documenta 15 in Kassel: Banner ist weg, Streit geht weiter
Die Debatte um das antisemitische Großbanner, das bei der documenta zu sehen war, setzt sich fort. Nun hat sich der Bundeskanzler zu Wort gemeldet.
![Leeres Gerüst in Kassel, an dem zuvor noch das umstrittene Großbanner ·?People's Justice?· des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi hing Leeres Gerüst in Kassel, an dem zuvor noch das umstrittene Großbanner ·?People's Justice?· des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi hing](https://taz.de/picture/5631662/14/30451938-1.jpg)
Die Debatte um den Skandal bei der Kasseler Kunstschau documenta geht unvermindert weiter. Wie am Mittwochabend bekannt wurde, bleibt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgrund des zunächst als Teil der Ausstellung gezeigten Hauswand-großen Wimmelbilds „People's Justice“ vom indonesischen Künstlerkollektiv Taring Pad, auf dem eine antisemitische Bildsprache zu sehen war, der 15. Ausgabe fern.
Das Werk zeigte unter anderem einen Soldaten mit Schweinsgesicht. Er trägt ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift „Mossad“ – die Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Diese fratzenhaften Darstellungen lösten heftige Kritik aus.
Wie eine Regierungssprecherin der Jüdischen Allgemeinen mitteilte, sei der Bundeskanzler der Ansicht, dass „in Deutschland kein Platz für antisemitische Darstellungen“ sei, „auch nicht in einer Kunstausstellung.“ Nach eigenen Angaben habe Olaf Scholz bislang jede der documenta-Schauen der vergangenen 30 Jahre besucht.
Systematische Untersuchung der Exponate
Die documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann hat nun wegen des Antisemitismus-Skandals eine systematische Untersuchung der Kunstausstellung auf „weitere kritische Werke“ angekündigt. „Dabei wird auch Ruangrupa seiner kuratorischen Aufgabe gerecht werden müssen“, sagte sie in einem Interview der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA). Das indonesische Kollektiv Ruangrupa kuratiert die documenta fifteen. Unterstützt werde die Gruppe nun von anerkannten Experten wie Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt.
„Es ist nicht Aufgabe der Geschäftsführung, alle Werke vorab in Augenschein zu nehmen und freizugeben“, erklärte Schormann. „Das würde dem Sinn der documenta widersprechen.“ Es könne daher auch nicht sein, die Kunst beispielsweise einem Expertengremium im Vorfeld zur Freigabe vorzulegen. Dies sei eine Kernaufgabe der Künstlerischen Leitung.
Ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi war abgebaut worden, nachdem es von Samstag bis Dienstag auf der documenta an einem Haus zu sehen war. Schormann kündigt nun eine Gesprächsreihe zu dem Thema an. Außerdem solle es einen „Begegnungsstand“ am Friedrichsplatz in Kassel geben – mit der Bildungsstätte Anne Frank und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Am Friedrichsplatz war das Werk aufgestellt, bevor es verhüllt und am Dienstag schließlich abgebaut wurde.
Muss das die Welt ertragen?
Anders urteilt der Vorsitzende des documenta-Forums, Jörg Sperling. Er hat die Entfernung des als antisemitisch kritisierten Kunstwerks auf der Kasseler Kunstausstellung kritisiert. „Eine freie Welt muss das ertragen“, sagte er. Der Antisemitismus-Vorwurf begleite die documenta fifteen seit Anfang des Jahres.
Das Werk sei am Dienstag „auf politischen Druck hin“ abgehängt worden. Es gehe in dieser Debatte um Politik, nicht um Kunst. Das Bild sei eine Karikatur und seiner Meinung nach von der Kunstfreiheit gedeckt. „Die Kunst hat ein Thema aufgebracht, das außerhalb der Kunst liegt: das Verhältnis von Palästinensern und Israelis. Dieses Problem kann die Kunst nicht lösen, das kann auch die documenta nicht lösen.“
Forderungen, die ausgestellten Kunstwerke hätten vorab überprüft werden müssen, lehnt Sperling kategorisch ab. „Das wäre Zensur.“ Angesichts der Menge der ausgestellten Objekte an mehr als 30 Standorten sei das zum einen nicht leistbar. Zum anderen widerspreche es der Idee der documenta.
Mit dem indonesischen Kollektiv Ruangrupa habe man sich in diesem Jahr bewusst dafür entschieden, eine andere Sicht auf Kunst und Kultur einzuladen: kollektiv, aus dem globalen Süden, abseits des Kunstmarkts. „Nun muss man auch aushalten, dass diese Menschen einen anderen Blick auf die Welt haben.“ (mit Material von dpa)
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