Putins hybrider Krieg: Verschwörung, haha, was haben wir gelacht
Es war Friedrich Merz, der Deutschland in den Abschiebewahlkampf geführt hat. Oder doch Russland? Und warum reden wir dann nicht dauernd darüber?

N ach meiner Corona-Impfung behauptete ein Bekannter mit heiligem Ernst, ich sei jetzt eine Marionette von Bill Gates. Als ich das einem gemeinsamen Freund erzählte, klopfte der sich auf den Oberarm und rief in seine Impfung: „Mayday, Mayday! Bill, please help, evacuation needed!“ Was haben wir gelacht!
Inzwischen wissen wir, dass die Labortheorie keine platte Verschwörungserzählung war. Und wir müssen uns eingestehen, dass, was nach Räuberpistole, Hollywoodtrash und Verschwörungsschwurbel klingt, tatsächlich Verschwörung sein kann.
„Aschaffenburg“, lautete das Argument von Friedrich Merz, mit dem er Grüne und SPD in den Abschiebewahlkampf führte. „Aschaffenburg“ könnte allerdings als Ereignis in die Geschichte eingehen, an dem das Schild „Mit schönen Grüßen aus Moskau, gez. Wladimir Wladimirowitsch Putin“ hängt.
Spekulation, sicher. Vielleicht hängt das Schild mit den Grüßen aus Moskau auch nur am völlig untergegangenen Attentat beim Holocaustmahnmal einen Tag vor der Bundestagswahl. Vielleicht hängt an den Attentaten in München, Mannheim und Magdeburg das Schild „Trittbrettfahrer“. Vielleicht waren das auch alles nur irre Einzeltäter. Vielleicht.
Allgemeine Verunsicherung
Genauso wahr könnte aber sein, dass die deutschen Parteien eingestehen müssten, im Jahr 2025 Wahlkampf für mindestens einen feindlichen Staat gemacht zu haben. Wie hätte ein Wahlkampf ausgesehen, in dem die Parteien – gestützt auf wiederholte Aussagen des Verfassungsschutzes und von Sicherheitsexperten – den Wähler*innen versprochen hätten, Sicherheit in Deutschland wiederherzustellen, indem sie all-in gegen die hybride Kriegsführung Russlands gehen?
Krieg ist nicht erst, wenn der Russe mit dem Panzer vors Brandenburger Tor fährt. Die Verunsicherung ist die Kriegsführung, mit der Putin und Co seit Jahrzehnten die Gesellschaften in Russland und Osteuropa zu zersetzen versuchen und sich hierzu altbekannter Methoden bedienen: „Tituschki“ werden in Osteuropa Kleinkriminelle genannt, die von prorussischen Regierungen als Agent Provocateurs eingesetzt werden, um Regierungskritiker einzuschüchtern.
Abgelehnte afghanischstämmige Asylbewerber, die sich in Deutschland aufhalten, wurden laut den Recherchen von Spiegel, Insider und New York Times von Russland bezahlt, um Anschläge gegen die damalige Zentralregierung und US-Truppen in Afghanistan zu begehen. Auf der Leipziger Buchmesse aber hörte ich von deutschen Intellektuellen sogar angesichts der beeindruckenden Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises an den im deutschen Exil lebenden belarussischen Autor Alhierd Bacharevič: Für uns ist Trump viel gefährlicher als Putin.
Der deutsche Verfassungsschutz gibt seit Monaten zu Protokoll, dass russische Akteure Täter aus dem kleinkriminellen Milieu anwerben, die für Geld Spionage- und Sabotageaktionen durchführen. Und was passierte, als klar wurde, den Bauschaum hatte kein Klimaaktivist, sondern mutmaßlich Putin zu verantworten? Es ging nicht etwa eine große Debatte darüber los, was eigentlich die deutsche Politik gegen russische Wegwerfagenten tut, die hier größtmögliche Angst und Verunsicherung verbreiten. Nein, die Angst vor kriminellen Ausländern wurde bis ins Delirium geschürt, und die Letzte Generation wurde als kriminelle Vereinigung angeklagt.
Vor drei Jahren war sich der Westen total sicher: Wir haben Putin lange unterschätzt, aber jetzt hat er sich verschätzt – der Westen steht so geschlossen wie nie zusammen. Das war schon damals eine unfassbar naive Selbsteinschätzung, die spätestens mit Trump II in sich zusammengefallen ist. Wer jetzt immer noch fragt: Könnte Russland Deutschland angreifen?, hat den Schuss nicht gehört.
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