Linken-Absturz bei der Bundestagswahl: Große Ratlosigkeit
Die Linkspartei hat mehr als zwei Millionen Stimmen verloren und die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt. Jetzt sucht sie nach Erklärungen für das Desaster.
Wissler spricht von einem „tiefen Einschnitt“. Es müsse „jetzt wirklich darum gehen, die Fehler zu analysieren“. Und Bartsch meint: „Wir müssen einige Grundfragen stellen.“ Ihr Ringen nach passenden Worten ist wenig verwunderlich.
Der Schock des Wahlsonntags steht den drei Spitzen-Linken ins Gesicht geschrieben. Mehr als 2 Millionen Wähler:innenstimmen hat die Linkspartei verloren. Von 9,2 ist sie auf 4,9 Prozent abgestürzt. Dass sie überhaupt wieder in den Bundestag einziehen kann, verdankt sie nur den drei gewonnenen Direktmandaten – und das hätte leicht auch noch schiefgehen können.
Zwar haben Gregor Gysi und Gesine Lötzsch erwartungsgemäß ihre Wahlkreise in Berlin gewinnen können. Aber ausgerechnet Petra Pau patzte: Die Bundestagsvizepräsidentin unterlag dem CDU-Mann Mario Czaja. Dabei galt der Berliner Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf seit der Wiedervereinigung als sichere linke Bank: Viermal in Folge hatte ihn Pau gewonnen, davor dreimal Gysi.
Stark geschrumpfte Bundestagsfraktion
Dass es dennoch für jenes dritte Direktmandat gereicht hat, welches die Linkspartei für den Wiedereinzug ins Parlament benötigte, verdankt sich Sören Pellmann, der eher überraschend seinen 2017 erstmalig gewonnenen Wahlkreis in Leipzig verteidigen konnte. So bleibt der Linkspartei das Schicksal der PDS von 2002 erspart, als nur noch Lötzsch und Pau alleine ins Parlament einziehen durften.
Anders als die PDS 1994, als sie ebenfalls die 5-Prozent-Hürde verfehlte und nur dank der Grundmandatsklausel den Einzug in den Bundestag schaffte, wird die Linkspartei nicht als Gruppe, sondern wie bisher als Fraktion arbeiten können. Denn Kriterium für den Fraktionsstatus ist nach der Bundestagsgeschäftsordnung nicht das Wahlergebnis, sondern ob eine Partei mindestens 5 Prozent der Abgeordneten im Parlament stellt. Die Linkspartei kommt auf 5,3 Prozent.
Dank Gysi, Lötzsch und Pellmann ziehen nun insgesamt 39 Abgeordnete der Linkspartei in den Reichstag ein, das sind 30 weniger als bisher. Mit dabei sind erstmalig die beiden Parteichefinnen Wissler und Hennig-Wellsow. Deren Vorgänger:innen Katja Kipping und Bernd Riexinger gehören der Linksfraktion ebenso weiter an wie Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Die als Direktkandidatin gescheiterte Pau hat es über die Berliner Landesliste ebenso noch mal in den Bundestag geschafft.
Einige bekanntere Namen werden künftig jedoch fehlen. So reichte es nicht mehr für die Außen- und Friedenspolitiker:innen Matthias Höhn, Heike Hänsel, Alexander Neu und Tobias Pflüger. Auf der Strecke geblieben ist auch der Umweltpolitiker Lorenz Gösta Beutin, der bisherige Fraktionssprecher für Klimapolitik. Nicht mehr dabei ist zudem der schillernde Musikproduzent Diether Dehm, der sich künftig mit voller Kraft auf seine musikalischen Talente wird konzentrieren können.
Schon im Vorfeld auf eine erneute Kandidatur verzichtet hatten die Innenpolitikerin Ulla Jelpke, der Wirtschaftsexperte Fabio De Masi, der Außenpolitiker Stefan Liebich und die frühere Attac-Geschäftsführerin Sabine Leidig.
Die Verbliebenen werden einiges zu diskutieren haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen