Ausschreitungen in England: Rechte wittern Morgenluft

Die Gewalt in England zeigt das Scheitern von 14 Jahren konservativer Politik. Aber auch die neue Labour-Regierung offenbart Widersprüche.

"Hoffnung statt Hass" - Friedliche Gegendemonstranten in Liverpool

Die Zivilgesellschaft funktioniert noch in England Foto: Belinda Jiao / reuters

Nur einen Monat nach seinem Wahlsieg sieht sich Großbritanniens Labour-Premierminister Keir Starmer mit den schwersten Unruhen im Land seit über zehn Jahren konfrontiert. Rechtsextreme Mobs ziehen im Norden Englands durch die Straßen deklassierter Großstädte, liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei und attackieren Moscheen, Flüchtlingshotels, Menschen mit dunkler Hautfarbe. Es gibt Brandschatzungen, Plünderungen, Pogrome, Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten. Ein Hauch von Bürgerkrieg hängt in der Luft, und die Politik scheint ratlos.

Schon vor den Wahlen vom 4. Juli manifestierte sich das Scheitern der britischen Konservativen nach vierzehn Jahren an der Macht in einem Auftrumpfen der extremen Rechten, auf das die etablierte Politik völlig unvorbereitet schien. Rechtspopulistenführer Nigel Farage war mit seiner Partei Reform UK in den abgehängten Regionen die einzige Kraft, die nennenswert zulegte. Die Tories verloren die Arbeiterstimmen, die ihnen dort 2019 mit dem Versprechen des Brexit zugeflogen waren – aber die Stimmen wanderten nicht zu Labour, sondern nach rechts. Und dort wird seitdem weiter mobilisiert. Farage hat ehrgeizige Ziele; die radikalen Rechten wittern Morgenluft.

Die neue rechte Propaganda fällt auf fruchtbaren Boden. Dass am Montag vor einer Woche ein 17-Jähriger aus einer Flüchtlingsfamilie drei Mädchen auf einer Tanzveranstaltung erstechen konnte, war eine Steilvorlage. Mehr Bereitschaftspolizei soll jetzt Krawalle bändigen – gegen die zunehmende Messerkriminalität aber gibt es keine Sondermaßnahmen. Den rechten Gewalttätern winken Schnellverfahren vor Sondergerichten – aber eine Beschleunigung von Asylverfahren, damit Flüchtlinge nicht jahrelang auf Staatskosten untergebracht sind, fehlt.

Dem Mob die Stirn bieten

Harte Strafen gegen Randalierer sind angekündigt – aber im Herbst will die Regierung Tausende Straftäter vorzeitig entlassen, weil die Gefängnisse voll sind. Die erste sozialpolitische Maßnahme der Labour-Regierung war übrigens die Abschaffung der allgemeinen Heizkostenbeihilfe für Rentnerinnen und Rentner, einer der wenigen bedingungslosen Zuschüsse für die Generation der Opfer der Deindustrialisierung – ein völlig überflüssiges Eigentor. Starmers Umfragewerte sind bereits im Sinkflug.

Der Lichtblick dieser Tage kommt von denen, die sich entschlossen gegen die Gewalt stellen: Menschen, die nach Pogromen aufräumen, die Moscheen und Flüchtlingshotels schützen, die dem Mob die Stirn bieten. Das ist die gute Nachricht: Es gibt eine starke britische Zivilgesellschaft, die sich weder dem Hass beugt noch auf den Staat wartet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.