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Reform des WahlrechtsAmpel gegen Sachverstand

Am Freitag beschließt der Bundestag wohl das umstrittene neue Wahlrecht. Die Ampel beruft sich auf den Rat von Sachverständigen.

Und raus bist du: Linke und CSU könnten ihre Sitze im Bundestag verlieren Foto: Clemens Bilan/epa

Berlin taz | Union und Linkspartei geben sich weiter empört, helfen wird es ihnen aber kaum noch: Mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen wird der Bundestag am Freitag voraussichtlich das neue Wahlrecht beschließen. Teil der Reform: Der bisher übliche Umweg um die 5-Prozent-Hürde herum wird versperrt. Gestrichen wird die Grundmandatsklausel, durch die Parteien in den Bundestag kommen, auch wenn sie bundesweit weniger als 5 Prozent der Zweitstimmen erhalten – sofern in einzelnen Wahlkreisen ihre Di­rekt­kan­di­da­t*in­nen die meisten Stimmen bekommen.

Künftig könnte es passieren, dass die CSU dutzende Wahlkreise in Bayern gewinnt und bei der Mandatsverteilung trotzdem leer ausgeht. Hätten die neuen Regeln schon bei der letzten Wahl gegolten, wäre schon jetzt die Linke nicht mehr im Parlament. Erst am Montag hatten die Regierungsfraktionen überraschend diese Änderung in ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf präsentiert. Zur Begründung verweisen sie seitdem immer wieder auf eine Sachverständigenanhörung im Innenausschuss, bei der im Februar zehn Ex­per­t*in­nen vornehmlich aus der Rechtswissenschaft die ursprünglichen Pläne bewerteten.

„Wir haben von Ex­per­t*innen bei der Anhörung die eindeutige Rückmeldung erhalten, dass die Grundmandatsklausel systemwidrig ist“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast. Um die Wahlrechtsreform verfassungsfest zu machen, sei es ratsam, die Klausel abzuschaffen. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte, die Regelung wäre ein „Fremdkörper im System“ gewesen. „Das ist das, was bei der Anhörung Thema war und was aufgegriffen wurde.“ Im Deutschlandfunk behauptete auch FDP-Vize Johannes Vogel, die Streichung sei „eine Reaktion auf die Anhörung“.

Doch taz-Recherchen zeigen: Das Stimmungsbild unter den Ex­per­t*in­nen war in der Frage nicht nur während der Sitzung im Februar geteilt. Auf Nachfrage spricht sich jetzt sogar eine Mehrheit der Sachverständigen gegen die ersatzlose Streichung der Grundmandatsklausel aus. Würde der Bundestag vor der Abstimmung eine neue Anhörung durchführen, wäre das Echo für die Ampel-Fraktionen verheerend: Aus verschiedenen Gründen lehnen fast alle der Sachverständigen die Reform in ihrer jetzigen Form ab.

„Beibehaltung unabdingbar“

Die Wahlreform der Ampel

Sitze Der Gesetzentwurf sieht vor, die Sollgröße des Bundestags von derzeit 598 Abgeordneten leicht auf 630 zu erhöhen. Auf Überhang- und Ausgleichsmandate wird aber ganz verzichtet. Im Vergleich zu heute wird das Parlament also schrumpfen.

Verteilung Es bleibt bei den bestehenden 299 Wahlkreisen. Ausschlaggebend für die Sitzverteilung sollen allein die Zweitstimmen sein. Künftig kann es passieren, dass ein Kandidat seinen Wahlkreis gewinnt, aber kein Mandat bekommt – und zwar dann, wenn nach dem Zweitstimmenergebnis seiner Partei weniger Sitze zustehen als sie Direktmandate geholt hat. Ins Parlament kommen dann nur die Wahl­kreis­sie­ge­r*in­nen mit den besten Ergebnissen.

Klausel Leer ausgehen soll künftig auch jede Partei, die nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Denn die sogenannte Grundmandatsklausel soll gestrichen werden. Nach ihr kommt bisher in den Bundestag, wer seinen Wahlkreis gewinnt, obwohl seine Partei bundesweit weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen holt. Ab drei Direktmandaten kommen bisher auch Listenkandidaten der Partei entsprechend des Zweitstimmenanteils rein. (dpa/taz)

In einem gemeinsamen Gutachten für die Anhörungen plädierten im Februar die von der Ampel vorgeschlagenen Recht­wis­sen­schaft­le­r*in­nen Jelena von Achenbach, Florian Meinel und Christoph Möllers dafür, die Klausel beizubehalten, um die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb zu wahren. Die Beibehaltung sei für die Glaubwürdigkeit des Entwurfs „unabdingbar“. Nur eine ergebnisneutrale Reform stelle sicher, dass die zustimmenden Parteien nicht auch ihre eigenen politischen Interessen verfolgten. Mit anderen Worten: Es läge sonst der Verdacht nahe, dass SPD, Grüne und FDP eine Reform zum eigenen Vorteil durchpauken.

Den Einwand, dass die Grundmandatsklausel dem System der Verhältniswahl widerspreche, ließ das Trio in seinem Gutachten nicht gelten. „Die Fortschreibung der Grundmandatsklausel steht nicht im Widerspruch zum System der Verhältniswahl“, heißt es dort. Sie sei „verfassungsrechtlich auch künftig gut zu rechtfertigen“.

Fühlen sich die drei Ju­ris­t*in­nen übergangen, ist der Ampel-Verweis auf die Sachverständigen nur vorgeschoben? Meinel möchte sich öffentlich nicht äußern, Möller und von Achenbach verweisen auf das gemeinsame Gutachten. Sie sehe keinen Anlass zur Änderung der damaligen Stellungnahme, so von Achenbach gegenüber der taz.

„Kein schöner Zug“

Der Frankfurter Rechtswissenschaftler Uwe Volkmann, im Februar von den Grünen geladen, hält es sogar für möglich, dass das neue Wahlrecht ohne die Klausel vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. Eindeutig sei die Sache zwar nicht, schreibt er in dieser Woche in einem Beitrag für den Verfassungsblog. Aber: „Das Störgefühl, das viele hier empfinden werden, hat das Verfassungsgericht in anderen Fällen ausgesprochen kreativ agieren lassen.“ Argumente für die Verfassungswidrigkeit ließen sich finden. Abgesehen von der Frage der Rechtmäßigkeit sei die Streichung „kein schöner Zug, vielleicht nicht mal ein besonders kluger“.

„Letztlich eine politische ­Entscheidung“

Nicht juristisch bewerten will der von der SPD geladene Sachverständige Friedrich Pukelsheim die Streichung. Er sei Mathematiker und konzentriere sich „auf die Frage, ob die Systeme in sich schlüssig und verfahrensfest sind“, sagt er auf Anfrage. In seinem Gutachten für die Februar-Anhörung hatte er geschrieben, es spräche für „den fairen Kollegialitätssinn des Ampelentwurfs, die Grundmandatsklausel in modifizierter Form beizubehalten“. Ohne sie funktioniere das System aber auch, meint er jetzt. Letztlich gehe es aber um eine politische Entscheidung, die „dann auch politisch verantwortet werden muss“.

„Keine Bedenken gegen die Beibehaltung“

Die Linkspartei hatte den Berliner Rechtswissenschaftler Tarik Tabbara geladen. Er hatte sich während der Anhörung auf ein von der Linken gefordertes Ausländerwahlrecht konzentriert. Zur Grundmandatsklausel sagt er jetzt, dass er „gegen die Beibehaltung keine verfassungsrechtlichen Bedenken“ gehabt hätte. Die Klausel könne „problematische Aspekte der Fünfprozenthürde etwas abmildern und ärgste Schlaglöcher in der Repräsentation des regional ausdifferenzierten Wählerwillens vermeiden helfen“. Und das Ampel-Argument der Systemwidrigkeit? „Die aktuelle Debatte zeigt, dass hinter so neutral daherkommenden Argumenten politische Interessen stehen können“, sagt er.

„Höchst unplausibel“

Der von der Union vorgeschlagene Jurist Bernd Grzeszick hält die Ampel-Behauptung, dass die Anhörung im Februar zur Streichung geführt habe, für „höchst unplausibel“. Kontrovers diskutiert worden sei die Klausel schon bei vorherigen Anlässen. Das Thema kann den Fraktionen also nicht neu gewesen sein. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Streichung überhastet vorgenommen wurde, nun aber rechtliche und politische Probleme bereitet und die Verantwortung dafür ein Stück weit gescheut wird“, sagt Grzeszick.

Inhaltlich hätte er es zwar für verfassungsrechtlich problematisch gehalten, wenn die Klausel unverändert erhalten geblieben wäre. Das gelte aber auch für die vollständige Streichung. Als möglichen Ausgleich für die Abschaffung schlägt er „die Absenkung der 5-Prozent-Hürde oder deren Föderalisierung“ vor.

„Vorschlag verfassungswidrig“

Kritik an der Klausel kam während der Anhörung ironischerweise auch von zwei weiteren von CDU und CSU vorgeschlagenen Expert*innen. Die Klausel sei im neuen Wahlsystem „verfassungsrechtlich nicht mehr haltbar“, schrieb Philipp Austermann in seinem Gutachten. Sie lasse sich „rechtlich nicht widerspruchsfrei begründen“, sagte Stefanie Schmahl.

Beide halten die Ampelpläne aber unabhängig davon für falsch, da Wahlkreis-Sieger*innen auch dann ohne Mandat bleiben können, wenn ihre Parteien die 5-Prozent-Hürde knacken. „Aus meiner Sicht ist bereits der Grundansatz des Reformvorhabens problematisch, da es das Direktmandat entwertet“, schreibt Schmahl auf Anfrage. Ähnlich formuliert es Austermann. So bestehe „das zur Verfassungswidrigkeit des Vorschlages führende Problem darin, dass alle Direktmandate künftig durch Zweitstimmen ‚gedeckt‘ sein müssen. Dieser Gleichheitsverstoß macht den Vorschlag verfassungswidrig.“

„Passt zur Logik der Reform“

Am Ende bleibt von zehn Sachverständigen nur noch eine übrig, die der Wahlrechtsreform der Ampel vorbehaltlos ihren Segen gibt. Während der Anhörung sagte die von der SPD nominierte Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger, sie hätte zwar „persönlich ein anderes Modell lieber gehabt“. In der seit Jahren andauernden Reformdebatte durchschlage der Entwurf aber einen „gordischen Knoten“ und „plausible Einwände“ sehe sie nicht. In der Welt verteidigt sie jetzt auch den Wegfall der Grundmandatsklausel. „Er passt zu der Logik der Reform, die den Übergang zum Verhältniswahlrecht gemäß den Zweitstimmenanteilen vollzieht“, sagt sie dort.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Textes stand, auch die AfD werde den Gesetzesentwurf ablehnen. Tatsächlich hatte sie aber angekündigt, sich zu enthalten.

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46 Kommentare

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  • Da die Erststimme dann völlig belanglos für die Mehrheitsverhältnisse ist, kann man sie hemmungslos dazu benutzen, die Reihenfolge auf den Landeslisten durcheinanderzuwirbeln. :)



    Am besten gibt man dem Kandidaten seine Stimme, dessen Partei man garantiert nicht wählen möchte.

  • "...Hinweis: ...auch die AFD werde dem Gesetzentwurf abgelehnt..."

    Liebe taz, kauf dich mal ne Tüte Deutsch, bei mir hat's auch gehelft.

  • Im Bundestag gibt es drei Parteien, die nun wirklich niemand braucht, nämlich CSU (Steuerverschwendende bajuwarische Klientelpartei), AfD (Faschisten und ewig Gestrige) und Die Linke (Handlanger Putins und Wagenknecht-Wahlverein). Die Ampel hat nun immerhin die Grundlagen dafür gelegt, zwei davon aus dem Bundestag zu entfernen, das ist doch eine gute Nachricht. Fehlt nur noch ein Rezept gegen die AfD. Irgendwelche Ideen ?

  • Die Koalition hätte das Gesprächsangebot von Merz annehmen und 14 Tage Aufschub gewähren sollen.



    Die Vorgehensweise mit einem sehr spät eingebrachten Änderungsantrag ist zu kritisieren.

    Durch Zweitstimmen "abgedeckte" Direktmandate sollten gewährt werden, damit auch die drei der Linken; die 5%-Hürde sollte dann für die Listenplätze gelten.

    Es ist ja auch etwas grundlegend anderes, ob man einige wenige "Wahlkreissieger" mit 18% oder 22% Erststimmen kein Mandat zubilligt, oder ob das auch solche mit 40% oder über 50% treffen kann, zumal im zweiten Fall die Chance geringer ist, dass der Wahlkreis von einem Kandidanten einer anderen Partei (über deren Liste gewählt) vertreten wird.

  • Cool solche Treffen mit Sondierung einer Koalition aus SPD, Linkspartei und Grünen... hat's ja mal gegeben.



    Ich halte die Repräsentanz der Wählenden für wichtiger als die Verkleinerung des Parlaments.

  • Naja, einerseits hat das Vorgehen schon einen gewissen Beigeschmack und lässt nichts Gutes erahnen. Die USA sollten eigentlich ein warnendes Beispiel dafür sein, was passiert wenn das Wahlrecht zur parteitaktischen Waffe wird.

    Andererseits wird die absurde Sonderrolle der CSU im Bund eventuell dermaßen ad absurdum geführt, dass die Parteien sich entweder vereinen oder getrennte Wege gehen. Und wer weiß, unter einer bundesweit antretenden CSU könnte vielleicht sogar die AfD leiden.

    Aber sein wir mal realistisch. Wahrscheinlich wird ewig geklagt, irgendwann mit Erfolg, und in der nächsten Legislaturperiode versucht die neue Regierung dann der Opposition einen auszuwischen, die dann wieder klagt. Mit etwas Glück kehrt bei der dritten Iteration etwas Ruhe ein.

  • Das G'schäckle ist halt blöd: Da sitzen die SPD (heutzutage zwar auch Überhangmandate gewohnt, aber viel weniger davon als die schwarze Hauptkonkurrenz) und zwei ganz klare Erststimmen-Underperformer in einer Koalition und beschließen heldenhaft, das Direktmandat zu entwerten. Und das auch noch so drastisch, dass allein dadurch von den vier in der Opposition vertretenen Parteien möglicherweise zwei aus dem BT fliegen.

    Es ist der klassische Kompromiss "Vorschlag zur Güte: Wir machen es so, wie es MIR am besten passt...". Überall sonst ihr gutes Recht als gewählte Regierung und BT-Mehrheit, aber beim Wahlrecht sollte ein Stückchen mehr Neutralität zu erkennen sein.

    (Wenn sie es wenigstens hingekriegt hätten, dass eine von den Leidtragenden die AfD ist...)

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    >>Erst am Montag hatten die Regierungsfraktionen überraschend diese Änderung in ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf präsentiert. ff ...

  • Einfach einen festen Etat für den Bundestag ! Werden mehr Abgeordnete hineingewählt sinkt halt der Verdienst für jeden einzelnen. Dann können sie von mir aus auch 1000 Leute ins Parlament wählen.

    • @Günter Witte:

      Das finde ich auch mal eine schöne Idee :)

  • Obwohl eine Wahlrechtsreform natürlich überfällig ist, bezweifle ich dass diese Idee wirklich so gut ist. Wenn die verschiedenen Verfassungsbeschwerden scheitern sollten, wird sich vermutlich die CSU bundesweit aufstellen.



    Und das könnte Ergebnisse erbringen, die keiner der aktuellen Regierungsparteien gefallen werden.

    • @Brobdignag:

      Das könnte für das politische System möglicherweise sehr gut sein.

      CSU und CDU gehen seit Jahren schon inhaltlich auseinander. Die CSU bundesweit und die CDU in Bayern zu haben würde bedeuten, dass es neue Koalitionsmöglichkeiten gibt.

  • Ich bleibe ein Fan der Direktmandate und nur des Direktmandate mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen - bei Bedarf mit Stichwahl. 299 Abgeordnete sind für die Themen,die in Deutschland zu regeln sind (weil nicht auf EU Ebene geregelt) bei weitem genug.

    • @Rechenfix:

      Hmmm, jetzt nehmen wir mal an, die FDP und die Grünen spielen da mit - erstere wäre dauerhaft raus und letztere ein Schatten ihrer selbst. Die Grünen würden dann allenfalls noch den Job des ständigen, umworbenen Juniorpartners übernehmen können, den die FDP bis zu ihrem Einzug in den BT sicher hatte.

  • Ich unterstütze den aktuellen Vorschlag so wie er gerade ist. Um jedoch den Anschein entgegenzuwirken, dass man damit den Linken und der CSU einen auswischen will, würde ich die 5%-Hürde auf 4,5% absenken oder wenns sein muss auch auf 4%. Damit fängt man sich natürlich Regierungen mit drei oder vier Parteien ein. Alles nicht schön.

  • Am Ende ist es auch eine Abwägung von konkurrierenden Prioritäten:

    Arbeitsfähiges Parlament (genug aber nicht zu viele Parlamentarier)



    vs. Verhältniswahlrecht (jeder Bürger eine gleiche Stimme)



    vs. regionale Personalisierung (jede Region eine gleiche Stimme)

    , daher muss es irgendwo auch Abstriche geben.

    Der Vorschlag der Ampel würde das Parlament arbeitsfähig halten und jedem Bürger eine gleiche Stimme geben in Bezug zur Wahl zum Bundestag. Die regionale Personalisierung wäre zwar abgeschwächt aber immernoch vorhanden, denn regionale Vertreter der Wahlkreise werden immernoch bevorzugt und würden wenn sie erfolgreich sind, durch gleiche lokale Wahlen bestimmt. Wer lokal besonders überzeugend ist, wird also weiterhin davon profitieren. Der Vorschlag verbindet also auch regionale und bundesweite Perspektiven.

    Für mich gibt es bei der Reform aber noch viele offene Fragen: Was passiert denn dann mit den parteilosen Kandidaten? Werden wir in Zukunft mehr parteilose Kandidaten sehen oder weniger?



    Ist es fair, dass Wahlkreise in denen viele Kandidaten antreten und daher die individuellen Stimmanteil geringer erscheinen, weniger häufig im Bundestag landen werden? Eine Überprüfung durch das BVG wäre auf jeden Fall nützlich.

    • @SK24 :

      Einfache Antwort zu 1: Es wird KEINE parteilosen Abgeordneten geben, außer jemand tritt NACH der Wahl aus seiner (5%+-)Partei aus. Denn so, wie die Ampel sich das vorstellt, ist die 5%-Hürde eine absolute Barriere, und 5% der Gesamtstimmen kann man jedenfalls nicht in einem einzelnen Wahlkreis, sondern im Zweifel nur als ausgewachsene Partei holen.

      Zu 2: Das ist Ansichtssache. Man könnte umgekehrt sagen, dass die "Berechtigung" eine Direktkandidaten nicht nur in seiner Wahlkreisherkunft liegt, sondern, dass er die Menschen dort auch wirlich repräsentiert (weil sie ihn genau dafür persönlich ausgewählt haben). Da ist es eigentlich unfair, wenn ein Kandidat, den satte 60% seines Wahlkreises entsenden wollen, nur dieselbe eine Stimme bekommt wie einer, bei dem es nur 30% waren.

      • @Normalo:

        1. Nein, habs nachgeschaut, laut Ampel Vorschlag sollen parteilose Kandidaten absurderweise direkt in Parlament einziehen können. Ob es dann massenweise ehemalige CSUler gibt die auf einmal unabhängig sind?



        2. Sie sprechen ein Problem an das es sowohl im jetzigen als im Ampel Wahlrecht gibt. Im Ampelvorschlag kommt aber zusätzlich hinzu, dass regionale Vertretungen nicht nur falsch gewählt werden können (also mit unter 50% Zustimmung) sondern schlicht garnicht. In diesem Sinne ist es eine Verschlechterung an dieser Stelle.

        • @SK24 :

          Das wäre wirklich absurder, als ich der Regierung zugetraut hätte. Yep, gehört nach Karlsruhe und da schnellstmöglich kassiert.

  • Ich persönlich wähle hier im schönen Bayern seit Jahren taktisch Schwarz-Grün.

    Wenn diese Wahlrechtsreform kommt, dann wähle ich künftig nur noch ersteres!

    • @insLot:

      Man muss vielleicht einmal in Erinnerung rufen, dass diese Grundmandatsklausel bisher nur 4 Mal zum Tragen kam: Zweimal bei der DP in den Fünfziger - wer erinnert sich? - und zweimal bei Linke / PDS.

      • @Achim Kniefel:

        Das Problem ist aber, dass die Automatik wegfällt, mit der bisher Wahlkreissieger ins Parlament kommen, weswegen die CSU die Grundmandatsklausel bisher nicht für den einzug in den Budestag brauchte, sondern nur dafür, auh an der verteilung der Zweitstimmen teilzuhaben.

        Wenn sie nach dem neuen Wahlrecht als Einzelpartei anträte (also nicht von der CDU mitgezogen würde) und unter 5 Prozent fiele (damit könnte sie immer noch stärkste Partei sein, siehe das 2021-Ergebnis von auch nur 5,2 Prozent) , dann würde sie keine/n einzige/n Abgeordnete/n stellen. Bayern wäre nur im Bundestag nur mit Abgeordneten von SPD, Grünen, FDP und AfD vertreten, auch wenn (s.o.) diese Parteien alle schwächer als sie wären. Das wäre schon sehr fragwürdig und würde das Prinzip der Direktwahl vor dem Wahlvolk geradzu lächerlich machen.

        Es wird sicher nicht so kommen; die CSU würde sich sicher irgendeine Verbindung mit der CDU einfallen lassen, um es zu verhindern

      • @Achim Kniefel:

        Nuja, die Linke macht gerade nicht den Eindruck, dauerhaft nochmal ohne Grundmandate in den BT zu kommen.

        Und dazu kommt dann eben noch die zweite große Änderung der Mechanik, dass das Direktmandat nicht mehr garantiert ist. Die setzt dann auch noch die CSU auf die Liste der im Reichtstagsgebäude gefährdeten Spezies, wo sie völlig neu ist. Denn in der Vergangenheit hat sie immer mehr Direktmandate geholt als man für 5% der nominellen Sitze des Bundestags braucht.

    • @insLot:

      Sie wollen CSU und wählen sie. Was ist daran bitteschön "Taktik"?

  • Da sowohl CSU als auch CDU icht bundesweir antreten, waeren sie daadurch im Nachteil gegenueber SPD und Gruenen und die 5% Huerde genauso anzuwenden wie auf eine bundesweit antretende Partei waere nicht dasselbe. Da sie als Union auftreten ist das durchaus sinnvoll.



    So schadet sich die Regierung, indem sie sich dem Verdacht aussetzen in die eigene Tasche zu regieren.



    Ungeschickt.



    Abgesehen davon, dass sie die Aenderung zusammen mit der AfD gegen die Opposition der Union durchsetzen wuerden!



    Das Theater in anderem Zusammenhang kennen wir ja.

  • Was mich an der Wahlrechtsreform so deutlich abstößt ist, ungeachtet der Schäden für Union oder Linkspartei, dass die Parität zwischen Erst- und Zweitstimmen aufgehoben wird.

    Bislang ist es so, dass den 299 direkt gewählten Abgeordneten 299 von der Liste gegenüber stehen. Sofern eine Partei mehr Sitze aus den Direktstimmen zustehen als nach den Listenstimmen verfügbar sind, wird bislang mittels Überhangmandat ermöglicht, dass der direkt gewählte Volksvertreter ins Parlament einzieht. Die Ausgleichsmandate sichern die Parität. Klar kann das System aufblähen und teuer werden. Aber wer hat sich eigentlich darüber beklagt? (Anderes Thema: Dennoch der Wähler weiß das und wählt trotzdem wie er wählt -> Legitimation erteilt?!)

    Die bereits zu einem anderen Artikel angesprochene Variante, die Sitze des Parlaments gleichmäßig auf Direkt- und Listenmandate zu verteilen würde die Gleichheit zwischen Erst- und Zweitstimme erhalten und die Größe des Parlaments wirksam beschränken. Um Anteils-Verwerfungen zu vermeiden, könnte die 5-%-Hürde auf die Direktmandate entfallen und um ein Chaos zu vermeiden schließt man diejenigen, auf die in den Genuss dieser Regelung kämen, in eine "Kleinfraktion" zusammen.

    Mit diesem System erhielte man auch Einblicke in wirkliche politische Alternativen, was einer sich entwickelnden Demokratie zuträglich sein könnte.

    Aber um nochmal deutlich zu machen, warum ich das System so schlecht finde und der Kritik daran Recht geben muss, dass es eine Wahlrechtsreform für SPD, Grüne und FDP ist:

    Altsystem: 50 % Direkt / 50 % Liste



    Neusystem: 47 % Direkt / 53 % Liste (Wenn alle Direktmandate ins Parlament einziehen!!!)

    • @-Zottel-:

      Die TS schreibt:



      "Die CSU-Kandidaten zum Beispiel in München, Nürnberg und Augsburg könnten reihenweise durchfallen".



      (www.tagesschau.de/...form-csu-101.html)

      Sollen derart wichtige Kommunen (Wahlkreise) ohne direkte Vertretung im Bundestag bleiben?!

      Um mein "WICHTIG" zu definieren: Jeder ist wichtig! Aber diese Orte sind zudem wegen der wirtschaftlichen Größe und ihrem Einfluss bedeutsam.

      • @-Zottel-:

        Der Wähler will ein kleineres Parlament, denn die Kosten explodieren. Wenn die Union selbst eine solche Reform angeschoben hätte anstatt bayrische Partikularinteressen zu schützen müsste sie jetzt nicht heulen. Die angesprochenen Kommunen sind zu wichtig um kein Direktmandat zu erhalten? Dann sollen die entsprechenden Politiker sich einen passenden Platz auf der Landesliste besorgen.

        • @Bluewater:

          Nicht falsch verstehen, ich finde, dass jede Kommune/jeder Wahlkreis im Parlament vertreten sein MUSS. Und dafür gibt es Wege.

          Nur wird offensichtlich nicht versucht einen anderen Weg zu finden als der, der den derzeit regierenden Parteien zuträglich ist.

          Vielleicht überspanne ich den Bogen mit einem Bananen-Republik-Vergleich etwas, aber bei anderen Staaten finden Medien und Politiker deutliche Worte hinsichtlich Kritik oder Mahnung.

          ---

          Zu Ihrer Äußerung: "Der Wähler will ein kleineres Parlament"



          Wann hat der Wähler das denn (und wie) gesagt? Ich bin auch Wähler und fand das große Haus nicht problematisch.

  • Zitat: Mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen und der AfD ...

    Unfassbar!

    Na zum Glück hat hier nicht die CDU-CSU mit der AfD paktiert.

    • @insLot:

      Die große Koalition ist nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen um das Gesetz durchzubekommen. Darum auch kein Aufregerthema und vor allem kein Paktieren.

      • @Vietwoojagig Htoru:

        Und doch hat sie mit ihnen gestimmt und da sollten einem schon die Fragezeichen kommen.

        Wenn eine Reform eine ganze Fraktion mit, ich meine 38 Plätzen, eliminiert, sollten einem erheblichen Bedenken kommen.

  • Ich verstehe nicht, dass soviel über die Grundmandatsklausel und so wenig über die 5-Prozent-Hürde diskutiert wird. Nur diese ist nämlich undemokratisch und gehört abgeschafft. Auch dass diese von Mathematikern nicht kritisiert wird, wundert mich. Was passiert denn, wenn keine Partei (noch schlimmer: nur eine!) über 5 % kommt?

    • @Bruno Dembowski:

      Das ist ein guter Punkt — aber pro 5%-Hürde: es gibt Parteien einen Anreiz, zusammen zu bleiben und sich nicht endlos zu zersplittern.

    • @Bruno Dembowski:

      Wenn's die richtige ist, dann passt es doch....

  • Dass die Unionsparteien jetzt lautstark jammern, ist kaum verwunderlich. Durch ihre merkwürdige Absprache für Bayern hatten sie Jahrzehnte lang eine Gewichtung, die unangemessen war. Eine Partei, die um die 5% / 6% im Bundesniveau erreicht, hat z.Zt. einen Einfluss, der sehr, sehr weit darüber hinausgeht und der Republik schadet. Was allein die CSU Verkehrsminister -allen voran Scheuer- an Geld verpulvert haben um in ihren Wahlkreisen (und nur dort) zu punkten, das darf man getrost als Unterschlagung bezeichnen. Es ist allerhöchste Zeit, dass derartige Praktiken beendet werden, der Fairness wegen.

  • Sowohl die CSU, als auch die Linke könnten von der Streichung der Grundmandatsklausel stark tangiert werden. Hieran sieht man, dass vor allem die Gegner der Ampel bei der Wahlrechtsreform stark zurechtgestutzt werden sollen.



    Möglich ist aber auch, dass die FDP selbst an der 5 % Hürde scheitert ("Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein").

    • @Michael Heinen-Anders:

      Die Union hatte genug Zeit selbst eine Reform einzuleiten. Aber die Spezies aus Bayern brauchten ja ihre Extrawurst. Soll die CSU doch bundesweit antreten, dann kann man auch den Vorwurf entschärfen als regionale Splitterpartei im Übermaß Einfluss auf die Bundespolitik zu nehmen.

  • Ein " breiter Konsens" ist in solchen Fragen natürlich wünschenswert.



    Das wurde allerdings seit Jahren erfolglos versucht.



    Die Anstrengungen der SPD verwandelte due CDU/CSU in der GroKo in ein Reförmchen.



    Mit der neuen Gesetzgebung wurde der Stein endlich ins Rollen gebracht. Wenn nun die Gerichte dieses Gesetz hinterfragen und evtl. Änderungen anmahnen, ist doch alles gut. Dann macht jedes Organ des Staates, was es soll.



    Das Ziel ist, den Bundestag nicht künstlich aufzublasen.

  • „Er passt zu der Logik der Reform, die den Übergang zum Verhältniswahlrecht gemäß den Zweitstimmenanteilen vollzieht“

    Ich finde das Verhältniswahlrecht zwar auch Spitze, aber es dominiert dann die Liste und die jeweiligen Gate Keeper der Parteien. Deswegen braucht es auch die Erststimme.



    Wie war das doch? Ströbele wählen, Fischer quälen.



    Ich will keinen Übergang zum reinen Verhältniswahlrecht. So ist es doch das Beste aus beiden Welten. Kostet ne Menge, na und? Repräsentanz ist derart wichtig für die Demokratie, das es kosten darf. Whatever it takes.



    Die Ampel hat se nicht mehr alle.

  • Mit dieser Reform zeigen sich die Ampelparteien als nicht weniger skrupellos als die gerrymandernden US-Parteien, wenn es um Machtsicherung und Ausbau geht. So pragmatrisch die 5% Klausel stabilitätspolitisch sein mag, ist sie doch letztlich demokratiefeindlich und ohne das Schlupfloch des Direktmandates eine Schwächung der Volks- auf Kosten der Parteinsouveränität. Ich würde hoffen, dass sie vor dem BVG krachend scheitert, sonst wird es auch schwieriger mit dem Finger auf illiberale Demokratien zu zeigen, denn genau so ein Orbanscher Winkelzug ist das bei Licht besehen. Politischer Anstand und Vertrauen in den Souverän sieht anders aus.

    • @hessebub:

      Die Kausel ist eine direkte Folge der Zersplitterung des Parlaments in der Weimarer Republik. Diese Zersplitterung hat zur Machtergreifung beigetragen. Stellen Sie sich vor jede Partei vom Bundeswahlzettel kommt ins den Bundestag. Über 30 Parteien. Stabilität hat seinen eigenen Wert.

      • @Bluewater:

        Wieso jede?



        Es muss ja immer noch gerundet werden. Wer also einen Sitz schafft, soll ihn haben.

  • Das Meckern der CSU kann ich net ernst nehmen, da diese ja selbst die Regel mal ändern wollte und letztes oder vorletztes Jahr sagte, dass die Linke dann mit nur 3 Direktmandaten nicht reingekommen wäre, aber es wäre definitiv ein Verlust für unsere Demokratie, wenn die einzige klar Linke Kraft der Opposition verschwinden könnte. Und auch wenn ich die CSU net leiden kann (obwohl ich aus Bayern komme... naja ok, Franken um genau zu sein), so wäre es demokratisch betrachtet fragwürdig einer Partei mit so vielen Direktmandaten keinen Platz zu geben. Es gäbe doch so viele schönere Möglichkeiten die Anzahl der Abgeordneten zu verringern

  • Die Wichtigtuer-Partei CSU fliegt raus? WUNDERBAR!

  • Was wäre, wenn die Wahlkreiskandidaten ganz ohne ihre Partei antreten?



    Dann hätten wir wohl ein Grabenwahlrecht. Oder soll es trotzdem bei 598 Mandaten bleiben, die über die Liste gewählt werden?