Sondierungspapier von Union und SPD: Bürger*innen erster und zweiter Klasse
Was bedeuten die schwarz-roten Ausbürgerungspläne? Jurist*innen halten die Bestrafung mit Verlust der Staatsangehörigkeit für hochproblematisch.

„Mein Buch in der Wirklichkeit“, schrieb Semsrott dazu auf Instagram, samt Screenshot der entsprechenden Stelle im Sondierungspapier. Dort heißt es: „Wir werden verfassungsrechtlich prüfen, ob wir Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen können, wenn sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen.“
Sollte die Fragestellung wirklich so lauten, dürfte die Prüfung sehr schnell erledigt sein. In Artikel 16 des Grundgesetzes heißt es sehr klar – auch als Lehre aus der deutschen Geschichte: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Entzug also nein, möglich ist aber ein „Verlust“ der Staatsangehörigkeit aufgrund eines Gesetzes und „wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird“.
Bislang fallen darunter der freiwillige Verzicht, wenn Doppelstaatler*innen in ausländische Streitkräfte eintreten oder sich an Kampfhandlungen terroristischer Vereinigungen im Ausland betätigen, oder innerhalb von zehn Jahren nach der Einbürgerung, wenn diese etwa wegen „arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung“ rechtswidrig war.
Lehre aus der deutschen Geschichte
Was aber den verbotenen Entzug vom unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen Verlust unterscheidet, ist selbst unter Jurist*innen umstritten. „Nach welchen Kriterien ein Verlust der Staatsangehörigkeit rechtmäßig möglich ist, dazu gibt es kaum Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“, sagte der Rechtswissenschaftler Thomas Groß von der Universität Osnabrück der taz. Klar sei aber: „Sie dürfen nicht diskriminierend sein. Und da habe ich bei den Plänen aus dem Sondierungspapier große Zweifel.“
Was SPD und Union prüfen wollen, hätte den Charakter einer „doppelten Sanktion“, so Groß. Völlig zu Recht ahnde der Staat eine Straftat wie etwa die Unterstützung von Terrororganisationen – schließe dann aber als zweite Strafe noch die Ausbürgerung an. „Die Staatsangehörigkeit ist etwas so Grundlegendes, dass man sie auf keinen Fall zu Bestrafungszwecken nutzen sollte – gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte.“
Artikel 16 Grundgesetz
Aus seiner Sicht sei eine solche Regelung verfassungsrechtlich nicht zulässig. Das liege auch daran, dass eine solche Sanktion sich ganz klar nur an Eingewanderte und ihre Nachkommen richte. Extremist*innen mit nur deutscher Staatsangehörigkeit würden von dieser Strafe gar nicht tangiert. „Sanktionen, die nur einen Teil der Bevölkerung treffen, sind unter dem im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgesichtspunkt hochproblematisch.“
Wichtig wäre aus Groß’ Sicht, Extremismus im Ganzen in den Blick zu nehmen und nicht nur eine bestimmte Gruppe. „Rechtsextreme Terrorunterstützer etwa haben eher selten eine zweite Staatsangehörigkeit, und auch nicht auf alle islamistischen Extremisten trifft das zu.“
Terrorismus bekämpfen ja – aber nicht so
Zudem seien die Kriterien viel zu unklar: Wo beginnen und wo enden Terrorunterstützung, Extremismus und Antisemitismus? Gerade bei Letzterem gäbe es noch immer keine „konsensfähige Definition“. Natürlich müsse der Staat diese Phänomene bekämpfen, so Groß. Das Staatsangehörigkeitsrecht aber sei der falsche Weg. „Wie immer gilt: Prävention ist wichtiger als Repression. Davon steht aber im Sondierungspapier nichts.“
Schon als 2019 die Kampfhandlungen für eine Terrororganisation ins Gesetz aufgenommen wurden, gab es daran harsche Kritik. „Staatsangehörigkeit begründet staatsbürgerliche Gleichheit“, schrieb damals etwa die Rechtswissenschaftlerin und heutige Richterin am Bundesverfassungsgericht Astrid Wallrabenstein im „Verfassungsblog“. „So wichtig es ist, dass die Bundesrepublik Deutschland Terrorismus effektiv bekämpft, so wenig darf sie dabei einen Unterschied nach der Staatsangehörigkeit machen.“
Wallrabenstein sprach im Zusammenhang mit dem damaligen Gesetzentwurf vom „Keim einer Zweiklassenstaatsangehörigkeit“. Ähnlich sieht es Groß heute. „Auch, wenn die Regelung sich nur auf Extremisten und Terrorunterstützer beziehen soll, sendet sie doch ganz klar ein Signal: Die Staatsangehörigkeit der einen ist weniger wert als die der anderen“, sagt er.
Nun ist ein Sondierungspapier kein Koalitionsvertrag. Und zumindest manche*r in der SPD hält wenig von dem, was dort niedergeschrieben ist. Auf genau diesen Passus angesprochen, sagte am Montag bei „Hart aber Fair“ die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger: „Es darf keine Deutschen erster und zweiter Klasse geben.“
Im Papier sei von einer Prüfung die Rede. Sie habe „ein Gefühl dafür, was bei dieser Prüfung möglicherweise rauskommt“, sagte sie. Es tue ihr leid, dass Menschen sich sorgten, was das in der Zukunft und mit anderen Mehrheiten für sie bedeuten könne. „Und deswegen darf das aus meiner Sicht so nicht passieren.“
Klar ist aber: Die Botschaft, die vor allem die Union senden wollte – sie dürfte wohl vor allem bei den rund 3 Millionen Doppelstaatler*innen in der Bundesrepublik angekommen sein.
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