Ukraines Botschafter Melnyk über Bandera: Doch, seine Truppen mordeten
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk meint, es gebe keine Belege, dass Bandera-Truppen Hunderttausende Juden ermordet haben. Wie falsch ist das?
„Es gibt keine Belege, dass Bandera-Truppen Hunderttausende Juden ermordet haben“, behauptet der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk in einem Interview. „Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen.“
Melnyks Behauptungen sind, dem Wortlaut nach, derzeit nur schwer zu falsifizieren, aber verzerren die historische Rolle des ukrainischen Faschisten und seiner Organisation Ukrainischer Nationalisten doch so massiv, dass sich das ukrainische Außenministerium umgehend zu einer Klarstellung genötigt sah: „Die Meinung des ukrainischen Botschafters in Deutschland gibt nicht die Position des ukrainischen Außenministeriums wider.“
Die Nazis hatten andere Pläne
Stepan Bandera wurde 1941 im KZ Sachsenhausen in „Ehrenhaft“ genommen, weil sein Flügel der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B) kurz nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion am 30. Juni 1941 in Lemberg einen unabhängigen ukrainischen Staat ausgerufen hatten. Doch die Nationalsozialisten hatten andere Pläne.
Nach dem Zweiten Weltkrieg flüchtete Bandera nach Deutschland und wurde 1959 in München von einem KGB-Agenten mit einer Giftpistole ermordet.
Bandera war Chef des radikal-nationalistischen und antisemitischen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten. Obwohl sich Bandera nicht als Faschist bezeichnete, hatte er doch die Ideen des Faschismus rezipiert. Dass er allerdings selbst Ideologe der Organisation gewesen sei, wird von dem ukrainischen Historiker Andrii Portnov in einem Beitrag für die NZZ bestritten: „Bandera war kein Ideologe der OUN, sondern Terrorist.“
Die OUN-Miliz ermordete Juden
Das ideologische Manifest der OUN wurde laut Portnov von Dmitro Donzow, der selbst allerdings nie Mitglied war, im Jahr 1926 veröffentlicht. „Er rief zum gnadenlosen Kampf für den ukrainischen Staat auf, verherrlichte die Gewalt und idealisierte ab den dreißiger Jahren unmissverständlich die totalitären Praktiken des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus, popularisierte die nationalsozialistische Rassentheorie und machte antisemitische Äußerungen“, urteilt Portnov, der in der taz über das Verschweigen des Holocaust in der Sowjetunion und die Weigerung ukrainischer Politiker, über die Beteiligung von Ukrainern am Genozid zu sprechen, geschrieben hat.
Denn es blieb nicht bei der ideologischen Annäherung der OUN an die NS-Rassenlehre. Eine von der OUN Banderas aufgestellte Miliz bereitete durch Verhaftungen in Lemberg die Massenerschießung von 3.000 Juden durch die Einsatzgruppe C der deutschen Sicherheitspolizei am 5. Juli 1941 nicht nur vor, wie der Historiker Hannes Heer gezeigt hat. Angehörige dieser Miliz ermordeten viele Juden auf brutale Weise. Sie erschossen, erstachen und erschlugen sie.
Banderas moralische Verantwortung
Historiker gehen davon aus, dass „untere Ränge“ des militärischen Arms der OUN-B im weiteren Verlauf des Kriegs an der Ermordung von bis zu 800.000 Juden beteiligt waren. Das entscheidende Wort im Zusammenhang mit Melnyks Einlassung ist hier: „beteiligt“.
Der Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe weist Bandera für die während seiner Abwesenheit in den Jahren 1943/44 durch den militärischen Arm der OUN an 70.000–100.000 Polen verübten Morde in Wolhynien und Ostgalizien eine „moralische Verantwortung“ zu: „Die ‚Säuberung‘ der Ukraine von Juden, Polen, Russen und anderen ‚Feinden‘ der Organisation war zentraler Bestandteil seiner Ziele.“
Melnik erweist der Ukraine keinen Dienst
Es gibt also derzeit in der Tat keine Belege dafür, „dass Bandera-Truppen Hunderttausende Juden ermordet haben“, wie Botschafter Melnyk sagt. Es gibt aber sehr wohl viele Belege dafür, dass Bandera-Truppen viele Juden ermordet haben. Angehörige der Organisation, der Bandera vorstand und die das „B“ seines Nachnamens trug, beteiligten sich aktiv an der Vernichtungspolitik der Nazis.
Die Klarstellung des ukrainischen Außenministeriums zeigt: Die ukrainische Regierung ist sich bewusst, dass Botschafter Melnyk mit seinen Relativierungen seinem Land keinen Dienst erweist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos