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Putins AtomdrohungenAngst auf allen Seiten

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Die einen werden als „Putinknechte“ beschimpft, die anderen als „Kriegstreiber“. Aber die Furcht vor einem dritten Weltkrieg treibt beide Seiten um.

Der Alptraum vom Ende der Welt, wie wir sie kennen Foto: Panthermedia/imago

W er in den 80er Jahren politisiert wurde, kennt sie noch zur Genüge: die Angst vor dem Dritten und mutmaßlich atomaren Weltkrieg. Jetzt ist sie wieder da, und sie wird täglich lauter geschürt. Vor allem, aber nicht nur von Putin und seinen immer neuen Nukleardoktrinen.

Obwohl allen sonnenklar ist, dass Putin aus taktischem Kalkül mit voller Absicht auf diese tief sitzenden Ängste setzt, um den Westen einzuschüchtern, fällt es den meisten Menschen schwer, damit rational umzugehen. Wie auch? Da es sich bei Angst um ein Gefühl handelt, lässt sie sich nur sehr begrenzt vom Kopf steuern. Und da niemand wissen kann, was noch passieren wird, lassen sich Ängste nicht einfach ausräumen. Die einen sind weniger anfällig für Sorgen, die anderen mehr.

Ob sie berechtigt sind, lässt sich nicht mit Fakten widerlegen, da über die Zukunft leider keine Fakten vorliegen. Was aber folgt daraus? Zunächst einmal vielleicht die Einsicht, dass in den Debatten über die möglichen Risiken im Kampf gegen Russland keine Seite eindeutig recht hat. Die Befürworter und Gegner von verstärkten Waffenlieferungen an die Ukraine können höchstens Wahrscheinlichkeitsrechnungen versuchen.

Schwierige Abwägungsfragen

Die einen befürchten, dass Putin mit einem Atomschlag reagieren werde, wenn ihn der Westen zu sehr in Bedrängnis bringt. Die anderen halten das für übertrieben ängstlich und beschuldigen die Besorgten, vor Putins Drohgebärden einzuknicken und die Ukraine damit im Stich zu lassen. Aus ihrer Sicht sind sogar Landminen legitim, um Putins Aggression abzuwehren. Wenn sie ehrlich wären, müssten allerdings auch die härtesten Verteidiger der Ukraine zugeben, dass auch sie nicht ganz ohne Angst vor einer Eskalation agieren. Sonst hätte die Nato längst direkt eingegriffen oder Kyjiw erlaubt, Moskau zu bombardieren. Wann genau das Risiko zu groß wird, weiß und sagt deshalb niemand.

Auch die Aufrüstungsbefürworter appellieren selbst an Ängste – vor Angriffen Putins auf Nato-Länder, wenn er nicht in der Ukraine aufgehalten wird. Die Aufrüstungsgegner wiederum halten diese Angst für übertrieben, haben aber keine Antwort auf die Frage, wie Putin ohne militärische Mittel abgeschreckt und wie die Ukraine sonst vor der totalen Besetzung geschützt werden kann.

All das sind schwierige Abwägungsfragen. Nur eins ist sicher: Um gegen Putin bestehen zu können, müssen die Demokratien demokratisch bleiben, unterschiedliche Einschätzungen zulassen und respektieren. Kampfbegriffe wie „Kriegstreiber“ und „Putinknechte“ tragen nur zur Spaltung bei, die sich der Aggressor Putin wünscht.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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42 Kommentare

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  • Es gibt zwei Methoden, mit Angst umzugehen.



    Die Eine bedeutet, sich der Panik zu ergeben, wegzulaufen oder den Kopf in den Sand zu stecken, auch bekannt als "Vogel Strauß Taktik". Letztendlich folgen wir damit unseren tierischen Instinkten, die uns vor unmittelbaren Gefahrensituationen schützen. Bei einer abstrakten Bedrohung (eine Pandemie, ein möglicher Krieg), versagt diese Methode.



    Die andere Methode begreift Angst als Warnung vor einer Gefahr. Man analysiert die Situation, wägt Risiken und Nebenwirkung ab und entwickelt Strategien, mit der Gefahr umzugehen.



    Ich denke, dass genau diese beiden Strategien der Angstbewältigung hier im Artikel angedeutet werden. Leider nur angedeutet. Da wünsche ich mir ein wenig mehr Tiefe.

    • @Jörg Schubert:

      Vielleicht sollte ich das noch mal an einem konkreten Beispiel zeigen. Wir konnten in der Corona-Pandemie so einiges beobachten:



      Methode I, die "Vogel Strauß Taktik", führte bei manchen in meinem Bekanntenkreis dazu, dass sie die eigentliche Gefahr, das Virus, völlig ausgeblendet haben. Sie waren dann plötzlich in einer völlig unverständlichen Welt gefangen, in der die Regierung sie grundlos zu Hause einsperrt. Das war fatal. Die Wahrnehmung der eigentlichen Gefahr existierte nicht. Dadurch wurde jeglichen Wahrnehmung von Schutzmaßnahmen zu Bedrohung. Das ist ein sehr schlechter Tausch. Ich denke, dass die, die auf offener Straße anderen "Maske runter" zu gebrüllt haben, halb wahnsinnig vor Angst waren.

  • Guter Artikel, leider etwas kurz.



    Es ist einfach verzwackt und jede*r, der behauptet, eine einfache Lösung (Aufrüstung, Verhandlung) zu haben, unterliegt seiner eigenen Illusion.



    Der zentrale Punkt



    muss der klare Appell an Menschlichkeit sein!

    Die Versäumnisse Russlands sind diesbezüglich offensichtlich, gucken wir uns also mal "unseren" Standpunkt bzgl. Menschlichkeit an:



    Das nüchterne Fazit: Menschlichkeit spielt in unserer öffentlichen Debatte kaum eine Rolle, geschweige denn in der Politik.



    USA lässt jetzt Landminen verlegen? Ja, Sapperlot, was das für die Menschen auf Generationen bedeutet, wissen wir doch zur Genüge!



    Wir schwadronieren von Kriegszielen, Siegen und taktischem Vorgehen, ohne Rücksicht auf die katastrophalen Auswirkungen auf die Menschen in der Ukraine, unabhängig von deren Gesinnung.



    Gleichzeitig werfen wir den Russen Ihre Unmenschlichkeit vor!



    Das ist Doppelmoral. Und unglaubwürdig.

    Wie gesagt: es gibt keine einfachen Lösungen. Aber es gibt z.B. Menschenrechte. Fangen wir doch mal damit an.

  • Was soll denn unangemessen daran sein, Angst vor einem Atomkriegsszenario zu haben.



    Allein diese Angst hat der Menschheit geholfen, einen Weg durch den kalten Krieg zu finden und brenzlige Situationen (Kuba-Krise) wieder zu entschärfen.



    Viel erklärungsbedürftiger ist mE der Mut vieler Sofakrieger, die sich offenbar nicht vergegenwärtigen, was ein Krieg in Europa und in Deutschland für sie bedeuten würde.



    In einem Land, das keine ausreichende Raketenabwehr hat, keine Bunker, keine ausreichende Landesverteidigung. Das nicht einmal einfache Spionagedrohnen über Brunsbüttel abwehren kann, weil die Zuständigkeiten ungeklärt sind.

  • Wir haben in den achtziger Jahren hier sehr viel Glück gehabt!



    Mehrfach war es ziemlich knapp, insbesondere im Herbst 1983.



    Es kann auch schiefgehen!



    Ein Szenario ist nicht unrealistisch, wie Fachleute schreiben:



    www.spiegel.de/wis...-9639-7c036032b6f2



    Wer baut Waffen, um sie mit Sicherheit !nicht einzusetzen?

  • Apropos feministische Außenpolitik. Hier ein feministischer, postkolonialer Ansatz, der Rationalität beim Einsatz von Atomwaffen in Frage stellt: der Kalte Krieg sei in Wahrheit gar keiner gewesen, die Kriege der sich gegenüberstehenden Parteien fanden nur am Rande der sich gegenüber stehenden Imperien (z. B. Asien) statt. Heute aber rücke der Kalte Krieg mitten ins Zentrum von Europa.

    Zitat

    Alle, die Kernwaffen besitzen, müssen ein einvernehmliches, gemeinsames Verständnis davon haben, was als logisch und was als rational gilt. Daher müssen militärische Oberbefehlshaber:innen oder Regierungschef:innen sich entweder auf die Logik des Neorealismus einigen, oder sie werden aufgrund der unterstellten Unfähigkeit, mit diesen Waffen umzugehen, nicht mehr als berechtigt angesehen, sie zu besitzen. Sobald ein Akteur wie der Iran „irrational“ erscheint, ist das gesamte Sicherheitssystem in Gefahr.

    Zitat Ende

    Russland ein rationaler Akteur? Wohl kaum!

    www.ethikundmilita...cherheitsstrategie

  • Wenn sie ehrlich wären, müssten allerdings auch die härtesten Verteidiger der Ukraine zugeben, dass auch sie nicht ganz ohne Angst vor einer Eskalation agieren. Sonst hätte die Nato längst direkt eingegriffen oder Kyjiw erlaubt, Moskau zu bombardieren.

    Das dürfte nicht an der atomaren Drohung liegen, sondern ganz grundsätzlich in einen Krieg hineingezogen zu werden.

    • @Strolch:

      So ist es. Hätte Russland keine Atombomben würde es heute wie der Irak aussehen.

      Was die NATO-Staaten aber tun ist folgendes: sie eskalieren so langsam, dafür aber stetig immer weiter, so dass Russland immer noch Zeit hat, die Schocks zu verarbeiten ohne in einer Panikreaktion atomar zu reagieren.

      Dabei gehen insbesondere die USA und GB wirklich so weit wie es nur geht, siehe die zwei letzten Aktionen von Biden (ATACMS und Personenminen).

      Dieses Vorgehen der NATO ist natürlich ein Vabanque-Spiel, weshalb die NATO zumindest versucht, die Entscheidungen der Ukraine selbst unter Kontrolle zu halten.

      Sowohl Russland als auch die USA könnten aber den Krieg relativ schnell beenden, wenn sie wollten. Aber zumindest eine der beiden Seiten will nicht.

  • Angst ist normal, aber man sollte dieser nicht nachgeben. Denn wenn wir es tun, kann Putin faktisch alles.

    Was hindert ihn daran wieder das Baltikum oder halb Polen zu besetzen? Oder die neuen Bundesländer? Einfach das Zauberwort "Atomwaffen" sagen, und schon kann er es haben. Wir fürchten uns ja. Und warum nicht auch Italien und Frankreich?

    Man kann dies beliebig fortführen. Und spätestens sobald es um die eigenen Häuser geht die enteignet/zerbombt werden, werden auch die meisten Putinversteher die jetzt noch mit der roten Sarah die Friedenstaube schwenken ins Kriegshorn blasen

  • Danke für den Artikel. Ich denke, das gilt für viele "große Themen": man kann es nicht genau wissen, weil, wie der Artikel richtig sagt, über die Zukunft nur wenige Fakten bekannt sind. Insofern kann man sich nur zu einigen Grundsätzen bekennen und sollte ansonsten für andere Meinungen erstmal offen sein. Dass eine Gesellschaft dann irgendwann nicht nur verschiedene Meinungen abwägen, sondern auch Entscheidungen treffen muss, ist klar. Aber dabei sollte man nicht soweit gehen, alle anderen Meinungen, die sich nicht durchgesetzt haben, als dumm oder schädlich zu verdammen. Was am Ende - im Nachhinein - besser zu den Fakten passen wird, die man kennen wird, wenn die Zukunft mal zur Vergangenheit geworden ist, weiß eben heute noch niemand.

  • Zitat: -----"Um gegen Putin bestehen zu können, müssen die Demokratien demokratisch bleiben, unterschiedliche Einschätzungen zulassen und respektieren."-----

    Auch das sehe ich ganz genauso, der Forderung schließe ich mich an! Nicht nur um gegen Putin zu bestehen, sondern weil ich das auch ganz unabhängig davon für ein lohnendes Ziel halte.

  • Es ist schon etwas belustigend, wie sich alle Sorgen um einen vermeintlichen Atomkrieg machen, und gleichzeitig die Klimakatastrophe, welche ebenso unweigerlich zum Ende der Zivilisation führen wird, nicht ernst nehmen. Aber Irrationalität ist wohl das Maß der Dinge heutzutage.

  • Danke für den sehr guten Artikel!

    Trotzdem möchte ich anmerken, dass tendenziell die "Putinknechte" deutlich mehr Verständis und Nachsicht für die "Kriegstreiber" zu haben scheinen als andersrum. Dafür reicht ein Blick in die Kommentare in der Kommune.

    Letztendlich lassen sich gute Argumente für die Thesen der "Kriegstreiber" finden, jedoch auch für die Thesen der "Putinknechte". Niemand kann die Zukunft genau vorhersagen.

    Wenn die "Putinknechte" Unrecht haben wird es die Ukraine als souveränen Staat nicht mehr geben können. Wenn die "Kriegstreiber" Unrecht haben wird es die Menschheit nicht mehr geben.

    Selbst wenn das Risiko einer nuklearen Eskalation nur bei 20% liegen würde, sollte man genau darüber nachdenken, ob man das eingehen möchte. Daher kommt ja auch die zögerliche Politik vom "Falken" Biden.

  • Moskau & Kyjiw zurück auf Los, möchte man vorschlagen.



    Nichts Rechtfertigt einen Angriffskrieg, nur um den Konflikt zu beenden, sollten beide Staaten sich



    noch einmal vergegenwärtigen, welche politischen Entwicklungen - auf beiden Seiten - seit den 90er Jahren, in dem jetzigen Russland und der Ukraine stattgefunden haben.



    Hier sollten beide Seiten ansetzen und sich wieder aufeinander zubewegen, was für beide Staaten ein Gewinn wäre.

  • Die einzig vernünftige Option ist es m.E., diesen Krieg schnell stillzulegen, unabhängig von weiteren strategischen Kalkülen und Fragen nach dem rechtlichen Charakter der Demarkationslinie. Unkontrollierbare Eskalation kann es nur geben, solange geschossen wird. Wenn nicht mehr geschossen wird, kommen andere Fragen zur Geltung als die größere Wumme (und wer sie liefert). Ich muss gestehen, dass ich das mutmaßliche Trumpsche Kalkül für nicht so falsch halte. Den Krieg beenden und den Friedensprozess dann über den Ölpreis steuern.

  • Ich war Anfang der 80er bei der Bundeswehr und bin mit dieser Bedrohung quasi groß geworden.



    In unserem Lazarett drehte sich alles um eine mögliche "rote Bedrohung" und es wurden diverse Szenarien durchgespielt.

    Ich glaube daran, daß Putin hier nur gegen den Westen Drohgebärden ausspuckt - gegen die Ukraine aber durchaus Ernst machen könnte!

    Was mich stört ist die Rhetorik:



    Putin und seine Vasallen reden immer von "Verteidigung", "ukrainischer Berdohung" und jetzt aktuell von "westlichen Kriegstendenzen".



    Irgendwie vergisst er dabei, daß er derjenige ist, der den ganzen Schlamassel angezettelt hat.

    Und ich wünschte mir etwas mehr Härte im Umgang mit Putin (nicht Russland, denn das russische Volk wird hier nur benutzt).



    Es ist schon sehr bedrohlich, daß in Kaliningrad russische Marine stationiert ist - warum wird hier mal nicht eine härtere Gangart eingelegt?

    Auf jeden Fall sind die 80er wieder voll im Gange und ich bin froh, daß ich mit diesem Szenario gelernt habe, umzugehen.

    • @Juhmandra:

      Irgendwie vergisst er dabei, daß er derjenige ist, der den ganzen Schlamassel angezettelt hat.



      Und ich wünschte mir etwas mehr Härte im Umgang mit Putin (nicht Russland, denn das russische Volk wird hier nur benutzt).

      Das sieht Putin anders. Er ist sicher überzeugt im Recht zu sein und das 1990 alles zum Nachteil Russlands lief. Wenn Sie immer weiter in die Vergangenheit gehen, können Sie immer eine Rechtfertigung für alles finden. Das macht Putin und wahrscheinlich glaubt er es mittlerweile selbst. Ob das russische Volk so unschuldig ist, ist für mich zweifelhaft. Viele dürften den Krieg gut heißen, schließlich zeigt man es mal dem Westen.

    • @Juhmandra:

      Russland ist seit über 500 Jahren auf Eroberungsfeldzug, mit den exakt immer gleichen brutalen ,blutrünstigen Taktiken (vorallem auch immer gegen die Zivilbevölkerung der angegriffenen Länder/Völker) und mit dem exakt immer gleichen Strategie- Drehbuch.

  • Im Nachhinein haben mir Abschreckung und Aufrüstung einen sehr entspannten Übergang zum Erwachsenwerden geschenkt. 80er und 90er waren doch sehr fröhliche Jahrzehnte, Auch die Nuller waren meist eine Freude. Wirtschaftskrise nur medial bekannt.

  • Wenn ich weiss, dass Russland mehrere Abkommen unterschrieben hat, die der Ukraine Sicherheit zusichern - Budapester Memorandum, Minsker Abkommen - und sie ALLE gebrochen hat und ich davon ausgehe, dass die nächsten Abkommen genauso gebrochen werden, ist das nicht ANGST, sondern Realismus.

  • Ziitat: "Auch die Aufrüstungsbefürworter appellieren selbst an Ängste – vor Angriffen Putins auf Nato-Länder, wenn er nicht in der Ukraine aufgehalten wird. Die Aufrüstungsgegner wiederum halten diese Angst für übertrieben, haben aber keine Antwort auf die Frage, wie Putin ohne militärische Mittel abgeschreckt und wie die Ukraine sonst vor der totalen Besetzung geschützt werden kann."

    Angst, würde ich das nicht nennen, sondern eher ein realistisches Szenario. Freilich eines von mehreren. Putin mußte im Interesse seines Machterhalts das Vaterland immer irgendwo und gegen irgendwen verteidigen. Das konnte man über die Jahre immer wieder beobachten.

    Es ist aber auch extrem kurzsichtig, sich zurückzulehnen, weil Putin wahrscheinlich eher nicht gleich als Nächstes Berlin beschießen und auf Rügen anlanden lassen werde. Deutschland hat Bündnisverpflichtungen und stünde, fast egal, wo es als nächstes krachen würde, ob seiner geografischen, demografischen und wirtschaftlichen Größe in Europa in der ersten Reihe.

    Man sollte also fragen dürfen, welcher Plan dahinter steckt, Einladungen an Putin richten und sämtliche Strategien für den Fall, daß er die annehmen wird, vereiteln zu wollen.

    • @dtx:

      „Putin mußte im Interesse seines Machterhalts das Vaterland immer irgendwo und gegen irgendwen verteidigen."



      Sehr dünnes Eis.



      Kaum ein Staat auf der Welt,außer vielleicht die USA, hat in den vergangenen 100 Jahren mehr Kriege geführt als Russland. Nach dem siegreichen Ende des Zweiten Weltkrieges ging es für die russische Armee nahtlos weiter – mit dem Koreakrieg, der Niederschlagung der Aufstände in Prag und Budapest, den Kriegen in Angola und Afghanistan, den beiden Tschetschenien-Feldzügen, dem Georgien-Krieg, den Einsätzen im ehemaligen Jugoslawien, im heutigen Syrien und schließlich dem Überfall auf die Ukraine.

      Litwinjenko



      Politowskaja



      Kusminow



      Nawalny



      Juschenkow



      Schtschekotschichin



      Jandarbijew



      Maschadow



      Israilow



      Jamadajew



      Estemirowa



      Magnitski



      Beresowski



      Nemzow



      Gebrew



      Kara-Mursa



      Okujewa



      Skripal



      Gluschkow



      Werzilow



      Changoschwili



      Maganow

  • Das Leben ist unter einem Atomschlag voraussichtlich nicht mehr möglich, oder nicht mehr lebenswert. So verhält es sich ebenfalls unter ständiger Bedrohung und Einengung. Sich von Anfang an entschieden wehren, wie die Ukraine, und so die Denkräume klarziehen - das ist mE der richtige, d.h.: noch optimale, Umgang mit der Situation. Aus meiner Sicht geht es denen, die den Unterstützern "Kriegstreiber" zurufen, nur um eine wirtschaftliche Besserstellung. Das Vorbild dafür ist Gerhard Schröder.

  • Sehr gut und ausgewogen geschrieben.



    Bravo!

  • Laut einem Vortrag von Hr. Oberst Reisner war die Sache im Herbst 2022 akut. Die Russen hatten viele Truppen abgeschnitten in Cherson. Damals schätzte die CIA die Chance hoch ein, dass er atomar geht. Die Inder müssen wohl den Deal - kein Atomschlag, aber Abzug der Truppen aus Cherson- eingefädelt haben.



    Ich denke, die Frage ist relativ einfach: Die Russen werden nicht atomar eskalieren, so lange sie noch eine aus ihrer Sicht bessere Lösung sehen. Wenn sie aber glauben, sie sind in die Ecke gedrängt und sehen keine andere Lösung mehr, DANN steigt die Wahrscheinlichkeit exponentiell an, dass sie atomar gehen.



    Wobei die Russen auch thermobarische Bomben abwerfen können mit der Sprengkraft von Hiroshima.

  • Wer damals politisiert wurde, sollte zwei Dinge kapiert haben: Abschreckung funktioniert und am Ende gewinnt der demokratische Staat mit seiner starken, rechtssicheren Zivilgesellschaft. Angst hingegen ist das Muster der Autokraten. Leider hat die Zeit nicht gereicht, das genügend Menschen klar zu machen. Sonst gäbe es weder „Putinknechte“, noch „Pantoffelkrieger“.

  • Wenn jemand für Zurückhaltung bei der Lieferung von Waffen an die Ukraine plädiert, weil der Angst um eine Ausweitung des Krieges hat, dann ist das zwar nicht meine Position, aber hier sehe ich immerhin noch eine Grundlage für eine Diskussion.

    Wenn jedoch jemand wie Sahra Wagenknecht seit Jahren, angefangen von den Giftmorden an russischen Oppositionellen über den Abschuss von MH-17, die russischen Angriffe in Syrien bis zum Überfall auf die Ukraine regelmäßig apologetische Narrative verbreitet, die der Putinschen Version sehr nahe kommen, und sie dabei regelmäßig die Schuld ausschließlich einer Seite zuweist, zudem aus ihrer grotesken Fehleinschätzung noch am Vorabend des Krieges ("Der russische Einmarsch wird von den USA herbei geredet. Vielleicht ist da der Wunsch der Vater des Gedanken. [...] Putin ist kein durchgeknallter, russischer Nationalist.") auch nicht nur die geringsten Konsequenzen zieht, sondern ungebrochen in gleicher Tonlage fortfährt, dann muss ich das nicht "respektieren" und da gibt es auch keine Gemeinsamkeiten. Da hat jemand schon eine klare Trennungslinie zwischen sich und den Anhängern einer liberalen, westlichen Demokratie gezogen.

  • Da ich ein alter Hase aus den 80ern bin, weiß ich, dass atomare Drohung keine Einbahnstraße ist. Was, wenn der Westen Putin sagt: hey, raus aus der Ukraine und lass Dich da nicht wieder blicken, sonst erlebst Du einen präventiven Vergeltungsschlag (ja, so hat man das damals genannt). Und mit dem unberechenbaren Trump am roten Knopf könnte das sogar funktionieren.



    Denkt mal drüber nach! Denn Putin ist ebensowenig an einem nuklearen Ende der Welt interessiert.



    Und das ist wenigstens eine Sprache, die unsere PolitikerInnen verstehen. Waffen, Gewalt, Drohung. Sonst kommt da ja nichts.

  • "Die anderen halten das für übertrieben ängstlich"



    Falsch: Die anderen erkennen, dass das Einknicken vor den Drohungen zwangsläufig die Unterwerfung vor Putin bedeuten würde, da er ja jederzeit wieder Drohen kann.



    Soll heißen, dass man entweder irgendwo eine Linie zieht und diese verteidigt, oder man gibt halt jeder Forderung nach und verliert so seine Freiheit.



    Vorschlag zur Güte: Die viel genannten Taurus werden beim nächsten Treffen zum Kreml geschickt und der nachrückenden Clique macht man klar, dass die nächsten Folgen wenn sie nicht kooperieren.



    Seit wann verhandelt man mit Terroristen?



    Oder wir fragen in Zukunft immer Putin, was wir noch dürfen.

  • Es besteht halt auch die Befürchtung das wenn Putin mit seinem Angriffskrieg durchkommt er es in ein paar Jahren anderer Stelle nochmals versucht und das dann NATO/EU involviert, mal abgesehen davon das andere Diktatoren ermutigt werden es genauso zu tun (Azerbaijan -> Armenien, China -> Taiwan) und das ein Nachgeben einfach nur zu noch mehr Krieg führt und letztlich sogar in den Weltkrieg.

  • „… unterschiedliche Einschätzungen zulassen und respektieren…“



    Ganz meine Meinung.



    Man sollte sich im Vaterland zweier Weltkriege in den Leitmedien nicht als Lumpenpazifist oder amoralischer Mensch bezeichnen lassen müssen.

  • "Um gegen Putin bestehen zu könnem, müssen die Demokratien demokratisch bleiben, unterschiedliche Einschätzungen zulassen und respektieren."



    Ziemlich genau.



    Ich kann spätestens seit den erbitterten Wortgefechten für und wider Leopardpanzern den Respekt nicht mehr genau erkennen.



    Wir bewegen uns in Richtung Autokratie.

    • @poesietotal:

      Leider sehe ich da folgende Tendenz: Menschen, die dazu neigen, den Kopf in den Sand zu stecken, wählen gerne Demokratiefeinde.

    • @poesietotal:

      Wir bewegen uns in Richtung Autokratie.

      Nur wenn Wagenknecht an die Macht kommt.

    • @poesietotal:

      Wieso? Ist Scholz seit der Lieferung nicht mehr an die Verfassung gebunden? Ist er Alleinherrscher?

  • Wer in den 80er politisiert wurde, hat heutzutage den Vorteil, dass einem die atomaren Drohgebärden der Staatenlenker relativ vertraut sind. Auch damals wich die Angst der Routine. Die atomare Gefahr war in der Welt, mehr aber auch nicht.

    Der damalige Umgang damit sollte sich auch auf das heutige Szenario übertragen lassen.

    Es ist schlimm genug, dass diese Waffen noch immer in der Welt sind und es wäre das falsche Signal wenn sich die Angst vor einer atomaren Eskalation im Alltag der Menschen wiederspiegeln würde.

    Denn eines wäre nicht nur von Seiten der Politik fatal, Erpressern wie Putin aus Angst vor einer atomaren Bedrohung nachzugeben oder sie zu hofieren.

    • @Sam Spade:

      Der Mann denkt in Judo. Dann soll er es doch machen. Ich glaube nicht dass viele länger als eine Dusche lang Angst haben. Eher wird diese Angst ständig medial und mit Gewinnerzielungsabsicht an uns ausgestrahlt und zieht Menschen in eine Angst-Bubble. Im schlimmsten Fall würden Jugendliche Content-Creator mit den Aufnahmen zusammen mit US-Onlineportalen und sämtlichen Medien viel Geld machen und sich von den Werbeeinnahmen für 10 Sekunden in den Weltraum schießen lassen.

    • @Sam Spade:

      Ich stimme Ihnen zu: Mir geht es wie Ihnen, mich lassen die Atomdrohungen kalt. Nicht nur, weil ich mit der andauernden Bedrohung aufgewachsen bin, sondern auch weil ich verstanden habe, wie die Philosophie hinter Putins Hybridem Krieg funktioniert und was ihre Ziele sind (für die Ukraine andere als für Neo-Eurasien).



      Leider geht es nicht allen so wie Ihnen und mir, und gerade bei vielen Menschen Ü50 schliesst Putins Kriegsrhetorik an längst vergessene Ängste an. Die kämpfen dann wieder im Kalten Krieg während Putin mit seinem Atomgerassel auf ihrer Ängsteklaviatur Hämmerchen-Polka spielt.

    • @Sam Spade:

      Wer in den 80ern politisiert wurde demonstrierte mit der Friedensbewegung gegen den Nato-Doppelbeschluß.



      Und hatte damals berechtigterweise genauso viel Angst vor diesen Waffen wie viele Menschen heutzutage.



      Nur Narren entwickeln hier „Routine“

  • Ich hatte das Statement schon zu einem anderen Artikel geschrieben, wiederhole es jedoch noch einmal, weil es auch zu dieser Veröffentlichung passt:

    Wenn ich mir die Nachrichten über die Abänderung der russischen Nukleardoktrin anschaue, die Aushändigung von Kriegshandbüchern in Schweden, die Aussage von Karl Schlögel über das bereits eingetretene Vorkriegszeitalter sowie die Gespräche von Pistorius jetzt mit Unternehmen über die Ausbildung von LKW-Fahrern für den Kriegsfall, habe ich keine Hoffnung, sondern allerschlimmste Befürchtungen und Angst, dass es spätestens nächstes Jahr knallt! Sehe das nur ich so?