Kommentar Nahles-Rücktritt: Mission impossible

Von Nahles werden weniger inhaltliche Fehler als ihre Performance in Erinnerung bleiben. Auch das ist Ausdruck einer machistisch geprägten Partei.

Andrea Nahls in der Parteizentrale

Geht als Fraktionschefin und Parteivorsitzende von Bord: Andrea Nahles Foto: imago-images/HMB-Media/Oliver Mueller

155 Jahre hat es gedauert, bis die SPD eine Frau an ihrer Spitze hatte, etwas mehr als ein Jahr war Andrea Nahles ihre Chefin. Viel Zeit hatte sie nicht, einen Laden, den Männer zugrunde gerichtet haben, wieder aufzubauen. In der Wissenschaft gibt es für Situationen wie diese ein Wort: Das Phänomen „Glasklippe“ beschreibt, dass Frauen in Krisenzeiten sowohl in Unternehmen als auch in der Politik wahrscheinlicher höhere Positionen bekommen als in Zeiten der Stabilität. Damit einher geht, dass die Wahrscheinlichkeit ihres Scheiterns steigt.

Nun ist die Trümmerfrau Andrea Nahles gescheitert, sie gesteht es ein, in sachlicher Verantwortung und zumindest nach außen ohne Verbitterung. Sie hat Fehler gemacht, offensichtlich: Sie hatte dem Bild einer SPD, die ihre eigenen Werte verrät und sich zugunsten von Machterhalt bis zur inhaltlichen Unkenntlichkeit an die Union verkauft, nichts entgegen zu setzen. Sie wollte Martin Schulz trotz Wortbruchs zum Außenminister machen. Unter ihr wurde Maaßen befördert. Und den 219a zu verschärfen, war unter Nahles eine frauenpolitische Bankrotterklärung der Partei.

Doch von Nahles werden weniger inhaltliche Fehler als ihre Performance hängen bleiben – und das ist ein Problem. Denn poltern oder anecken dürfen zwar Schröder („Basta“), Gabriel oder Steinbrück, dem der Mittelfinger mit mildem Lächeln durchgewunken wurde. Bei einer Frau wie Nahles ist das anders. „Der einzige Mann in der SPD-Führung“, hieß es in der FAZ, oberflächlich anerkennend, unterschwellig vernichtend. Ein „Organ wie eine Kreissäge“, schrieb die Bild. Ihre polternde Breitbeinigkeit, ihr lautes Lachen, ihre Schroffheit: All das sind männliche Attribute, die einer Frau im politischen Habitus nicht zustehen. Und anders als bei Männern ist der Ton der Kritik daran schnell höhnisch, hämisch, ätzend.

Jetzt, im Nachhinein, ist von Scham über den Umgang mit ihr die Rede, von schändlichem Verhalten. „Da werden Verhaltensweisen kritisiert, die man bei keinem Mann kritisieren würde“, sagte Olaf Scholz am Sonntag bei Anne Will.

Was von Frauen auch und gerade in der Politik noch immer erwartet wird, sind Lächeln, Fürsorglichkeit und freundliche Aufmerksamkeit. Katarina Barley, Franziska Giffey oder Manuela Schwesig bedienen dieses Muster bisher weitgehend. Andrea Nahles tat es nicht. Und spätestens, seit sie ganz oben mit spielte, wurde sie sowohl von ihrer Partei als auch von einigen Medien dafür bestraft.

Nahles' Rücktritt liegt nicht nur daran, dass sie in einer frauenfeindlichen Umgebung Politik gemacht hat. Aber gerade in einer so machistisch geprägten Partei wie der SPD hatte sie es zweifellos schwerer als es männliche Kollegen in derselben Situation gehabt hätten. Dass sich die SPD neu erfinden muss, sollte sie nicht vollends in der Versenkung verschwinden wollen, steht außer Frage. Sie täte gut daran, auch an ihrem Umgang mit Frauen zu arbeiten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erscheint mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.