Gutachten zu Enteignungen in Berlin: Eigentum „potenziell problematisch“

Nach Einschätzung der Enteignungskommission können Wohnungen in Berlin vergesellschaftet werden. Die schwarz-rote Koalition bleibt skeptisch.

Eine als geist verkleidete Person hält ein Schild in die Höhe: "Spekulanten eure Zeit ist um. Das Gespenst der Enteignung het um."

Die Gespenster der Vergesellschaftung Foto: Christoph Soeder

BERLIN taz | Auf ihrer Kundgebung am Mittwochmittag vor dem Roten Rathaus jubelte eine Sprecherin der Initiative Deutsche Wohnen & Co Enteignen über einen „historischen Tag“. Die Übergabe des Abschlussberichts der Enteignungskommission, die kurz darauf in den Gemäuern hinter ihr stattfinden sollte, sei „ein großer Schritt auf dem Weg der Umsetzung“ der Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne.

Dass der Bericht zumindest in der Argumentation einen Durchbruch darstellt, zeigte später auch die Pressekonferenz dreier Mitglieder der Kommission. Zuvor übergab Kommissionspräsidentin Herta Däubler-Gmelin den mehr als 100-seitigen Bericht an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und an Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD). Beide dankten für die geleistete Arbeit, blieben aber ihrer Linie treu.

Wegner kündigte an, dass der Senat zügig ein „Rahmengesetz“ erarbeiten wolle, ein Gesetz also, das keine konkrete Vergesellschaftung regelt, sondern Grundlagen für Vergesellschaftungen in verschiedenen Bereichen beschreiben soll. Auch Gaebler argumentierte hierfür mit Verweis auf die „Grundsatzfrage des Umgangs mit Bereichen der Daseinsvorsorge“, die immer wichtiger werde.

Ihre Ablehnung einer tatsächlichen Vergesellschaftung der Immobilienkonzerne versteckten beide nicht: Wegner sagte in seinem kurzen Statement: „Ich halte es weiterhin für den falschen Weg“. Gaebler gab noch den Klassiker zu Protokoll: „Durch Vergesellschaftung entsteht keine einzige neue Wohnung.“

Neue Denkanstöße

Spannender wurde es bei der anschließenden Pressekonferenz mit Däubler-Gmelin und den Kommissionsmitgliedern Florian Rödl und Michael Eichberger, bei der die verkürzten Debatten des politischen Raums hinterfragt wurden. Dabei stellte vor allem die Zusammenfassung der Mehrheitsmeinung der Expert:innen, vorgetragen durch den Rechtswissenschaftler der Freien Universität Rödl, einige Grundfesten auf, die längst kein politisches Gemeingut mehr sind.

Zunächst erinnerte Rödl an die Bedeutung des Vergesellschaftungsartikels 15, „ohne den das Grundgesetz nicht verabschiedet worden wäre“. Auch wenn dieser noch nie angewendet wurde, ist er weiterhin, so die einhellige Meinung, gültig, seine Anwendung sei eine „eminent politische Entscheidung“. Eine Vergesellschaftung müsse, so Rödl in einer Form der Gemeinwirtschaft münden; die gemeinnützige Bewirtschaftung des Wohnraums stellte er der „eigennützigen oder privatnützigen“ entgegen. Wohnen sei, so Rödl ein „existenzielles, menschliches Bedürfnis“, die „Knappheit an bezahlbarem Wohnraum gravierend“.

Die große Mehrheit von elf Mitgliedern der 13-köpfigen Kommission vertrete die Ansicht, dass „der private Gebrauch von Grund und Boden an sich oder potenziell problematisch“ sei, auch aufgrund der „gesellschaftlichen und politischen Macht“, die sich durch großen Immobilienbesitz ergebe. Eine Vergesellschaftung ziele daher auf „die Aufhebung ungerechtfertigter Machtpositionen“. Der tiefe Eigentumseingriff spiele vor diesem Hintergrund „keine Rolle“. Eine Entschädigung dürfe nicht in Höhe des Marktwertes erfolgen: „Das wäre die Auszahlung des Barwertes jener Macht, die aufgehoben werden soll.“ Auch resultierten die zuletzt gestiegenen Bodenwerte „nicht aus eigener Leistung“.

Sondervoten

Der ehemalige Verfassungsrichter Eichberger präsentierte die vier Sondervoten mit abweichenden Meinungen einzelner Kommissionsmitglieder: Diese hinterfragen die Verhältnismäßigkeit und betonen das „höhere Gewicht des grundgesetzlich geschützten Eigentumsrechts.“ Dieses sei vielfach vom Verfassungsgericht bestätigt, während es noch nie eine Entscheidung zu Artikel 15 gegeben habe.

In der Frage der Entschädigungen stellten sich drei Kommissionsmitglieder gegen die Vorschläge der Mehrheit, diese anhand der Belastungsgrenze von 30 Prozent des Einkommens für die Miete oder der finanziellen Fähigkeit der Stadt zu berechnen. Abschläge vom Marktwert dürfe es dennoch geben. Nur zwei der Juristen argumentieren in dem Bericht, dass Berlins Landesverfassung das Eigentum noch stärker schütze als das Grundgesetz und daher die Wirkung des Artikels 15 unterbinde.

Die überwiegende Tendenz des Berichts betont dennoch die Möglichkeiten – oder wie es DW Enteignen auf einem großen Banner präsentierte: Vergesellschaftung sei „gesetzmäßig, günstig, gut.“

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