SPD nach der Europawahl: Das Ende ist Nahles
Man brauche jetzt keine Personaldebatte, hieß es in der SPD. Es folgt: eine Personaldebatte. Andrea Nahles kann nicht mehr viel richtig machen.
Die blickte aber in die Vergangenheit: 15,8 Prozent ist das schlechteste Ergebnis der SPD seit 1887. Nahles merkte nicht, dass ihre Floskeln die depressive Partei nicht beruhigten, im Gegenteil.
Am Montag gab es im Parteivorstand eine lange Krisensitzung. Es herrschte allgemeine Ratlosigkeit. Man beschloss lieber nichts, nur die nächste Krisensitzung. Erstmal Ruhe bewahren. Man brauche jetzt keine Personaldebatte, lautete das Mantra der mittlerweile überschaubaren Zahl von Nahles-Anhängern.
Nach der Sitzung wurde Nahles auf einen Brief eines SPD-Abgeordneten aus dem Ruhrgebiet aufmerksam, der eine Sondersitzung der Fraktion forderte. Sie hatte nun wieder die Wahl zwischen falsch und ganz falsch. Den Brief zu ignorieren, wäre falsch. Das würde als Schwäche verstanden. Daher verkündete sie abends im TV-Interview, dass sie schon jetzt als Fraktionschefin wiedergewählt werden will. Das schien ein raffinierter Zug zu sein, der ihre Gegner auf die Lichtung zwingen würde. So etwas lernt man bei den Jusos.
Doch auch das war falsch, sogar sehr: Benzin, das das Feuer richtig anfachte. In der SPD-Spitze fühlten sich viele veralbert. Stundenlang hatte man sich gegenseitig versichert, keine Personaldebatte zu führen.
Dann erfuhren die GenossInnen aus dem Fernsehen, dass das gerade erst Verabredete schon wieder Schnee von gestern war. Nahles wirkte egoman, wie Sigmar Gabriel, der seine Partei oft mit abrupten Schwenks irritiert hatte. Wie Gabriel wirken, ist ziemlich schlimm in der SPD.
Politisch diffus
Jetzt ist Krise. Abgesagte Statements, verschobene Fraktionssitzungen. SPD-Abgeordnete fordern auf Facebook den Rücktritt von Nahles und Scholz. Ein anderer unterstellt Nahles aus Geltungssucht die Partei „in Geiselhaft zu nehmen“. Der Topf ist vom Deckel geflogen, Nahles Autorität in drei Tagen verdampft. Ihre Versuche, die Krise einzuhegen, haben alles noch schlimmer gemacht. Die Fraktionschefin kann nun nur noch hoffen, dass sich am Dienstag ein Gegenkandidat findet. Wenn nicht, droht das Schlimmste: Sie wird nicht gewählt. Oder ganz knapp. Dann geht die Agonie weiter.
Mitunter ist von einer Opposition in der Fraktion gegen Nahles die Rede. Das ist ein Euphemismus. Opposition ist eine Gruppe, die ein Ziel, einen Plan, womöglich eine politische Idee hat. So ist es nicht. Wenn Nahles scheitert, dann an ratlos verzweifelten Abgeordneten, die nicht mehr wissen, was sie ihrer wütenden Basis in den Wahlkreisen sagen sollen. Sie sind gegen Nahles – mehr nicht. Ob die SPD grüner oder traditioneller werden muss, staatstragend oder richtig links, liegt im Nebel. Den Mut das Nötige zu tun und bald die Regierung zu verlassen, hat in der SPD-Fraktion sowieso kaum jemand.
Auch weil Nahles Gegner politisch diffus sind, gibt es bis jetzt keinen Gegenkandidaten. Natürlich ist auch Kalkül im Spiel. Niemand will die Königin gestürzt haben – und im Herbst womöglich erklären müssen, warum der Niedergang der SPD in Sachsen und Brandenburg weiterging. Dieses Agieren aus der Deckung ist verdruckst. Ein Ränkespiel auf der Titanic.
In Beziehungskrisen gibt es den Moment, in dem das eigene Ziel an Bedeutung verliert. Es gibt nur noch pure Verzweiflung, Kampf im Autopilotenmodus. Die SPD-Fraktion ist diesem Moment ziemlich nahe.
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