P. Diddy ist kein Einzelfall: Das Schweigen der Männer

Nach misogynen Gewalttaten wird es viel zu schnell wieder leise. Die aktuellen Schreckensnachrichten zeigen: Wir müssen noch lauter werden – und mehr.

Zwei Frauen bei einer Demo

Teilnehmerinnen einer Demo gegen Männergewalt am 26. November 2022 in Rom Foto: Riccardo De Luca

Oft habe ich das Gefühl, ich schreie gegen die Wand. Eine Wand, die verhindert, dass mein Schreien durchdringt, sondern es lediglich reflektiert und mir selbst um die Ohren haut. Dieses Gefühl teile ich mit allen, die journalistisch, juristisch oder aktivistisch zu Gewalt gegen Frauen arbeiten. Denn jeden Tag werden Frauen und Queers weltweit geschlagen, vergewaltigt und getötet. Misogyne Gewalt ist Teil unseres gesellschaftlichen Alltags, doch einen Großteil scheint das nicht zu interessieren. Denn egal wie laut wir schreien, es ändert sich nichts.

Immer wieder gibt es kleine Momente, in denen Feminist_innen durchdringen. Meist dann, wenn ein großer #MeToo-Fall oder ein Femizid an die Öffentlichkeit gelangt. Für kurze Zeit sind dann alle ganz erschrocken und fragen: Wie konnte das so lange im Verborgenen bleiben? Wieso konnte das nicht verhindert werden?

So ein Moment ist jetzt gerade wieder: Große Medien berichten gehäuft über misogyne Gewalt und fürchten sich nicht mehr davor, den Begriff „Femizid“ zu nutzen. Und auch in den sozialen Medien ist die Empörung laut.

Ein Fall, an dem sich das entzündet, ist die Festnahme von Sean Combs, besser bekannt als P. Diddy, am vergangenen Montag wegen des Verdachts, eine „kriminelle Unternehmung“ zu betreiben. Er soll über Jahrzehnte Frauen missbraucht, bedroht und genötigt haben, seine sexuellen Wünsche zu erfüllen. Dafür soll er mithilfe von Angestellten ein ganzes System aufgebaut haben, damit seine Gewalttaten nicht an die Öffentlichkeit kommen.

„Extreme Gefahr“ für die Gesellschaft

Die Vorwürfe gegen Combs sind seit Längerem bekannt. Im Mai veröffentlichte CNN ein Video, in dem zu sehen ist, wie er seine Ex-Freundin Casandra Ventura zu Boden schlägt, auf sie eintritt und sie anschließend über den Hotelflur zerrt. Es ist grausam, diese Szene anzugucken. Noch grausamer ist lediglich das Wissen, dass es noch viel gewaltvollere Vorwürfe gegen den Rapper und Unternehmer gibt. Combs hat vor Gericht unschuldig plädiert, er muss bis zum Prozessbeginn in Haft bleiben, weil er eine „extreme Gefahr“ für die Gesellschaft darstelle.

Der Fall P. Diddy ist nur die aktuellste Schreckensnachricht in einer ganzen Reihe von Meldungen, die seit Wochen auf uns einprasseln. Wie der Tod der olympischen Läuferin Rebecca Cheptegei, sie wurde von ihrem Ex-Freund angezündet. Oder die ehemalige Miss-Schweiz-Finalistin, die von ihrem Mann mit einem Messer getötet und anschließend mit einer Gartenschere zerlegt wurde und deren Körperteile im Stabmixer zerkleinert wurden.

Und dann ist da noch dieser Prozess in Frankreich, der Grausamkeiten offen legt, die kaum zu begreifen sind. Ein Mann hat über neun Jahre hinweg seine Ehefrau Gisèle Pélicot unter Drogen gesetzt und sie dann entweder selbst vergewaltigt oder auf einer Website zur Vergewaltigung angeboten. Mit dem geständigen Ehemann sind 50 weitere Männer angeklagt, sie sind Journalisten, Krankenpfleger, Informatiker, Feuerwehrmänner. Über 200 Mal soll Pélicot vergewaltigt worden sein, sie selbst wusste wegen Erinnerungslücken durch die Drogen nichts davon. Erst Videos, die die Polizei sicherstellte, ließen sie begreifen, was passiert war. Statt zu schweigen, geht sie mit ihrem Gesicht und ihrer Geschichte in die Öffentlichkeit – im Namen aller Frauen, die sich nicht erinnern können. Dafür bekommt sie international Anerkennung und Respekt – vor allem von Frauen.

All die genannten Fälle mögen nicht direkt vor oder hinter unserer Haustür passiert sein, aber das heißt nicht, dass nicht auch hier in Deutschland geschlagen, vergewaltigt und getötet wird: Mittlerweile wird fast jeden zweiten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Ich könnte jetzt weiter eine Statistik nach der anderen runterbeten, doch letztlich zeigen sie alle das Gleiche: Wir alle kennen Frauen, die Gewalt erfahren, und wir alle kennen Männer, die gewalttätig sind.

Und die Männer?

Die Taten können passieren, weil andere mitmachen, das System stützen oder wegschauen. Im Fall von Pélicot sind es die 90 Männer, die sie vergewaltigt haben. Aber auch die Plattform, die es erlaubt hat, das Angebot des Ehemanns online zu stellen. Es sind die Ärzt_innen, die sie wegen Schmerzen im Unterleib konsultierte, die aber trotz Entzündungen nicht hellhörig wurden.

Die aktuelle Empörung über all diese Gewalttaten in etablierten wie sozialen Medien ist richtig. Doch im Regelfall ebbt sie nach ein paar Tagen oder Wochen wieder ab, ohne dass sich irgendetwas verbessert hat. Doch wenn uns das Leben von Queers und Frauen etwas wert ist, dann dürfen wir den Moment nicht an uns vorbeiziehen lassen – wir müssen ihn nutzen.

Wir müssen noch lauter schreien, damit die Regierung zum Handeln gezwungen wird. Wir müssen mehr werden, die schreien, damit wir misogyne Strukturen aufbrechen. Allein werden Feminist_innen das nicht schaffen. Jetzt sind vor allem die gefragt, die bislang geschwiegen haben – und das sind vor allem Männer.

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Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.

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