Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer: Mit AKK scheitert auch Merkel
Es gibt Rücktritte, die Knoten lösen, und solche, die eine tiefere Krise erst bloßlegen. Kramp-Karrenbauers Schritt zählt zur zweiten Kategorie.
A nnegret Kramp-Karrenbauer ist nicht nur an dem Debakel in Erfurt gescheitert. Auf ihrem Job als CDU-Vorsitzende lag von Beginn an kein Segen. Sie war die Wunschkandidatin von Angela Merkel – und das erwies sich als kaum zu bewältigende Doublebind-Situation. AKK sollte Merkels liberalen Kurs fortsetzen, aber auch etwas anderes, Konservativeres verkörpern. Diese Rollenanforderung war von Beginn an überkomplex, angesiedelt im diffusen Irgendwo zwischen Erbverwalterin und Neuerin. Dass Merkel als Kanzlerin gleichermaßen abwesend und anwesend war, machte alles noch schwieriger.
Merkels Intervention aus Südafrika, die das Desaster in Erfurt unverzeihlich nannte, machte AKKs Schwäche für alle sichtbar: Wenn es ernst wird, spielt die Kanzlerin die erste Geige. Insofern geht AKKs Rücktritt auch auf Merkels Konto. Für die offene Revolte gegen die Kanzlerin fehlte AKK die Kraft, vielleicht auch die dafür nötige Skrupellosigkeit. Dass der Saarländerin mitunter, wie bei matten Scherzen über Genderklos, jedes politische Gespür fehlte, machte alles noch verwickelter und aussichtsloser.
Es gibt Rücktritte, die Knoten lösen und ins Freie führen, und solche, die eine tiefere Krise erst bloßlegen. Kramp-Karrenbauers Schritt zählt zur zweiten Kategorie. Denn auch jetzt ist nichts klar – weder Merkels Rolle noch, was noch weit wichtiger ist, die politische Richtung der Union. Thüringen hat ein strategisches Dilemma der Union offengelegt, das sich in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wiederholen kann: Sie ist eingeklemmt zwischen einem angestaubten Antisozialismus, an den sie sich klammert wie eine Ertrinkende, und einem ungeklärten Verhältnis zur AfD, der sich manche CDUler vor allem im Osten doch nahe fühlen.
Ein kleiner, aber lautstarker Flügel will die CDU zu einer rechtskonservativen Kraft umbauen, die mit der AfD regieren kann. Die Mehrheit der Union lehnt das ab – denn damit würde sie die Mitte, den magischen Ort bundesdeutscher Politik, räumen und riskieren, zur Randerscheinung zu schrumpfen. Doch ob die CDU die liberale Merkel-Partei bleiben will – das weiß sie selbst nicht. Die CDU steckt in der tiefsten Krise seit Kohls Spendenaffäre vor 20 Jahren. Niemand hat das Rezept, um diese Widersprüche aufzulösen.
Viele offene Fragen. Und eine Erkenntnis, die sich verdichtet: In AKKs Scheitern spiegelt sich Merkels Versagen. Wenn Merkel ihr Erbe retten will, folgt sie AKK und tritt ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW