hatte sich Kaufhold in einer Talkshow nur über die „Ängstlichkeit“ mancher Ver­bots­be­für­wor­te­r:in­nen mokiert, die aus Angst vor dem Scheitern erst gar keinen Antrag stellen wollen. Das fände sie „nicht überzeugend“, sagte Kaufhold, denn der politische Prozess könne ein Scheitern in Karlsruhe durchaus aushalten. Mit so einer vagen Aussage wäre Kaufhold im Verfahren wohl nicht einmal befangen.

Mal sehen, ob es den Rechtsaußen-Meinungsmachern auch bei Kaufhold gelingt, so viele CDU/CSU-Abgeordnete zu agitieren, dass im Bundestag keine Wahl mit Zwei-Drittel-Mehrheit möglich ist. Am 11. Juli war die Abstimmung über Frauke Brosius-Gersdorf, Ann-Katrin Kaufhold und den CDU-Kandidaten Günter Spinner, einen Bundesarbeitsrichter, abgesetzt worden. Nach der Sommerpause soll erneut gewählt werden. Ob dieselben Kan­di­da­t:in­nen dann zur Wahl stehen werden, gilt mittlerweile als offen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Das ganze Debakel legte u.a. der ehemalige Saarländische MP und Verfassungsrichter Peter Müller offen dar als komplett dem Fraktionsvorsitzenden anzukreidendes Führungsversagen.



    Im Nordkurier wurde vage spekuliert:



    "Muss Spahn befürchten, dass sein einstiger Widersacher Merz ihn doch noch zum Rückzug drängt? Der Zeitpunkt zu Beginn der Sommerpause wäre günstig, denn bis September wäre Gras über die Sache gewachsen. Doch dieser Schritt steht wohl nicht an – auch in diesem Fall mangels Alternativen."



    Vielleicht wäre das Tauziehen um die Richterinnen-Wahl zu beenden mit einem Machtwort und Carsten Linnemann als Fraktionsvorsitzendem.



    Einfach mal machen.



    /



    www.nordkurier.de/...jens-spahn-3753050

  • Dir cdU..und dabei vor allem diejenigen Abgeordneten, die bereits auf die Kampagne gegen Fr. Brosius reagiert haben, sollten sich klar machen, daß sie damit riskieren die CDU als ganzes zu spalten.



    Denn genau das ist ja das erklärte Ziel der afd..steht sogar sinngemäß in deren Strategiepapieren..

    ..wobei eine Spaltung der cdU in einen afd Flügel..und eine "Merkel-CDU", wäre vlt sogar ganz sinnvoll. Zumindest wenn dann Hendrik Wüst als Kanzler antreten würde.



    Aus Sicht der jetzigen cdU Granden..und besonders Merz als (noch) Kanzler könnten die Kampagnen der afd allerdings zur Existenzfrage werden..







    ..schaun wer mal..

  • Für die Rechten ist jeder links der Mitte ein Kommunist und für die Linken ist jeder rechts der Mitte ein Nazi. Wann normalisiert sich das endlich mal wieder damit ein normaler politischer Diskurs möglich ist?

  • Wenn die CDU durch die Hetzkampagne sich einmal hat treiben lassen dann wird das einfach wiederholt.

    Dabei geht es auch nicht um die Sache, sondern nur um Spaltung.

    Ein AFD Verbot ist erstmal Aufgabe des Bundestages oder Bundesrates. Der jetzige Zikurs ist nicht in der Lage die Fakten so zusammen zu stellen das diese einer Prüfung durch das Verfassungsgericht standhalten egal welche Richter da sitzen.

    Es ist auch davon auszugehen das bis dies irgendwann mal passiert, die AFD sich so verändert hat das viele Verfassungsfeindliche Elemente entfallen. Macht korrumpiert halt und einige Ideale der Partei sind ja schon gefallen um Macht und Geld zu bekommen.

    Den AFD Anhängern die immernoch der Meinung sind das die AFD endlich mal was für die kleinen Leute und Rentner macht empfehle ich einen Blick in die USA.

  • Und auch die Taz macht mit beim eifrigen Kulturkampf, den niemand braucht. Bei Frau Kaufhold völlig unverständlich, auf Irrläufer einzugehen.

  • Nach der Reaktion der Union auf die lächerliche Diffamierungskampagne gegen Brosius-Gersdorf sehen die Rechtsradikalen in Politik und Medien ihre Chance gekommen, Nägel mit Köpfen zu machen.

  • Tja, das ist im Chinesischen Volkskongress viel besser geregelt,- da stimmen die Delegierten brav so, wie man es von ihnen verlangt.. ! Im Übrigen: Dass eine 16 % (jetzt weniger) gleich 2 neue Richter vorschlagen darf ist ein Anachronismus..

  • Also bei allem Respekt: was, bitte ist an der Feststellung, wenn die AgD verboten würde, entstünden flächendeckend RRG-Mehrheiten, eine Verschwörungstheorie? Das ist geltendes Recht, sonst nichts,

    Es wäre eigentlich ein wünschenswertes Szenario, -zweifelsohne.



    Allerdings bitte durch Wahlen.

    Beide Damen sind jedenfalls hoch qualifiziert. Sie sind keine „Extremistinnen“, nichts macht sie „unwählbar“.

    Der Rest ist das übliche, unwürdige, schmutzige Polittheater. In dem niemand die Wahrheit sagt.

  • Nicht zielführend die Frau jetzt zu rechtfertigen, sondern ganz im Sinne des Shitstorms. Schade dass ihr weiterhin auf das flooding reinfallt

  • Mich stören weniger die Ansichten/Lebensläufe der "Kandidaten", sondern das ganze Verfahren!



    "Kandidaten" deshalb in Anführungszeichen, weil es ja keine Wahl ist, wenn man im Hinterzimmer ausgewählte Listen/Personen abnicken soll!



    Zu einer Wahl gehören Wahlmöglichkeiten!!!



    Also liebe Regierung: macht eine Bewerbungsrunde und alle Bewerber, die die notwendigen fachlichen Voraussetzungen erfüllen, stellen sich dem Parlament zur Wahl für die drei zu besetzenden Posten.

  • Wenn die SPD sich eine Kandidatin nach der anderen herausschießen lässt, könnte sie auch gleich aus der Koalition ausscheiden und sich bankrott erklären.

  • Deutschland in der Hand der Trumpisten.

  • Bestimmt hilft gegen die Polemisierung der nächsten Person eine große Aufmachung mit Bild.

  • Wenn die Rechtspropagandisten so weiter machen und alles und jeden zu kommunistischen Massenmordphantasten diffamieren, wird vielleicht sogar einigen Hinterbänklern der Union dämmern, dass da irgendwas seltsam dran ist.



    Hoff ich zumindest.

    • @Nansen:

      Nach den Erfahrungen der letzten Tage und der Auffassung einiger rechter Vertreter der Partei in den neuen Bundesländern, teils auch im Westen, mit einem Ausdruck der Bewunderung für die MAGA - Bewegung, würde ich nur noch folgendes sagen wollen: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

    • @Nansen:

      Hinterbänkler?



      Spahn... schön wärs

    • @Nansen:

      Ich habe die Befürchtung, dass den Hinterbänkler*innen gar nichts dämmert, sondern dass sie auch bei dieser Kampagne mitmachen werden. Einzig der männliche Kandidat scheint - zumindest bislang - unangefochten.

      Wenn die Blockade der beiden Kandidatinnen so weitergeht, steht zu erwarten, dass die vor dem Ausscheiden stehenden Richter*innen noch auf längere Sicht weitermachen müssen, denn ich gehe davon aus, dass auch im Bundesrat die erforderliche Mehrheit nicht zustande kommen wird. Dass sich die SPD von ihren Kandidatinnen, die im Übrigen aufgrund der Einstimmigkeit im Richterwahlausschuss auch CDU-Kandidatinnen sind!, "verabschiedet" und neue Personalvorschläge unterbreitet, sehe ich zumindest aktuell nicht - außer die beiden Frauen verzichten auf eine Kandidatur, was ich derzeit auch nicht sehe.

      • @Sabine Hofmann-Stadtländer:

        Es bestätigt sich immer mehr, unser Bundesverfassungsgericht sollte nicht mehr in den Entscheidungbreich unserer , von uns legitimierten Abgeordneten fallen. Ein unabhängiges Gremium, bestehend aus kompeten, erfahrenen Juristen sollte gegründet werden, die dann die Richter für unser Bundesverfassungsgericht entscheiden.

      • @Sabine Hofmann-Stadtländer:

        Sie haben wesentlich mehr Vertrauen in die Standfestigkeit der SPD als ich.