Vegetarische Wurst und blutige Steaks: Scholz und die Fehlbarkeit der SPD

Der Kanzler hat schwere Tage hinter sich. Kritik wegen der zögerlichen Waffenlieferungen, die Impfpflicht und dann auch noch das Foto mit Klitschko.

Olaf Scholz

Wirkt gerade wie ein Fiat Uno bei orkanartigen Böen auf der Autobahn: Bundeskanzler Olaf Scholz Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Der Hund, der zu meiner Hausgemeinschaft gehört, sieht in mir eine Göttin – unfehlbar, allmächtig und anbetungswürdig. Er hält auch die vegetarische Fleischwurst, die ihm zuweilen kredenzt wird, für den tierischsten Leckerbissen des gesamten Universums. Ich stelle hierzu fest: Es ist sehr verführerisch, die eigenen Überzeugungen mit der Realität zu verwechseln. Wer hat sich nicht schon mal für etwas gehalten, was er nicht ist?

Olaf Scholz beispielsweise hält sich für einen Regierungschef, der Deutschland mit klarem Kurs durch nie da gewesene Krisen navigiert. Auf alle Nicht-SPD-Mitglieder wirkt er dagegen wie ein Fiat Uno bei orkanartigen Böen auf der Autobahn. Wie sehr der Herr Scholz die Regierungsarbeit im Griff hat, ist zuletzt am Donnerstag bei der Abstimmung über die Impfpflicht ab 60 zu beobachten gewesen.

Er beorderte extra seine Außenministerin von einem wichtigen Nato-Treffen in Brüssel zurück, damit auch ja keine Stimme fehlt. Verloren hat er dennoch. Aber, hey, eine Koalition ist ja nicht dazu da, gemeinsam Gesetze zu beschließen. Nichts illustriert die Differenz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung so gut wie das Stellt-euch-mal-dahin-Foto, das Scholz neben Wladimir Klitschko zeigt.

Für den Kanzler war es ein Dialog auf Augenhöhe, alle anderen sahen einen großen Mann und eine Art Scholz-Miniaturausgabe. Überhaupt hält sich die SPD für eine Meisterin der Ostpolitik und eine große Unterstützerin der angegriffenen Ukraine. Dass der eine oder andere Steinmeier oder die eine oder andere Schwesig sich bei Putin ein klein wenig getäuscht hat, nun ja, dafür haben sie sich ja ein klein wenig entschuldigt.

Grünes Frankreich

Wer hätte denn ahnen können, dass Russland imperialistischen Träumen nachhängt – außer den Menschen in der Ukraine, in Polen, Lettland, Estland, Litauen, Georgien und Moldau? Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat jedenfalls nichts geahnt, und es hat rein gar nichts damit zu tun, dass sie seit 40 Jahren in der SPD ist. Überzeugung und Realität klaffen entsprechend minimal auseinander. So hält sie Deutschland für den zweitwichtigsten Waffenlieferanten der Ukraine.

In Kiew und Brüssel scheint das noch nicht angekommen zu sein. Der ukrainische Außenminister klagt jedenfalls darüber, dass Deutschland zu wenig zu spät liefere. Und als es bei der Nato diese Woche darum ging, auch schwere Waffen wie Panzer zu liefern, wollte sich Deutschland nicht festlegen. Dafür verurteilen wir aber die Kriegsverbrechen an der ukrainischen Bevölkerung, und zwar schärfstens! Was international eindeutig nicht angemessen genug gewürdigt wird.

Umgekehrt halten sich manche Regierungsmitglieder schon für vegetarische Fleischwurst, obwohl sie noch ein blutiges Steak sind. Windrad­minister Robert Habeck zum Beispiel, der seit Amtsantritt öfter „Erneuerbare“ gesagt hat, als es E-Autos in Deutschland gibt. Es läuft so gut bei der Energiewende, dass es sich trotz der kriegsbedingten Energiekrise nicht lohnt, die drei AKWs über das Jahresende hinaus laufen zu lassen.

Ich nehme an, die Electricity Map, die tagesaktuell den CO2-Ausstoß farblich darstellt, muss sich ­irren. Sie zeigt nämlich Frankreich mit all seiner Atomkraft knatschgrün an, während Klimavorreiter Deutschland unverändert bräunlich daherkommt – Tag für Tag. Und weil ja oft argumentiert wurde, die überwältigende Mehrheit der Deutschen sei gegen Atomkraft: 72 Prozent sind inzwischen für eine Laufzeitverlängerung, darunter nicht weniger als 64 Prozent der SPD-Anhänger und sogar 32 Prozent der Grünen-Anhänger.

Wer wir sein könnten, aber nicht sind. So etwas spielt nicht nur bei der Ampel eine Rolle, sondern auch in einem Hundeleben. Besonders wenn man von Katzen aufgezogen wurde. Das große Staunen darüber, nicht über den Zaun und auf Bäume klettern zu können. Die Frustration, dass andere auf die Spüle gelangen und unerlaubt Teller ausschlecken. Aber immerhin: Katzen können nicht bellen und sie verschmähen vegetarische Fleischwurst.

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Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik

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