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Tödlicher Polizeieinsatz in OldenburgDrei Schüsse von hinten

Ein 21-jähriger Schwarzer wurde in der Nacht zum Sonntag erschossen. Nach der Obduktion sieht auch die Innenministerin „schwerwiegende Fragen“.

Tatort Achternstraße: Hier trafen Polizeikugeln den jungen Lorenz – von hinten Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Oldenburg taz | Mindestens drei Schüsse von hinten. In Kopf, Oberkörper und Hüfte. Ein vierter soll ihn am Oberschenkel gestreift haben. Das ist das von der Staatsanwaltschaft bekanntgegebene Obduktionsergebnis des 21-Jährigen Lorenz, den ein Polizist in der Nacht auf Ostersonntag gegen 2:40 in der Oldenburger Innenstadt erschossen hat. Weitere Angaben zu dem Fall könne die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt nicht machen, teilte sie mit.

Nicht nur Angehörige und Freunde des Toten, sondern auch viele Bürgerinnen und Bürger wünschten sich Antworten, sagte der Oldenburger Polizeipräsident Andreas Sagehorn. Das sei emotional verständlich, doch zunächst müssten die Hintergründe lückenlos aufgearbeitet werden. Er habe dabei volles Vertrauen in die Staatsanwaltschaft.

Zur Aufklärung würden Zeugen befragt und sämtliche Spuren ausgewertet, sagte Sagehorn. „Öffentlich wird sich die Polizei nicht zum laufenden Verfahren äußern, um die sorgfältige und professionelle Ermittlungsarbeit nicht zu gefährden.“

Lorenz war schwarz. Schon direkt nach seinem Tod hatte sich ein Bündnis aus Freun­d*in­nen und Bekannten geformt, das eine lückenlose Aufklärung des Falls fordert. „Es zeigt sich immer wieder: Polizeieinsätze enden tödlich, wenn migrantisierte Menschen, BIPoCs und schwarze Meschen betroffen sind. Es handelt sich nicht um Einzelfälle“, schreibt die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ in einem Statement.

Zweifel an der Darstellung der Polizei

„Die Ergebnisse der Obduktion erschüttern mich zutiefst“, sagt Suraj Mailitafi. Er engagiert sich in der Initiative und ist antirassistischer Aktivist. „Was vorher als notwendige Maßnahme dargestellt wurde, wirkt nach diesen Erkenntnissen wie eine brutale Eskalation mit tödlichem Ausgang.“

In der ursprünglichen Darstellung der Polizei hatte es geheißen, der Getötete sei „bedrohlich“ auf die Besatzung eines Streifenwagens zugegangen und habe einen Reizstoff in ihre Richtung gesprüht. „Schließlich machte ein 27-jähriger Beamter von seiner Schusswaffe Gebrauch“, heißt es in der Pressemitteilung.

Vorausgegangen war eine Auseinandersetzung vor einer Bar, an deren Ende der Getötete ebenfalls Reizstoff versprüht haben soll. Er soll daraufhin verfolgt worden sein und habe seinen Verfolgern nach Darstellung der Polizei mit einem Messer gedroht. Belege dafür, dass der Getötete tatsächlich ein Messer bei sich hatte, gibt es zum jetzigem Zeitpunkt nicht.

Was genau passiert ist, bleibt weiterhin unklar. Die Obduktionsergebnisse schüren jedoch Zweifel an der offiziellen Version. „Diese Tötung verändert mein Verhältnis zur Polizei. Und ich weiß: Ich bin damit nicht allein“, sagt Mailitafi. „Wir brauchen endlich eine ehrliche, mutige Debatte über Polizeigewalt in Deutschland. Eine Debatte, die nicht wegschaut, nicht relativiert und nicht länger schweigt.“ Der Fall betreffe nicht eine einzige Familie, sondern eine ganze Community.

Gegen den Polizisten wurde, wie in solchen Fällen üblich, nach dem Einsatz seiner Schusswaffe ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Totschlags. Der Mann ist derzeit vom Dienst suspendiert, so die Staatsanwaltschaft.

Innenministerin sieht „verheerende Vorwürfe“

Inzwischen hat sich auch die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) zu dem Fall geäußert: „Die Obduktionsergebnisse werfen schwerwiegende Fragen und verheerende Vorwürfe auf, die im Rahmen der weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft schonungslos beantwortet und aufgeklärt werden müssen.“ Gleichzeitig gelte die Unschuldsvermutung.

Für Freitag hat die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ eine Demonstration organisiert, die um 18 Uhr am Pferdemarkt beginnen soll. Lorenz dürfe auf keinen Fall vergessen werden.

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4 Kommentare

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  • Einzelfall

  • Zum Glück hat es den Hardlinern unter dem Artikel vom Vortag die Sprache verschlagen.

  • Genau das ist der Grund, warum es wichtig ist, erst Ermittlungen und Untersuchungen abzuwarten, bevor Schlagzeilen in die Welt gesetzt werden! Immerhin hat unter dem ersten Artikel in der TAZ die Mehrzahl der Kommentatoren die Tötung für gerechtfertigt gehalten. Wenn der junge Mann aber von hinten erschossen wurde, lässt das die Aussagen der beteiligen Polizisten in keinem guten Licht dastehen.

  • Schüsse in den Rücken sprechen eine deutliche Sprache. Es zeugt von einer vorbildlichen Abwägung der Verhältnismässigkeit für den Schußwaffeneinsatz.