Streit über Kindergrundsicherung: Armut kennt keine Herkunft

Im Streit über die Kindergrundsicherung irritiert Christian Lindner mit Aussagen über Kinderarmut im Zusammenhang mit Migration.

Finanzminister Lindner mit Mikrofon in der Hand.

Irritiert mit Aussage zu „ursprünglich deutschen Familien“: Christian Lindner beim Tag der offenen Tür Foto: Fabian Sommer/dpa

BERLIN taz | Wie bei einem Boxkampf in der zehnten Runde sehnt man sich einfach nur noch nach dem Ende. Seit Monaten stehen sich in der einen Ecke des Rings die grüne Familienministerin Lisa Paus und in der anderen der freidemokratische Finanzminister Christian Lindner gegenüber. Abwechselnd fügen sie sich Schläge zu. Erst wollte Lindner der Familienministerin für die Kindergrundsicherung nicht so viel Geld zugestehen, wie sie verlangt hatte, vergangene Woche dann blockierte Paus wiederum das Wachstumschancengesetz des Finanzministers, welches Steuererleichterungen für Unternehmen vorsieht.

In einer Kampfpause am Wochenende irritierte Lindner nun mit Aussagen über Kinderarmut. Beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung sagte er, in Deutschland sei die Kinderarmut „ganz, ganz deutlich zurückgegangen – bei den ursprünglich deutschen Familien, die schon länger hier sind“. Insgesamt sei die Kinderarmut in der Bundesrepublik aber immer noch vergleichsweise hoch. Doch das liege an „Familien, die seit 2015 neu nach Deutschland gekommen sind“.

Laut Zahlen der Bertelsmann Stiftung ist mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut bedroht. In diese Kategorie fallen all jene Kinder, die in einem Haushalt leben, der über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ordnet Lindners Aussagen ein: Bei Kindern ohne Migrationshintergrund habe man seit 2014 bei den Armutszahlen eine „ganz leichte Tendenz des Rückgangs, ob das deutlich ist, darüber kann man streiten“.

Allerdings sei die Zahl bei Kindern mit Migrationshintergrund seit 2012 von 25 Prozent auf fast 40 Prozent gestiegen. Dies sei jedoch „nicht verwunderlich“, da allein etwa eine Million Ukrai­ne­r*in­nen nach Deutschland gekommen seien und sich darunter viele Frauen mit Kindern befinden. Für diese sei es „besonders schwierig, ein Einkommen oberhalb der Armutsschwelle“ zu generieren.

Möglicherweise 3,5 Milliarden statt 12 Milliarden Euro

Die Kindergrundsicherung soll fünf bestehende Leistungen zusammenfassen. Lindner positionierte sich gegen höhere Geldleistungen für von Armut betroffene Familien. Er wolle lieber „Sprachförderung, Integration, Beschäftigungsfähigkeit der Eltern“ und Bildungschancen verbessern.

Grabka zufolge müsse beides geschehen: Geldleistungen seien eine „Symptombekämpfung, keine Ursachenbekämpfung“. Der häufig kolportierte Vorwurf, mit dem auch Lindner spielt, dass prekär lebende Eltern das Geld für sich selbst statt für ihre Kinder ausgeben würden, ist für Grabka „wissenschaftlich nicht belastbar“.

Der Streit um die Höhe der von Paus geplanten Kindergrundsicherung schwelt schon lange. Ursprünglich wollte Familienministerin Paus 12 Milliarden Euro dafür veranschlagen. Lindner will ihr nur einen Bruchteil davon gewähren – 2 Milliarden Euro.

Am vergangenen Freitag erklärte Paus, der Gesetzentwurf sei nun fertiggestellt. Laut Zeit Online sollen die Kosten dort auf 3,5 Milliarden Euro angesetzt sein. Obwohl Paus deutlich weniger Geld zur Verfügung stehen wird, sei die Kindergrundsicherung laut Grabka trotzdem „ein gutes Instrument, wenn Bürokratieabbau und Zusammenlegung von verschiedenen familienpolitischen Leistungen angegangen wird“. Anders sah das die Linken-Parteivorsitzende Janine Wissler bei einer Pressekonferenz am Montag: „Mit dieser Summe kann man Kinderarmut in diesem Land nicht bekämpfen.“

Ende August soll Klarheit herrschen. Auf der anstehenden Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg sollen die Details abgestimmt werden.

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