Verfassungsgericht zu AfD-Klage: Juristisch richtig, politisch unklug
Das Verfassungsgericht entschied einwandfrei: Das Recht, gewählt zu werden, gibt es nicht. Trotzdem wäre es kontraproduktiv, die AfD auszuschließen.
D ass die AfD keinen Anspruch hat, bestimmte Leitungsposten im Bundestag zu besetzen, ist keine Überraschung. Diesmal ging es in Karlsruhe um den Vorsitz von Bundestagsausschüssen. Vor zwei Jahren wollte die AfD einen Vizepräsidentenposten für sich durchsetzen. Jetzt wie damals lehnte das Bundesverfassungsgericht die Klagen ab.
Entscheidendes Argument: Wenn ein Amt wie der Ausschussvorsitz von den Abgeordneten gewählt wird und diese einfach keine AfD-Politiker:innen wählen wollen, kann auch das Bundesverfassungsgericht sie nicht dazu zwingen. Es gibt kein Recht auf Erfolg bei Wahlen.
Zwar wurden die Ämter bisher im Proporz verteilt, doch das gebe der AfD keine verfassungsrechtlichen Ansprüche, an diesem Proporz beteiligt zu werden. Schließlich handele es sich bei den Ausschussvorsitzenden nur um organisatorische und repräsentative Posten. Hier habe der Bundestag eine weitgehende Selbstverwaltung.
Das Verfassungsgericht konzentriert sich zu Recht darauf, die Beteiligung der Opposition an der Gesetzgebung und der Regierungskontrolle sicherzustellen. Die gerechte Verteilung von Posten mit Funktionszulage ist da nicht so wichtig, auch wenn die AfD offensichtlich sehr gern an den wohldotierten Pfründen beteiligt wäre. Juristisch ist diese Entscheidung gut nachvollziehbar. Nicht jede Ungleichbehandlung muss das Bundesverfassungsgericht korrigieren.
Bleibt die politische Frage, ob es klug ist, die AfD im Bundestag auszuschließen, wo immer es rechtlich möglich ist. Die „Altparteien“ beschweren sich stets, dass die AfD den Parlamentarismus verächtlich mache und Sand ins Getriebe der Demokratie streue. Die Ausgrenzungspolitik der Mehrheit zeugt aber nicht gerade vom Glauben an Fairness.
Wählen und wieder abwählen
Nach der Karlsruher Entscheidung liegt die Lösung eigentlich nahe. Denn das Bundesverfassungsgericht hat im Fall des AfD-Politikers Stephan Brandner festgestellt, dass Ausschussvorsitzende nicht nur gewählt, sondern auch abgewählt werden können. Warum also wählt man die AfD-Kandidat:innen nicht entsprechend dem Wahlergebnis zu Ausschussvorsitzenden. Und wenn sie ihr Amt missbrauchen, können sie auch wieder abgewählt werden. Fehlverhalten zu sanktionieren ist überzeugender, als Fehlverhalten von vornherein zu unterstellen oder gewählte Abgeordnete gänzlich auszugrenzen.
Für das breite demokratische Publikum, jenseits der Hardcore-Antifa-Linie, wäre das vermutlich leichter nachzuvollziehen als die aktuelle Politik einer generellen und pauschalen Nichtwahl von AfD-Abgeordneten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“