Taliban-Regime in Afghanistan: Ein Gesetz gegen das „Laster“
Die Taliban kodifizieren ihre Gesellschaftspolitik in einem Gesetz. Es betrifft vor allem Frauen: So sollen sie selbst zu Hause nicht laut sprechen.
Vor allem die Geschlechtertrennung weitet das ultraislamistische Regime aus. Dabei verengt es vor allem den schon geringen Bewegungsraum für Frauen weiter. Sie sollen das Haus nur „in Notfällen“ verlassen, sich in der Öffentlichkeit voll verschleiern, Blickkontakt mit nicht-verwandten Männern unterlassen und auch zu Hause nicht laut sprechen. Sie dürften öffentlich nicht singen, Gedichte vortragen oder selbst den Koran rezitieren.
Bus- und Taxifahrer müssen dafür sorgen, dass Frauen von einem männlichen Verwandten begleitet werden. Homosexualität und Ehebruch werden ausdrücklich untersagt. Auch „Ungehorsam gegenüber den Eltern“ kann bestraft werden.
Den Männern wird untersagt, Frisuren „wie bei den Ungläubigen“, kurze Ärmel und Shorts zu tragen, und sich den Bart „mehr als nötig“ zu trimmen. Während des ersten Taliban-Regimes bis 2001 galt die Regel der Faust: Umfasste man damit den Vollbart und unten sah noch Haar heraus, war es islamisch.
Händler, Handwerker und Bauern müssen gemeinsam ihr Gebet verrichten. Sie sollen pünktlich ihre islamischen Steuern zahlen, nicht fluchen, lügen, Waren horten und keine „illegalen“ und „unmoralischen Waren“ verkaufen. Gläubigen wird verboten, das Gemeinschaftsgebet vorzeitig zu verlassen.
Auch den Medien wird noch einmal auferlegt, nur Inhalte zu veröffentlichen, die „im Einklang mit der Scharia“ stehen und „die Muslime nicht beleidigen“. Das Sittenministerium erklärte bei seiner Jahreskonferenz Anfang der Woche, dies sei schon zu 90 Prozent umgesetzt. Bilder lebender Wesen aufzunehmen ist auch Privatpersonen „auf Handys und Computern“ verboten. Zurzeit veröffentlichen aber selbst die Taliban-Staatsmedien regelmäßig Fotos von Regimeoffiziellen.
Wie die Tugendförderung und Lasterunterbindung umgesetzt werden sollen, beschreibt das Taliban-Justizministerium in seiner Pressemitteilung vom Mittwoch, die das Gesetz bekannt machte. Die Sittenpolizei soll durch „sanftes Predigen und Ermahnen sicht- und hörbare Verstöße unterbinden“. Sie können aber auch direkt bestrafen, mit „Tadel in zornigen Worten“ und mit der Drohung von „Allahs Strafe“ oder Haft von „bis zu drei Tagen“.
Während der Haft kann ein Gerichtsverfahren angeordnet werden. Dabei kann Delinquent*innen auch der Verlust von Eigentum drohen. „Grundsätzlich gilt“, so das Ministerium, „wenn eine Person durch diese Strafen nicht gebessert werden kann, wird sie vor Gericht gestellt.“
Bisher scheinen die Taliban in der Lage zu sein, die Verbote flächendeckend zu überwachen und die Sittenpolizei auch zu bezahlen. Taz-Quellen in Afghanistan bestätigten zuletzt verstärkte Kontrollen der Verschleierung von Frauen in Schulen und Büros. Ein Kontakt sagte: „Die Taliban sind überall.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung