VW kündigt Entlassungen an: Schock in Wolfsburg

Der Autokonzern VW leidet unter schwachen Absatzzahlen und muss sparen. Die Belegschaft kritisiert, sie solle Fehler des Managements ausbaden.

VW-Konzernchef Oliver Blume hat sich für höhere Vorstandsgehälter eingesetzt Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Das hat es in der Geschichte der deutschen Werke von Volkswagen noch nie gegeben: Entlassungen und Schließung ganzer Produktionsstätten. Ohne schnelles Gegensteuern könne nicht ausgeschlossen werden, dass Autowerke und Komponenten-Fabriken geschlossen würden, teilte die Unternehmensführung in einer internen Erklärung mit. „Die Lage ist äußerst angespannt und nicht durch einfache Sparmaßnahmen zu bewältigen.“ Um welche Werke es konkret geht, ließ der Autobauer offen.

Gewerkschaft und Betriebsrat sind entsetzt. Betriebsratschefin Daniela Cavallo warf dem Vorstand Versagen vor und kündigte in einer Extraausgabe der Betriebsratszeitung Mitbestimmen „erbitterten Widerstand“ an. „Für uns kommen Standortschließungen nicht infrage.“

Sie macht dem Vorstand schwere Vorwürfe. Der habe vor allem auf rein elektrische Autos gesetzt, den Trend zu Hybrid-Fahrzeugen verpasst. Für große Empörung sorgte zudem die Ankündigung des Vorstands, den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung vorzeitig kündigen zu wollen. Der läuft eigentlich bis 2029.

Werksschließungen und Entlassungen sind bei den deutschen VW-Werken bislang ein Tabu. Das VW-Gesetz des einstigen Staatsunternehmens schreibt vor, dass Entscheidungen über Produktionsstätten nur getroffen werden dürfen, wenn mindestens zwei Drittel des Aufsichtsrats dem zustimmen. Schließungen oder Verlagerungen ins Ausland sind ohne Einverständnis der Arbeitnehmervertretungen quasi unmöglich.

Besonders die Geschäfte in China schwächeln

Hinzu kommt, dass das Land Niedersachsen zu den größten Anteilseignern gehört und 20 Prozent der Stimmrechte hält. Und die Landesregierung in Hannover ist ebenfalls am Erhalt der Arbeitsplätze interessiert. Nicht zuletzt das erklärt, dass sich jeder fünfte Arbeitsplatz der weltweit rund 600.000 VW-Beschäftigten in Niedersachsen befindet.

Dass der VW-Vorstand nun mit Entlassungen und Werksschließungen droht, zeigt, wie dramatisch die Lage für Europas größten Autokonzern inzwischen ist. Volkswagen leidet seit Monaten unter schwachen Absatzzahlen bei massiv gestiegenen Kosten.

Besonders die Geschäfte in China schwächeln, dem größtem Automarkt der Welt. Volkswagen war dort lange der führende Autohersteller. Fast jedes zweite Fahrzeug verkauften die Wolfsburger in der Volksrepublik. Diesen Titel musste die Marke VW Ende 2022 an den chinesischen Konkurrenten BYD abgeben. Entfielen 2020 noch 19,3 Prozent der Neuwagen-Verkäufe in China auf die Marken des VW-Konzerns, waren es im vergangenen Jahr nur noch 14,5 Prozent.

Transformation zum Elektroauto verschlafen

Was dem Unternehmen dort vor allem zu schaffen macht: VW hat die Transformation zum Elektroauto verschlafen. Der E-Automarkt in China boomt, VW hat in diesem Segment aber gerade mal einen Marktanteil von unter 3 Prozent. Die E-Autos von VW können vor allem bei der Batterietechnik und der Software nicht mithalten, den beiden zentralen Bereichen moderner E-Autos. Das Geschäft mit Verbrennern, lange Zeit der Renditebringer der Wolfsburger, ist in der Volksrepublik hingegen weitgehend zum Erliegen gekommen.

Um mit der chinesischen Konkurrenz mithalten zu können, investiert VW derzeit Milliarden in ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum – allerdings in China. In Deutschland ist der Verkauf von E-Autos wiederum eingebrochen, nachdem die Bundesregierung zum Jahreswechsel die Zuschüsse beim Kauf eines E-Autos spontan gekappt hat.

Um die dennoch dringend notwendigen Investitionen in die Elektromobilität stemmen zu können, ist im ohnehin schwach ausgelastetem Stammwerk in Wolfsburg Sparen angesagt. Bei dem 2023 beschlossenen Sparprogramm, das bis 2026 zehn Milliarden Euro Kostensenkung bringen soll, klafft allerdings schon jetzt eine riesige Lücke. Insider sagten dem Handelsblatt, es fehlten zwei bis drei Milliarden Euro, dem Manager Magazin zufolge fehlen sogar fünf Milliarden Euro.

Dieselskandal hat Milliarden gekostet

Ein weiterer Grund, warum VW bei der technologischen Entwicklung hinterherhinkt: Der Konzern musste im Zuge des Dieselskandals von 2015 Milliarden zurücklegen. Volkswagen hatte 2015 auf Druck der US-Umweltbehörde EPA zugeben müssen, giftige Diesel-Abgaswerte durch eine Software manipuliert zu haben. Diese sorgte dafür, dass die Motoren die Stickoxidgrenzwerte auf dem Prüfstand zwar einhielten, auf der Straße aber ein Vielfaches ausstießen. Der damalige Vorstandschef Martin Winterkorn musste daraufhin seinen Posten räumen.

Eigentlich sollte er sich zusammen mit vier anderen VW-Managern schon 2021 vor Gericht verantworten. Das Verfahren wurde jedoch aus gesundheitlichen Gründen zurückgestellt und erst am Dienstag aufgenommen. Das Braunschweiger Gericht hat vorerst 89 Termine angesetzt.

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