Vorstoß von europäischen Ländern: Drei Mal für Staat Palästina
Die Regierungen von Norwegen, Irland und Spanien wollen Palästina als eigenen Staat anerkennen. Steckt in der Ankündigung nur Symbolik – oder mehr?
Die Reaktionen auf die Ankündigung ließen am Mittwoch nicht lange auf sich warten. Die Entscheidung der drei Länder sende eine Botschaft an die Welt: „Terrorismus zahlt sich aus“, schrieb Israels Außenminister Israel Katz bein Twitter-Nachfolger X. Und weiter: Nun einen Staat Palästina anzuerkennen, sei eine Belohnung für die Hamas und Iran. Die Botschafter der drei Länder in Israel habe er zu einer Démarche zitiert, die israelischen Botschafter in Norwegen und Irland zog er für „Konsultationen“ nach Israel ab.
Erfreut äußerte sich hingegen die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO): Die Anerkennung sei ein „historischer Moment“ und ein Triumph von „Wahrheit und Gerechtigkeit“. Auch die Islamistenmiliz Hamas – die am 7. Oktober 2023 Israel überfiel, Hunderte Zivilisten tötete, und damit den derzeitigen Krieg im Gazastreifen auslöste – bekundete ihre Freude: Die Anerkennung sei ein wichtiger Schritt „zur Gründung eines palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt“. Der Nachrichtenagentur AFP erklärte ein Hamas-Vertreter: Die geplanten Anerkennungen seien dem „mutigen Widerstand“ der Palästinenser zu verdanken. Damit bestätigen sie selbst das Argument, mit dem Israel sich gegen die Anerkennung eines palästinensischen Staates nach dem 7. Oktober ausspricht.
Die Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, bislang 142 an der Zahl, erkennt Palästina bereits als Staat an. Das gilt jedoch nicht für die wichtigsten westlichen Nationen wie die USA und die Mehrzahl der EU-Staaten, darunter Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Entsprechend zurückhaltend äußerten sich die Regierungen dort am Mittwoch auch zu dem Vorstoß des europäischen Trios.
In Spanien war der Schritt (ebenso wie in Irland) schon länger erwartet worden. Er spiegle die „Mehrheitsmeinung des spanischen Volkes wider“, erklärte Sánchez. Die Anerkennung Palästinas stärke die Autonomiebehörde. Zudem warf der Spanier seinem israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu einmal mehr vor, „kein Friedensprojekt für Palästina“ zu haben.
In Norwegen bedeutet der Schritt einen Kurswechsel
In Norwegen bedeutet die angekündigte Anerkennung hingegen einen Kurswechsel: Oslo verlässt den langjährigen Pfad, wonach es zuerst eine Friedenslösung geben müsse. Man erhoffe sich eine Stärkung moderater Kräfte sowohl auf palästinensischer als auch auf israelischer Seite, erklärte Ministerpräsident Støre. Dass Israel empört reagiert, „nehmen wir zur Kenntnis“, sagte er dem Fernsehsender NRK.
Die PLO selbst erkennt den Staat Israel seit 1993 an, Israel seitdem die PLO als Vertretung der Palästinenser. Damals wurde das Oslo-I-Abkommen unterschrieben, im Anschluss wurde die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) als Interimslösung der Selbstbestimmung der Palästinenser gegründet. Im Jahr 1995 folgte das Oslo-II-Abkommen, welches das Westjordanland in die Gebiete A, B und C aufteilte. Nur das Gebiet A – in dem aber die meisten Palästinenser im Westjordanland leben – wird allein von der PA kontrolliert. Das Gebiet B wird gemeinsam verwaltet, das Gebiet C von Israel. Es macht den größten Teil der Landmasse des Westjordanlands aus und schließt die israelischen Siedlungen mit ein.
Gaza wurde bis 2007 ebenfalls von der PA regiert. In einem blutigen Coup übernahm damals die Hamas das Gebiet, nachdem sie 2006 die palästinensischen Wahlen gewonnen hatten. Ein aus dem Westjordanland und Gaza bestehender, zusammenhängender palästinensischer Staat wurde auch deshalb immer unwahrscheinlicher.
Obwohl die beiden Oslo-Abkommen nur eine temporäre Lösung auf dem Weg zu einem palästinensischen Staat sein sollten, sind sie bis heute politische Realität. Viele Punkte, wie ein Staat Palästina genau aussehen sollte, sind noch immer ungeklärt: In welchen Grenzen soll er existieren? Was soll mit den israelischen Siedlungen im Westjordanland geschehen? Wie soll aus dem von Israel annektierten Ostjerusalem eine eigene palästinensische Hauptstadt werden?
Dass die Anerkennung eines Staates der Beantwortung aller weiteren Fragen vorangestellt werden sollte, betont hingegen ein Vorschlag, den eine Gruppe von fünf arabischen Staaten und der PA im Frühling ausarbeitete. Von Washington wurde dieser aber prompt abgelehnt. Auch Deutschland und Frankreich unterstützen zwar die Gründung eines palästinensischen Staates – aber erst am Ende eines Prozesses, der die bestehenden Fragen klären soll. Und auch wenn Spanien, Irland und Norwegen Palästina als Staat anerkennen, bleiben diese Fragen eben offen – und die Situation auf dem Boden dieselbe. Die Anerkennung ist daher vor allem eines: symbolischer Natur.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung