taz-Genossen stimmen „Seitenwende“ zu: Bloß nicht in Schönheit sterben
Als erste überregionale Tageszeitung beendet die taz unter der Woche das Drucken. Die Versammlung der taz-Genoss:innen akzeptierte den Schritt nach lebhafter Aussprache.
Dem vorangegangen waren mindestens sechs Jahre seit dem großen Knall: 2018 verkündete der damalige taz-Geschäftsführer Kalle Ruch, dass der Journalismus der taz „im Netz“ weiterlebe und die geschichtsträchtige linke Zeitung daher eines Tages in der Woche rein digital und nur noch am Wochenende als Printzeitung erscheinen könnte. Andere Medien nahmen Ruch beim Wort, berichteten direkt im Anschluss, es könne „möglicherweise bald“ so kommen, dass die taz ihren werktäglichen Druck einstellt. Ein solches „Szenario“, wie der Geschäftsführer es nannte, gab es in der deutschen Medienbranche kein zweites Mal.
Kein zweites Mal gibt es auch die Art und Weise, wie die taz sich nun zu diesem historischen Schritt durchgerungen hat. Freilich kann ein Schritt wie die „Seitenwende“ in einer genossenschaftlich organisierten Zeitung nicht einfach durchgesetzt werden. Daher ist es zum Ritual auf der jährlichen Genossenschaftsversammlung geworden, ausgiebig über das Für und Wider dieses Schritts zu diskutieren.
So ernst wurde es aber noch nie: „Ich glaube, dass der Weg, die tägliche Zeitung ab 17. Oktober 2025 digital erscheinen zu lassen und nur noch die wochentaz zu drucken, der richtige Weg ist, um das Fortbestehen der taz zu sichern“, so lautete der Satz, über den knapp 800 Genoss*innen vor Ort und digital abstimmen durften. Das Ergebnis fiel bemerkenswert aus: rund 77 Prozent stimmten mit „Ja“, 13 Prozent mit „Nein“ und weitere 10 Prozent enthielten sich.
Was ist die Seitenwende und warum machen wir das? Unser Info-Portal liefert ihnen weitere Hintergründe, Einblicke und Ausblicke: taz.de/seitenwende
„Ein Treppenwitz“
Dass eine solch große Mehrheit zusammenkommen könnte, schien dabei zunächst alles andere als klar. Der Abstimmung unmittelbar vorangegangen war ein Redebeitrag des taz-Genossen Junge-Hülsing, der ausführlich begründete, warum er die „Seitenwende“ ablehnt: „Eigentlich sind einige von uns, vielleicht ich selbst, ein bisschen schizophren: Wir halten Genossenschaftsanteile, damit eine linke Tageszeitung gedruckt werden kann, und wir bezahlen hohe Abogebühren, damit wir sie auch kriegen. Aber das einzige Signal ist: Wann hört ihr endlich auf mit dem Zeitunglesen?“
Junge-Hülsing meinte, es sei ein „Treppenwitz“, dass ausgerechnet die progressive taz nun mit „Alternativlosigkeit“ argumentiere. Letztlich rief er die Chefredaktion und Geschäftsführung dazu auf, eine neue Strategie vorzulegen, die sowohl das Fortbestehen der täglichen Printausgabe als auch die digitale Transformation mit einschließt.
Es folgte eine Dreiviertelstunde Aussprache mit den Genoss*innen, von denen einige Junge-Hülsings Kritik zustimmten, viele aber mit Verve widersprachen: Es gebe durchaus eine Alternative zur Einstellung des werktäglichen Drucks, merkte eine Genossin an, und zwar: „in Schönheit zu sterben“. Es gelte aber zu bewahren „wofür die taz steht“, und das ginge nur, indem man „jetzt diesen Weg geht“, subsumierte sie unter Applaus.
Eine zweite Abstimmung forderte von den Genoss*innen schon mehr als gute Stimmung. Weit hergeholt war es daher nicht, dass Vize-Chefredakteurin Katrin Gottschalk vom „Ja-Wort“ sprach, und sich anschließend fast im Freud’schen Sinne versprach, als sie die Formulierung „bis ans Ende unserer Tage“ andeutete. Aber auch auf die Frage, ob die Genoss*innen „in den nächsten zwei Jahren“ auch Abonnent*innen bleiben wollen, antworteten 69 Prozent mit „Ja“.
Ein Blatt wendet sich
Folglich geht die taz ihren ungewöhnlichen Weg nun aus einer „Position der Stärke“ heraus, wie Geschäftsführerin Aline Lüllmann betonte. Damit erhält der größte Schritt im Prozess der digitalen Transformation der taz nach sechs Jahren Vorbereitungszeit nicht nur ein Datum, sondern auch breite Unterstützung seitens der Genossenschaft.
Seit 2018 verfolgt die taz das strategische Ziel, den Rückgang im traditionellen Print-Abo-Geschäft zu kompensieren und dabei die Leser:innen-Reichweite zu steigern: Inzwischen ist die ehemalige Wochenend-Ausgabe zur Wochenzeitung „wochentaz“ ausgebaut – sie wird auch weiterhin immer samstags bundesweit gedruckt erscheinen.
Die tägliche Zeitungsausgabe hat bereits ihre eigene App: Das ePaper in der taz-App wird auch nach der Einstellung des Drucks von Montag bis Freitag als abgeschlossenes Zeitungsprodukt erscheinen. Darüber hinaus wird auch die Website der taz weiter ausgebaut und Mitte Oktober 2024 einen umfangreichen Relaunch erfahren.
Schritt in die Zukunft der taz
„Wir sind glücklich und erleichtert, dass alle Zukunftsprodukte der taz jetzt so weit entwickelt und auch so erfolgreich sind, dass wir diesen wichtigen Schritt in die publizistische Zukunft der taz gehen können. Es war ein langer Weg bis hierhin und er ist weder uns noch der taz insgesamt leichtgefallen. Mit der Festlegung des Datums der letzten gedruckten werktäglichen Ausgabe haben wir nun eine wichtige Entscheidung getroffen, um die wirtschaftliche Zukunft der taz zu sichern“, erklären Aline Lüllmann und Andreas Marggraf, die beiden taz-GeschäftsführerInnen.
Natürlich sei dieser Prozess für das konzernunabhängige Haus ein Kraftakt, sagen Lüllmann und Marggraf. Aber: „Mit Stolz können wir sagen, dass wir die wirtschaftlichen Kennzahlen, nach denen wir unsere Seitenwende orchestriert und jetzt auch terminiert haben, bereits erreicht haben oder absehbar erreichen werden. Die gesamte taz zieht mit, das wissen wir – und unsere LeserInnen und GenossInnen werden uns unterstützen, davon sind wir insbesondere nach den Reaktionen auf der heutigen Generalversammlung überzeugt.“
Kräfte für noch mehr Journalismus
Auch die taz-Chefredaktion ist zuversichtlich: „Wir wissen ja längst, dass taz-Journalismus auf allen Kanälen funktioniert – digital ebenso wie in print“, erklären die Chefredakteurinnen Barbara Junge und Ulrike Winkelmann. „Unsere Analysen, Kommentare und Recherchen, unsere Haltung und Ironie bleiben auf mindestens bekanntem Niveau. Die technischen Umbrüche können sogar Kräfte für noch mehr Journalismus freisetzen, damit die taz die wichtigste linke, progressive Stimme in der deutschen Medienlandschaft bleibt.“
Vize-Chefredakteurin Katrin Gottschalk erklärte am Samstag in ihrer Rede vor der Genossenschaft: „Vor 46 Jahren endet das Editorial der ersten taz mit dem Ausruf: Die taz ist kein Papiertiger! Heute stimmt dies für uns in doppelter Hinsicht. Die taz bleibt relevant und geht als erste überregionale Zeitung diesen wichtigen Schritt in die Zukunft. Wir freuen uns darauf!“
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