Debatte um E-Scooter: Straße frei!
In Paris sind bald keine E-Scooter mehr erlaubt. Aber verdammt nicht das Gerät, sondern die Verkehrspolitik. Eine Lob des verfemten Elektrogefährts.
Als ich vergangenen Juni in Paris aus dem TGV stieg, hatte ich das Gefühl gegen eine Feuerwand zu laufen. Mein Atem stockte für einen Moment, sofort bildeten sich Schweißperlen auf meiner Stirn. Ich wollte nur noch zurück in den klimatisierten Zug, stattdessen ging es mit dem Bus zum Hostel.
Ohne Klimaanlage, aber dafür Seite an Seite mit Dutzenden anderen schwitzenden Fahrgästen. Eine Tortour! Wie also die nächsten 48 Stunden überleben, wenn man etwas von der Stadt sehen möchte, doch bei 38 Grad im Schatten jeder Schritt einer zu viel erscheint?
Die Antwort für einen erfolgreichen Städtetrip war am Ende: ein E-Scooter. Ohne Anstrengung, aber dafür mit ordentlich Fahrtwind fuhr ich an der Seine entlang, erklomm Berge zum Parc des Buttes-Chaumont oder beobachtete am Ufer des Canal Saint-Martin wie Teenager von Brücken in die braune Plörre sprangen. Wenn Sie nun meine Erfahrung kopieren wollen, müssen Sie sich beeilen, denn ab dem 1. September wird es in Paris keine Leih-Scooter mehr geben.
Das verkündete die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo am Sonntagabend nachdem sich bei einer Bürgerbefragung 89 Prozent der Wählenden für ein Verbot ausgesprochen hatten. Nun könnte man sagen: Mit Recht – die Stadt denen, die drin wohnen und Tourist*innen haben Pech gehabt. Doch so einfach ist es nicht.
Denn wenn viele Medien am Montagmorgen vermelden „Paris: Mehrheit stimmt gegen E-Scooter“, ist das nur die halbe Wahrheit. Nur ein Bruchteil der Wahlberechtigten, nicht einmal 8 Prozent, haben abgestimmt. Und die heavy user, also Teenager, waren nicht wahlberechtigt.
Futter für billige Politik
Einige wenige haben also entschieden, dass in Paris für alle Autolosen künftig ein Verkehrsmittel weniger zur Verfügung steht. Damit reihen sie sich ein in Städte in den Niederlanden, Barcelona oder Montreal – in denen die spaßigen Gefährten schon verboten sind.
Verkehrsmittel eignen sich gut, um billige Politik zu machen: Ob Auto, Fahrrad oder E-Scooter – es gibt immer zwei Fronten, die sich gegeneinander aufstacheln lassen. Auch in Deutschland gibt es immer wieder die Forderung, die Roller zu verbieten, dabei sollte man einfach mehr Platz für sie schaffen.
Denn womit die Kritiker*innen recht haben: So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Auch in deutschen Großstädten liegen unzählige kaputte E-Roller auf Gehwegen oder verrotten in Flüssen. Statt auf dem Fahrradweg rasen viele, am liebsten gleich zu zweit mit Hund, auf dem Gehweg an verschreckten Fußgänger*innen vorbei. Immer wieder kommt es zu Unfällen mit E-Scootern. 2022 waren es 442 in Deutschland, die Hauptursache waren meist alkoholisierte Fahrer*innen.
Doch daraus zu schließen, dass E-Scooter aus den Großstädten verschwinden sollen, ist billiger Populismus gegen junge Menschen. Denn auch Räder und Autos vermüllen Innenstädte, stehen im Weg und verursachen Unfälle. Doch hier fordert kaum eine*r ein Verbot. Die Roller sind das letzte Verkehrsmittel, das im Straßenverkehr dazugekommen ist, statt sie auszuschließen, braucht es neue Regeln und Umgangsformen im Miteinander.
Warum haben Autos immer Vorfahrt?
Helmpflicht, eine 0-Promille-Vorgabe oder feste Abstellorte für E-Roller wären einfach und schnell einzuführen. Schwieriger wird es den ohnehin schon wenigen Platz in den Großstädten fair zu verteilen.
Der Grund, warum so viele E-Roller auf den Gehwegen unterwegs sind, ist der wirklich bescheidene Zustand vieler Radwege. Und auf die Straße auszuweichen, ist bei dem Aggressionspotential vieler Autofahrer*innen, aktuell keine Alternative. Doch anstatt, dass sich Rad- und Rollerfahrer*innen mit Fußgänger*innen um die engen Bürgersteige kloppen, sollten Fahrer*innen aller Gefährte auf die Straße ausweichen.
Denn wieso sollte es 2023 noch immer eine Selbstverständlichkeit sein, dass Autos stets Vorfahrt haben? Das Ende für alle Streitigkeiten liegt also nicht in der Forderung „Roller raus“, sondern in „Straße frei für E-Scooter“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“