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Prozess zu Polizeigewalt in DortmundFreisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé

2022 töteten Polizisten den 16-Jährigen Dramé in Dortmund. Nun hat das Gericht ein milderes Urteil gefällt, als es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte.

Hinter diesem Eisenzaum in Dortmund wurde der damals 16-jährige Mouhamed Dramé von der Polizei erschossen Foto: dpa

Dortmund taz | Freisprüche für alle angeklagten Polizistinnen und Polizisten: Im Prozess um den von der Polizei erschossenen Geflüchteten Mouhamed Dramé hat das Landgericht Dortmund am Donnerstag ein mildes Urteil verkündet. Die Kammer um den Vorsitzenden Richter Thomas Kelm bleibt damit noch unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die zehn Monate auf Bewährung für den Leiter des Einsatzes gefordert hatte.

Klären sollte der seit einem Jahr laufende Prozess einen katastrophal gescheiterten Polizeieinsatz: Am 8. August 2022 hockt Mouhamed Dramé im Hinterhof einer katholischen Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt. Der junge Mann aus dem Senegal gilt als suizidgefährdet und hält er sich ein Messer gegen den Bauch. Verschiedene Be­treue­r:in­nen versuchen, ihn anzusprechen, doch Dramé reagiert nicht. Um 16.25 Uhr bittet der Leiter der Einrichtung deshalb telefonisch die Polizei um Hilfe.

Was dann geschieht, sorgt bei Zeu­g:in­nen des Einsatzes noch heute für blankes Entsetzen: Um 16.47 Uhr, nur 22 Minuten nach Beginn des Notrufs, feuert der damals nicht einmal 30 Jahre alte Polizeibeamte Fabian S. 6 Schüsse auf den Hilfebedürftigen ab. Dramé, nach eigenem Angaben damals 16 Jahre alt, wird im Gesicht, am Hals, in die Schulter und im Bauch getroffen. Um 18.02 Uhr stirbt er in einem Dortmunder Krankenhaus.

Vorrücken und Einpfeffern. Das volle Programm. Die ganze Flasche!

Thorsten H., Einsatzleiter

Zwar gibt es von dem Einsatz keine Filmaufnahmen – die Bodycams der Be­am­t:in­nen waren ausgeschaltet. Was in diesen 22 Minuten bis zu den tödlichen Schüssen passiert, ist durch den durchgängig aufgezeichneten telefonischen Notruf und den Funkverkehr der beteiligten Po­li­zis­t:in­nen dennoch gut dokumentiert: Schnell fasst Einsatzleiter Thorsten H. den Plan, Mouhamed Dramé ausgerechnet durch den massiven Gebrauch von Pfefferspray von einem möglichen Suizid abzuhalten.

Der Jugendliche soll so dazu gebracht werden, sich an die Augen zu fassen und dafür das Messer fallen zu lassen. Zuvor, um 16:44 Uhr, sprechen ihn zwei Zivilbeamte der Dortmunder Polizei auf Deutsch und Spanisch an – doch Dramé spricht nur Wolof und Französisch. Nur eine Minute später gibt Thorsten H. seiner Kollegin Jeannine B. den fatalen Befehl: „Vorrücken und Einpfeffern. Das volle Programm. Die ganze Flasche!“

Doch die Polizistin trifft Dramé nicht in die Augen. Stattdessen geht ein diffuser Pfefferspraynebel auf ihn den Jugendlichen nieder, der weiterhin eingezwängt in einer Ecke des Innenhofes hockt. Links neben und hinter ihm sind Mauern, vor ihm ein mindestens 1,80 Meter hoher schwarzer Metallzaun mit scharfen Spitzen. Mouhamed Dramé versucht, dem Reizgasnebel über die einzige Möglichkeit zu entgehen, die ihm bleibt – und läuft mit dem Messer in der Hand nach rechts auf Po­li­zis­t:in­nen zu, die sich dort postiert haben.

Die versuchen noch, ihn mit Elektroschockern zu stoppen. Nahezu zeitgleich, nur 0,771 Sekunden später, zieht auch Fabian S. sechs Mal den Abzug seiner Waffe, einer Maschinenpistole vom Typ Heckler & Koch MP5. Das Kriegsgerät führt die nordrhein-westfälische Polizei in jedem Streifenwagen in zweifacher Ausführung mit.

Nicht nur in der seit mehr als einem Jahrhundert migrantisch geprägten Dortmunder Nordstadt werden die tödlichen Schüsse schnell zum Politikum: Diskutiert wird Dramés Tod auch im nordrhein-westfälischen Landtag. Und an jedem Prozesstag bauen Ak­ti­vis­t:in­nen eine Mahnwache vor dem Landgericht auf: „Gerechtigkeit für Mouhamed“, fordern sie auf großen Transparenten – und „Strukturellen Rassismus bekämpfen“.

Vorverurteilungen aus dem linken wie aus dem rechten Spektrum habe es „reflexhaft“ schnell gegeben, hatte der 61-Jährige Oberstaatsanwalt Carsten Dombert deshalb schon in seinem mehrstündigen Plädoyer am 2. Dezember beklagt – die eine Seite habe die Polizei unter generellen Rassismusverdacht gestellt. Rechte Rassisten höhnten dagegen, wer mit einem Messer in der Hand auf Po­li­zis­t:in­nen loslaufe, sei eben selbst schuld.

Der Befehlshaber steht zu seiner Einsatzplanung

Die Be­am­t:in­nen selbst wiesen im Prozess jeden Rassismusverdacht von sich. „Ich habe mich jeden Tag gefragt, was ich hätte anders machen können“, sagte der MP-Schütze Fabian S. „Ich habe sein Gesicht jeden Tag vor Augen.“ Auch die Polizistin Pia B., die einen der Elekroschocker bediente, beteuerte am vorletzten Prozesstag, niemand habe den Suizidgefährdeten töten wollen – und weinte dabei wie dessen 24 und 37 Jahre alten Brüder Lassana und Sidy Dramé. Den Prozess können beide mit Hilfe von Un­ter­stüt­ze­r:in­nen als Nebenkläger beobachten.

Befehlshaber Thorsten H. hält seine Einsatzplanung, die er nach den Worten von Oberstaatsanwalt Dombert nie hinterfragte und „stumpf in die Tat umgesetzt“ habe, dagegen offenbar noch heute für richtig. „Soll ich warten, bis sich Herr Dramé ein Messer in den Bauch rammt? Und 11 Polizisten stehen drum rum und tun nichts“, fragte er vor Gericht. Nebenklage-Anwältin Lisa Grüter halt ihm dagegen vor, er habe den Einsatz von Pfefferspray, Elektroschockern und Maschinenpistole nicht einmal androhen lassen.

Auch der Einsatz von Psy­cho­lo­g:in­nen wurde nie erwogen. So bleibt auch nach dem Gerichtsprozess die Frage, warum 22 Minuten nach dem ersten Notruf ein hilfebedürftiger Jugendlicher sterbend am Boden lag – getroffen von Kugeln aus einer Maschinenpistole der Polizei.

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