Mehr Tote im Straßenverkehr: Der akzeptierte Skandal
Den Wahnsinn Verkehrstote nehmen wir als Gesellschaft einfach hin – Jahr für Jahr. Dabei wäre es so einfach, das Problem einzudämmen.
E s ist unfassbar, woran man sich gewöhnen kann. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 sind im Straßenverkehr in Deutschland 1.238 Menschen gestorben. 1.238! Soll man die kleine Meldung des Statistischen Bundesamtes überhaupt berichten? Es sterben jedes Jahr ein paar Tausend Leute bei Verkehrsunfällen, wenn nicht gerade Corona ist. Ist halt so.
Es ist halt so, dass Eltern ihre Grundschulkinder nicht alleine in die Schule spazieren oder radeln lassen, weil das im Autoverkehr zu gefährlich ist. Eltern größerer Kinder bangen, ob diese abends heil vom Fahrradweg oder von der Landstraße heimkommen. Fußgänger in autogerechten Städten laufen lange Umwege, um breite Straßen wenigstens an Ampeln einigermaßen sicher überqueren zu können. Und wer ein kleines, PS-schwaches Auto fährt, zittert sich über die Autobahn dem Ziel entgegen. An all das haben wir uns gewöhnt.
Interessiert nehmen wir den Hinweis des 20-seitigen ADAC-Schulweg-Ratgebers zur Kenntnis, Kinder hätten häufig noch eine sehr egozentrische Weltsicht und könnten sich schwer in andere Verkehrsteilnehmende hineinversetzen, darum müsse man mit ihnen den Schulweg intensiv üben. Dabei müsste man doch irre daran werden, dass wir unsere Städte und Dörfer durch Verkehr so unsicher gemacht haben, dass wir Ratgeber und Verkehrspädagogik brauchen!
Also diskutieren wir heißblütig die Gefahr durch Terroristen oder Wölfe und nehmen Tausende Verkehrstote einfach so hin – weil die Gefahr von uns selbst ausgeht und sich nicht auf Fremde und anderes wegdämonisieren lässt. Wir selbst sind nicht gerne das Problem.
Die Lösung ist einfach: Tempo 20 in Wohngebieten, Tempo 30 in Städten und Dörfern, 130 auf der Autobahn. Lindner, Poschardt und Martenstein ins Homeoffice. Insgesamt weniger Autoverkehr, weniger Parkplätze in den Städten, mehr ÖPNV. Der Anfang dafür ist mit dem 9-Euro-Ticket gemacht, der Schwung daraus die ideale Einleitung in die Verkehrswende. Die ist nicht nur ein Thema für den Klimaschutz. Über Tausend Tote im Straßenverkehr liegen im Verantwortungsbereich des Verkehrsministers, an dessen Untätigkeit wir uns nicht gewöhnen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel