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Sondierungspapier von Union und SPDBür­ge­r*in­nen erster und zweiter Klasse

Was bedeuten die schwarz-roten Ausbürgerungspläne? Jurist*in­nen halten die Bestrafung mit Verlust der Staatsangehörigkeit für hochproblematisch.

Rund 3 Millionen Menschen in der Bundes­republik sind Doppel­staatler*innen Foto: Matthias Balk/picture alliance

Berlin taz | So hatte Arne Semsrott sich das wohl nicht gedacht, als er in seinem Buch „Machtübernahme“ aufzeigte, was eine AfD-Regierung alles anrichten könnte. Sie werde wohl prüfen, unter welchem Umständen Personen einfacher die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden könne, schrieb Semsrott dort 2024. Nun findet sich eine ähnliche Formulierung tatsächlich im Sondierungspapier der wohl nächsten Bundesregierung. Verfasst hat dieses Papier allerdings nicht die AfD, sondern Union und SPD.

„Mein Buch in der Wirklichkeit“, schrieb Semsrott dazu auf Instagram, samt Screenshot der entsprechenden Stelle im Sondierungspapier. Dort heißt es: „Wir werden verfassungsrechtlich prüfen, ob wir Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen können, wenn sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen.“

Sollte die Fragestellung wirklich so lauten, dürfte die Prüfung sehr schnell erledigt sein. In Artikel 16 des Grundgesetzes heißt es sehr klar – auch als Lehre aus der deutschen Geschichte: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Entzug also nein, möglich ist aber ein „Verlust“ der Staatsangehörigkeit aufgrund eines Gesetzes und „wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird“.

Bislang fallen darunter der freiwillige Verzicht, wenn Dop­pel­staat­le­r*in­nen in ausländische Streitkräfte eintreten oder sich an Kampfhandlungen terroristischer Vereinigungen im Ausland betätigen, oder innerhalb von zehn Jahren nach der Einbürgerung, wenn diese etwa wegen „arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung“ rechtswidrig war.

Lehre aus der deutschen Geschichte

Was aber den verbotenen Entzug vom unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen Verlust unterscheidet, ist selbst unter Ju­ris­t*in­nen umstritten. „Nach welchen Kriterien ein Verlust der Staatsangehörigkeit rechtmäßig möglich ist, dazu gibt es kaum Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“, sagte der Rechtswissenschaftler Thomas Groß von der Universität Osnabrück der taz. Klar sei aber: „Sie dürfen nicht diskriminierend sein. Und da habe ich bei den Plänen aus dem Sondierungspapier große Zweifel.“

Was SPD und Union prüfen wollen, hätte den Charakter einer „doppelten Sanktion“, so Groß. Völlig zu Recht ahnde der Staat eine Straftat wie etwa die Unterstützung von Terrororganisationen – schließe dann aber als zweite Strafe noch die Ausbürgerung an. „Die Staatsangehörigkeit ist etwas so Grundlegendes, dass man sie auf keinen Fall zu Bestrafungszwecken nutzen sollte – gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte.“

Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden

Artikel 16 Grundgesetz

Aus seiner Sicht sei eine solche Regelung verfassungsrechtlich nicht zulässig. Das liege auch daran, dass eine solche Sanktion sich ganz klar nur an Eingewanderte und ihre Nachkommen richte. Ex­tre­mis­t*in­nen mit nur deutscher Staatsangehörigkeit würden von dieser Strafe gar nicht tangiert. „Sanktionen, die nur einen Teil der Bevölkerung treffen, sind unter dem im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgesichtspunkt hochproblematisch.“

Wichtig wäre aus Groß’ Sicht, Extremismus im Ganzen in den Blick zu nehmen und nicht nur eine bestimmte Gruppe. „Rechtsextreme Terrorunterstützer etwa haben eher selten eine zweite Staatsangehörigkeit, und auch nicht auf alle islamistischen Extremisten trifft das zu.“

Terrorismus bekämpfen ja – aber nicht so

Zudem seien die Kriterien viel zu unklar: Wo beginnen und wo enden Terrorunterstützung, Extremismus und Antisemitismus? Gerade bei Letzterem gäbe es noch immer keine „konsensfähige Definition“. Natürlich müsse der Staat diese Phänomene bekämpfen, so Groß. Das Staatsangehörigkeitsrecht aber sei der falsche Weg. „Wie immer gilt: Prävention ist wichtiger als Repression. Davon steht aber im Sondierungspapier nichts.“

Schon als 2019 die Kampfhandlungen für eine Terrororganisation ins Gesetz aufgenommen wurden, gab es daran harsche Kritik. „Staatsangehörigkeit begründet staatsbürgerliche Gleichheit“, schrieb damals etwa die Rechtswissenschaftlerin und heutige Richterin am Bundesverfassungsgericht Astrid Wallrabenstein im „­Ver­fassungsblog“. „So wichtig es ist, dass die Bundesrepublik Deutschland Terrorismus effektiv bekämpft, so wenig darf sie dabei einen Unterschied nach der Staatsangehörigkeit machen.“

Wallrabenstein sprach im Zusammenhang mit dem damaligen Gesetzentwurf vom „Keim einer Zweiklassenstaatsangehörigkeit“. Ähnlich sieht es Groß heute. „Auch, wenn die Regelung sich nur auf Extremisten und Terrorunterstützer beziehen soll, sendet sie doch ganz klar ein Signal: Die Staatsangehörigkeit der einen ist weniger wert als die der anderen“, sagt er.

Nun ist ein Sondierungspapier kein Koalitionsvertrag. Und zumindest man­che*r in der SPD hält wenig von dem, was dort niedergeschrieben ist. Auf genau diesen Passus angesprochen, sagte am Montag bei „Hart aber Fair“ die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger: „Es darf keine Deutschen erster und zweiter Klasse geben.“

Im Papier sei von einer Prüfung die Rede. Sie habe „ein Gefühl dafür, was bei dieser Prüfung möglicherweise rauskommt“, sagte sie. Es tue ihr leid, dass Menschen sich sorgten, was das in der Zukunft und mit anderen Mehrheiten für sie bedeuten könne. „Und deswegen darf das aus meiner Sicht so nicht passieren.“

Klar ist aber: Die Botschaft, die vor allem die Union senden wollte – sie dürfte wohl vor allem bei den rund 3 Millionen Dop­pel­staat­le­r*in­nen in der Bundesrepublik angekommen sein.

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15 Kommentare

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  • Im Grundgesetz ist die Möglichkeit des Entzuges der Staatsbürgerschaft dann ausgeschlossen, wenn man damit staatenlos würde - nicht aber, wenn man dann die andere Staatsangehörigkeit behält.

    Konkret geht es hier um Personen, die sich für eine gewaltsame Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung aussprechen, die also niemals eingebürgert werden könnten. Daher sehe ich auch kein Problem, sie "auszubürgern", soweit das Grundgesetz das erlaubt.

    Die doppelte Staatsangehörigkeit hat eben Vorteile (man kann auch in einem anderen Land wählen, ggf. Grund und Boden erwerben usw) und Nachteile.

  • Wie geht der Rechtsstaat mit Menschen um, die mit hoher Wahrscheinlichkeit, ein weiteres Delikt gegen Leib und Leben anderer Menschen begehen wird. Für diesen Fall kann das Gericht Sicherheitsverwahrung anordnen.

    Bei diesem Vorgehen kommt es nicht um das Motiv des Täters, sondern nur auf die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Tat.

    Da ist genau zu überlegen, ob die Ausweisung, nach Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit, bei Vorhandensein einer weiteren, nicht dem lebenslangen Aufenthalt in der Sicherheitsverwahrung vorzuziehen ist.

  • Für Merz ist man ja schon als Linker oder Grüner kein richtiger Bürger, sondern nur ein Spinner. Ich glaube nicht, das diese Person Bedenken hat, Bürgern zu Bürgern zweiter Klasse zu machen (wobei man als Lohnabhängigere ja eh schon zur unteren Klasse gehört).

  • Ich habe kein Verständnis für "Mitbürger", die ihre Staatsbürgerschaft missbrauchen, um in Deutschland schwere Verbrechen zu begehen.

  • Ausbürgern nicht.



    Aber warum mit dem StARModG Doppelstaatlichkeiten erleichtern? Warum reicht nicht eine Zugehörigkeit? Für alle DS Befürworter - warum dann keine Triplestaatsangehörigkeit?



    Anekdotische Evidenz : einige, meist DS mit westlichen Staaten, haben die zweite nur noch weil es sich so ergeben hat. Man müsste ja sonst aktiv werden. Das könnte man aber wohl verlangen.



    PS allerdings haben die wenigsten eine DS von möglicherweise "problematischen" Staaten.

    • @fly:

      Gute Frage. Aus eigener Erfahrung ist Doppelstaatlichkeit bspw. total wichtig, um Verwandte im Herkunftsland (bzw. im Herkunftsland der Eltern) zu besuchen. Die Alternative wären freie Reisemöglichkeiten wie in der EU, die es eben nicht zu jedem Land gibt.



      Manche schließen auch nicht aus, wieder in das andere Land zurückzukehren. Das bedeutet nicht, dass sie nicht "deutsch genug" sind. Stell dir ein Paar vor, eine Person deutsch, die andere nicht. Das Paar zieht nach Deutschland, könnte in 10 oder 20 Jahren aber in das andere Land ziehen.



      Und dann ist da der emotionale "Heimatsgefühl"-Aspekt. Bist du je umgezogen? Zu welcher/m Stadt/Region/Bundesland/Land fühlst du dich eher zugehörig? Hast du nach dem Umzug noch Lokalnachrichten der alten Heimat verfolgt, obwohl das theoretisch nicht nötig gewesen wäre? Bist du je zurückgegangen, nur um Freunde oder Familie zu besuchen? Hast du dich angesprochen gefühlt, wenn Leute etwas pauschales über Personen aus dieser Region gesagt haben (z.B. "Im Osten sind die alle so Rechts" – und du hast dich gerechtfertigt, obwohl du jetzt seit Jahren im Westen wohnst)?



      Warum sollte das bei Staaten nicht so sein?

  • "[...] oder innerhalb von zehn Jahren nach der Einbürgerung, wenn diese etwa wegen „arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung“

    Vielleicht sollte man das erweitern mit "Oder die Demokratischen Werte seines neuen Heimatlandes mit Füßen tritt"?

    Ich will gerne, dass unser Land weltoffen ist und Menschen aufnimmt.



    Aber will man wirklich z.B. Terroristen behalten?



    Oder kann ich mich wirklich hinter "historische Verantwortung" verstecken, wenn ich gleichzeitig Menschen, die Antisemitismus fördern und jüdische Menschen hier Angst haben, nicht ausweise?

    Tue ich womöglich nicht dann "über Bande" Antisemitismus fördern, wenn ich das Land für Juden womöglich unsicherer mache?

    "Lehre aus der deutschen Geschichte."



    Das ist kein Argument, weil "damals wurde es gemacht, also dürfen wir es heute nicht.", schlägt nämlich auch bei einem AFD-Verbot zurück "Damals wurde die SPD verboten, also dürfen wir heute auch keine Partei verbieten."

    • @Wayko:

      Ich habe Verwandte einerseits in Skandinavien und andererseits in den USA. Bei denen in den USA ist die Bindung weniger an das Land und eher an die Verwandten (3. Generation), dass sie noch Doppelstaatler sind, ist eher Zufall (aktuell finden sie es sehr beruhigend). Die in Schweden wären nicht glücklich, wenn sie sich entscheiden müssten. Wurzeln haben sie hier und dort.



      Insgesamt sehe ich eine gesellschaftliche Tendenz, Problemen nicht präventiv zu begegnen, sondern im Nachgang mit Sanktionen. Als hätte Abschreckung über Strafandrohung jemals etwas bewirkt, insbesondere bei ideologisch motivierten Tätern.

  • Es darf keine Staatsbürgerschaft "zweiter Klasse" geben!

    Gefühlt verstehe ich immer nicht recht, wieso man in ein anderes Land flüchtet, umsiedelt etc., die Staatsbürgerschaft beantragt und dann seine "eigentliche Staatsbürgerschaft" behalten will.



    Damit sind ja die Inländer eigentlich benachteiligt?



    Denn sie können nicht auf eine zweite Staaatsbürgeschaft zurückgreifen, sofern sie terroristsich oder extrem aktiv werden, für ein anderes Land in den Krieg ziehen oder "innerhalb von zehn Jahren nach der Einbürgerung, wenn diese etwa wegen „arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung“ rechtswidrig war."

    Wir sprechen also von erheblichen Straftaten gegen den Staat, dessen Staatsangehörigkeit man verlangt?



    Und dann nennen wir das diskriminierend?



    Es tut mir leid, aber das halte ich für völlig absurd!

  • Entscheiden sie sich für eine ist das Problem gelöst.



    Sie wollen beide behalten - dann sehe ich kein Problem eine verlieren zu können. Die Verfassung auch nicht.



    Und ob der Mann das als das falsche Mittel ansieht sei ihm gegönnt, rechtliche Relevanz hat seine Meinung nicht.

    Afghanistan und Syrien (bisher) erlauben einen Verlust der Staatsbürgerschaft nicht, das sind nebeneinander die Hauptländer der aktuell zu uns kommenden die das betreffen könnte. Staatenlos werden sie also nicht.

  • Mitbürger mit mehr als der deutschen Staatsangehörigkeit tun also gut daran, weder die AfD noch die CDU/CSU zu wählen.

    • @Aurego:

      Grüne/SPD/FDP haben ein Gesetz geschaffen das es erlaubt Dopelstaatlern die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen wenn sie Zb. bei der Beantragung falsche Angban gemacht haben

    • @Aurego:

      Man kann es auch mit Gesetzestreue versuchen.

  • Es betrifft auch Deutsche die eine zweite Staatsbürgerschaft erwerben. Daher ist es keine Ungleichbehandlung. Nur weil diese Gruppe kleiner als die andere Zielgruppe des Gesetzes ist heißt es nicht das es eine Ungleichbehandlung darstellt. Außerdem sollen gesetze nicht nur bestrafen sondern auch schützen. Die entsprechenden Menschen stellen eine Gefahr da und Politiker sollen Schaden vom Deutschen Volk abwenden, die Ausbürgerung und anschließende Entfernung aus Deutschland von Extremisten wendet Schaden ab.

  • Eine Verfassungsnorm gilt immer vollständig. Nicht nur der Teilsatz der einem persönlich gefällt. Der Art 16GG ist ein klassischer Kompromiss. Willkürlichen Entzug der Staatsbürgerschaft ist verboten .Gesetzlich geregelter Verlust aber erlaubt solange die Betroffenen nicht Staatenlos werden. Eigentlich ganz klar



    Im Unterschied zur NS Herrschaft steht Betroffenen der Rechtssweg offen. Ein modernes offenes Staatsbürgerschaftsrecht das zahlreiche Möglichkeiten des Erwerbs der Deutschen Staatsbürgerschaft ermöglicht muss logischerweise auch die Möglichkeit eines Verlustes derselben regeln.