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Putins AtomdrohungenAngst auf allen Seiten

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Die einen werden als „Putinknechte“ beschimpft, die anderen als „Kriegstreiber“. Aber die Furcht vor einem dritten Weltkrieg treibt beide Seiten um.

Der Alptraum vom Ende der Welt, wie wir sie kennen Foto: Panthermedia/imago

W er in den 80er Jahren politisiert wurde, kennt sie noch zur Genüge: die Angst vor dem Dritten und mutmaßlich atomaren Weltkrieg. Jetzt ist sie wieder da, und sie wird täglich lauter geschürt. Vor allem, aber nicht nur von Putin und seinen immer neuen Nukleardoktrinen.

Obwohl allen sonnenklar ist, dass Putin aus taktischem Kalkül mit voller Absicht auf diese tief sitzenden Ängste setzt, um den Westen einzuschüchtern, fällt es den meisten Menschen schwer, damit rational umzugehen. Wie auch? Da es sich bei Angst um ein Gefühl handelt, lässt sie sich nur sehr begrenzt vom Kopf steuern. Und da niemand wissen kann, was noch passieren wird, lassen sich Ängste nicht einfach ausräumen. Die einen sind weniger anfällig für Sorgen, die anderen mehr.

Ob sie berechtigt sind, lässt sich nicht mit Fakten widerlegen, da über die Zukunft leider keine Fakten vorliegen. Was aber folgt daraus? Zunächst einmal vielleicht die Einsicht, dass in den Debatten über die möglichen Risiken im Kampf gegen Russland keine Seite eindeutig recht hat. Die Befürworter und Gegner von verstärkten Waffenlieferungen an die Ukraine können höchstens Wahrscheinlichkeitsrechnungen versuchen.

Schwierige Abwägungsfragen

Die einen befürchten, dass Putin mit einem Atomschlag reagieren werde, wenn ihn der Westen zu sehr in Bedrängnis bringt. Die anderen halten das für übertrieben ängstlich und beschuldigen die Besorgten, vor Putins Drohgebärden einzuknicken und die Ukraine damit im Stich zu lassen. Aus ihrer Sicht sind sogar Landminen legitim, um Putins Aggression abzuwehren. Wenn sie ehrlich wären, müssten allerdings auch die härtesten Verteidiger der Ukraine zugeben, dass auch sie nicht ganz ohne Angst vor einer Eskalation agieren. Sonst hätte die Nato längst direkt eingegriffen oder Kyjiw erlaubt, Moskau zu bombardieren. Wann genau das Risiko zu groß wird, weiß und sagt deshalb niemand.

Auch die Aufrüstungsbefürworter appellieren selbst an Ängste – vor Angriffen Putins auf Nato-Länder, wenn er nicht in der Ukraine aufgehalten wird. Die Aufrüstungsgegner wiederum halten diese Angst für übertrieben, haben aber keine Antwort auf die Frage, wie Putin ohne militärische Mittel abgeschreckt und wie die Ukraine sonst vor der totalen Besetzung geschützt werden kann.

All das sind schwierige Abwägungsfragen. Nur eins ist sicher: Um gegen Putin bestehen zu können, müssen die Demokratien demokratisch bleiben, unterschiedliche Einschätzungen zulassen und respektieren. Kampfbegriffe wie „Kriegstreiber“ und „Putinknechte“ tragen nur zur Spaltung bei, die sich der Aggressor Putin wünscht.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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7 Kommentare

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  • Wenn sie ehrlich wären, müssten allerdings auch die härtesten Verteidiger der Ukraine zugeben, dass auch sie nicht ganz ohne Angst vor einer Eskalation agieren. Sonst hätte die Nato längst direkt eingegriffen oder Kyjiw erlaubt, Moskau zu bombardieren.

    Das dürfte nicht an der atomaren Drohung liegen, sondern ganz grundsätzlich in einen Krieg hineingezogen zu werden.

  • Ich war Anfang der 80er bei der Bundeswehr und bin mit dieser Bedrohung quasi groß geworden.



    In unserem Lazarett drehte sich alles um eine mögliche "rote Bedrohung" und es wurden diverse Szenarien durchgespielt.

    Ich glaube daran, daß Putin hier nur gegen den Westen Drohgebärden ausspuckt - gegen die Ukraine aber durchaus Ernst machen könnte!

    Was mich stört ist die Rhetorik:



    Putin und seine Vasallen reden immer von "Verteidigung", "ukrainischer Berdohung" und jetzt aktuell von "westlichen Kriegstendenzen".



    Irgendwie vergisst er dabei, daß er derjenige ist, der den ganzen Schlamassel angezettelt hat.

    Und ich wünschte mir etwas mehr Härte im Umgang mit Putin (nicht Russland, denn das russische Volk wird hier nur benutzt).



    Es ist schon sehr bedrohlich, daß in Kaliningrad russische Marine stationiert ist - warum wird hier mal nicht eine härtere Gangart eingelegt?

    Auf jeden Fall sind die 80er wieder voll im Gange und ich bin froh, daß ich mit diesem Szenario gelernt habe, umzugehen.

    • @Juhmandra:

      Irgendwie vergisst er dabei, daß er derjenige ist, der den ganzen Schlamassel angezettelt hat.



      Und ich wünschte mir etwas mehr Härte im Umgang mit Putin (nicht Russland, denn das russische Volk wird hier nur benutzt).

      Das sieht Putin anders. Er ist sicher überzeugt im Recht zu sein und das 1990 alles zum Nachteil Russlands lief. Wenn Sie immer weiter in die Vergangenheit gehen, können Sie immer eine Rechtfertigung für alles finden. Das macht Putin und wahrscheinlich glaubt er es mittlerweile selbst. Ob das russische Volk so unschuldig ist, ist für mich zweifelhaft. Viele dürften den Krieg gut heißen, schließlich zeigt man es mal dem Westen.

  • Ziitat: "Auch die Aufrüstungsbefürworter appellieren selbst an Ängste – vor Angriffen Putins auf Nato-Länder, wenn er nicht in der Ukraine aufgehalten wird. Die Aufrüstungsgegner wiederum halten diese Angst für übertrieben, haben aber keine Antwort auf die Frage, wie Putin ohne militärische Mittel abgeschreckt und wie die Ukraine sonst vor der totalen Besetzung geschützt werden kann."

    Angst, würde ich das nicht nennen, sondern eher ein realistisches Szenario. Freilich eines von mehreren. Putin mußte im Interesse seines Machterhalts das Vaterland immer irgendwo und gegen irgendwen verteidigen. Das konnte man über die Jahre immer wieder beobachten.

    Es ist aber auch extrem kurzsichtig, sich zurückzulehnen, weil Putin wahrscheinlich eher nicht gleich als Nächstes Berlin beschießen und auf Rügen anlanden lassen werde. Deutschland hat Bündnisverpflichtungen und stünde, fast egal, wo es als nächstes krachen würde, ob seiner geografischen, demografischen und wirtschaftlichen Größe in Europa in der ersten Reihe.

    Man sollte also fragen dürfen, welcher Plan dahinter steckt, Einladungen an Putin richten und sämtliche Strategien für den Fall, daß er die annehmen wird, vereiteln zu wollen.

  • "Um gegen Putin bestehen zu könnem, müssen die Demokratien demokratisch bleiben, unterschiedliche Einschätzungen zulassen und respektieren."



    Ziemlich genau.



    Ich kann spätestens seit den erbitterten Wortgefechten für und wider Leopardpanzern den Respekt nicht mehr genau erkennen.



    Wir bewegen uns in Richtung Autokratie.

    • @poesietotal:

      Wir bewegen uns in Richtung Autokratie.

      Nur wenn Wagenknecht an die Macht kommt.

  • Wer in den 80er politisiert wurde, hat heutzutage den Vorteil, dass einem die atomaren Drohgebärden der Staatenlenker relativ vertraut sind. Auch damals wich die Angst der Routine. Die atomare Gefahr war in der Welt, mehr aber auch nicht.

    Der damalige Umgang damit sollte sich auch auf das heutige Szenario übertragen lassen.

    Es ist schlimm genug, dass diese Waffen noch immer in der Welt sind und es wäre das falsche Signal wenn sich die Angst vor einer atomaren Eskalation im Alltag der Menschen wiederspiegeln würde.

    Denn eines wäre nicht nur von Seiten der Politik fatal, Erpressern wie Putin aus Angst vor einer atomaren Bedrohung nachzugeben oder sie zu hofieren.