Publizist Fücks über Putins Krieg: „Protest von unten reicht nicht“
Ruiniert sich Putin mit dem Ukrainekrieg selbst? Der Grünen-Politiker Ralf Fücks sieht das so. Aber um die Ukraine zu retten, müsse der Westen nun handeln.
taz: Herr Fücks, als Sie 2017 das Zentrum Liberale Moderne gründeten, sahen sie die Ukraine bereits als Schlüsselstaat in der Auseinandersetzung um die westliche Demokratie. Warum?
Ralf Fücks: Schon mit den Maidan-Protesten 2014 wurde die Ukraine zum zentralen Schauplatz für die Auseinandersetzung zwischen der europäischen Demokratie und dem Autoritarismus. Das ganze Szenario war damals schon sichtbar. Die russische Annexion der Krim, die verdeckte Militäroperation in der Ostukraine – es wurde klar, dass Putin die Ukraine nicht gewaltfrei ziehen lassen würde. Damals war die Begeisterung über den demokratischen Aufbruch auf dem Maidan groß. Aber die Europäer haben nicht realisiert, dass er in einen massiven Konflikt mit dem Kreml führen wird. Für Putin ist die Ukraine das Kronjuwel des russischen Imperiums.
Wie wäre der zu lösen gewesen?
Wenn man vor einem Nato-Beitritt der Ukraine zurückschreckt, dann blieb ein Beitritt zur EU, und zwar Fast-Track. Dazu hätte gehört, die Ukraine militärisch so zu stärken, dass sie in der Lage ist, Putin ernsthaft vor einem Angriff abzuschrecken. Zu glauben, man könnte die Westintegration der Ukraine vorantreiben, ohne ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken, war bestenfalls naiv.
Sie haben früh gewarnt. Wie hat man bei den Grünen darauf reagiert?
Es gab schon viel Sympathie für den demokratischen Aufbruch in der Ukraine. Der Maidan war ja eine proeuropäische und antiautoritäre Revolte. Aber es fehlte die Einsicht, dass wir nicht Solidarität mit der Ukraine und ihrem Weg nach Europa üben und ihr gleichzeitig die Mittel zur Selbstverteidigung verwehren können. Große Teile der deutschen Politik wollten nicht realisieren, welches Monster wir mit unseren Energie-Euros gefüttert haben – dass Russland sich unter Putin in eine revanchistische Macht verwandelt hat. Er will Revanche für 1990, für den Zerfall der UdSSR. An den Kriegen in Syrien und Georgien konnte man sehen, dass Putin sich an keinerlei Regeln des Völkerrechts mehr bindet und auch keine Grenzen in der Anwendung von Gewalt kennt. Übrigens gab es bei den Grünen mehr Stimmen als in anderen Parteien, die davor gewarnt haben.
ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und hat zusammen mit seiner Frau Marieluise Beck das Zentrum Liberale Moderne gegründet. Er veröffentlicht Aufsätze und Sachbücher zu nachhaltiger Entwicklung, politischer Strategie und internationaler Politik.
Aber es gab auch Gegenstimmen. Wurden die Warnungen vor zu viel Nachgiebigkeit gegenüber Putin im grünen Milieu als Hindernis für eine rot-rot-grüne Koalition aufgefasst?
Ja, das ist ja klar, Rot-Rot-Grün wäre außenpolitisch das komplette Gegenteil. Ausnahmsweise gebe ich Gregor Gysi recht, wenn er sagt, wir können froh sein, dass es gerade keine R2G-Regierung gibt.
Auch in der SPD und der CDU gab es starke Fraktionen, die die Nähe zum Kreml gesucht haben. Wer hat aus Ihrer Sicht dabei den größten Schaden angerichtet?
Ich will da keine Rangliste aufstellen. Es war ein fatales Zusammenspiel aus Furcht vor einem Konflikt mit Russland – die ja nicht unbegründet ist – mit einer naiven Vorstellung von Dialog als Allheilmittel, als könne man alle Konflikte durch Kompromisse und Geld lösen. Diese Vorstellung saß sehr tief in der deutschen Politik. Hinzu kamen ökonomische Sonderinteressen, vor allem die „Energiepartnerschaft“ mit Russland. Man konnte prima Geschäfte machen und sich dabei der Illusion des Wandels von Annäherung hingeben.
Gab es Punkte, an denen Sie ein Umdenken erwartet hatten – etwa der Tiergarten-Mord?
Es gab ja nicht nur den Tiergarten-Mord: Es gab die Nowitschok-Morde, es gab den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine, die Vergiftung Alexander Nawalnys, einen tagelangen orchestrierten Hackerangriff auf den Bundestag. Die Große Koalition ist immer zurückgescheut vor einer harten Antwort. Das hat bei Putin das Bild erzeugt: Der Westen ist schwach, er ist nicht bereit, einen Preis zu zahlen für die Verteidigung seiner Werte und Interessen. Er weicht jedem Konflikt aus. Das hat ihn ermutigt, mit dem Angriff auf die Ukraine den nächsten Schritt zu gehen.
In vielen EU-Staaten haben sich populistische Bewegungen bei Putin angebiedert und ihn als autoritäres Role-Model gesehen. Welche Folgen wird der Krieg für sie haben?
Ich hoffe, dass es ein Erwachen sein wird, auch für die französischen Präsidentschaftswahlen, und dass ihre Putin-Sympathie den Rechts- und Linkspopulisten jetzt auf die Füße fällt.
Viele warnen, Putins Feldzug würde jenseits der Ukraine weitergehen. Aber die Sanktionen gehen dem russischen Staat schon jetzt an die Substanz. Die US-Bank Morgan Stanley etwa rechnet mit einem Staatsbankrott bis Mitte April. Wie soll Putin unter diesen Umständen weiter Krieg führen können?
Ich gehe auch davon aus, dass dieser Krieg Russland politisch und ökonomisch ruinieren wird, dass Putin sich am Ende an der Ukraine verschluckt. Die Frage ist nur: Wird es dann noch eine Ukraine geben? Das Dramatische ist ja, dass Putin schon zu einem Zerstörungskrieg im großen Stil übergegangen ist, im Stil von Aleppo und Grosny. Er zerstört die Infrastruktur der Ukraine, es gibt schon jetzt eine humanitäre Katastrophe, Lebensmittel werden knapp, die Strom- und Wasserversorgung in den belagerten Städten bricht zusammen. Zu warten, bis Putin irgendwann das Geld ausgeht, könnte für die Ukraine zu spät kommen. Wir müssen der russischen Kriegsmaschine jetzt den Geldhahn abdrehen. Die Sanktionen, die bislang eingeleitet sind, wirken erst mit zeitlicher Verzögerung. Wir stehen aber vor einer kurzfristigen Entscheidung über Leben und Tod.
Wenn Russland sich am Ende an der Ukraine verschluckt – wie würde das genau aussehen?
Das wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, ob ein Zusammenbruch des Putin-Regimes zu einer Liberalisierung Russlands oder zu einer Radikalisierung des russischen Nationalismus führt. Ich würde nicht auf einen kurzfristigen Sturz Putins setzen. Dafür ist der Repressionsapparat zu stark, den er aufgebaut hat. Er hat jeden Ansatz einer organisierten Opposition zerstört, bis hin zur totalen Informationskontrolle.
Wie lange ist die haltbar?
Wenn man nach China blickt, ist eine rigide Kontrolle der Informationssphäre durchaus möglich, solange das Regime die Server kontrolliert und abweichende Meinungen mit harten Strafmaßnahmen verfolgt. In Russland drohen jetzt 15 Jahre Haft für die Kritik an Putins Kriegspolitik. Man darf die Macht des Terrors nicht unterschätzen. Wir müssen mehr Gegeninformation und alternative Informationskanäle bereitstellen, um einen Keil zwischen den Machtapparat und die große Mehrheit der Bevölkerung zu treiben. Protest von unten reicht nicht. Es braucht die Spaltung der Machtelite über die Erkenntnis, dass Putin Russland in den Ruin führt. Das Abschneiden der Energieexporte spielt dabei eine zentrale Rolle. Darüber finanziert sich der ganze Regierungsapparat.
Sie spielen auf Deutschlands Weigerung an, Öl- und Gasimporte zu stoppen.
Es besteht inzwischen weitgehend Konsens, dass wir uns so schnell wie möglich aus der Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland befreien müssen. Aber wenn wir Putins Krieg stoppen wollen, müssen wir Putin hier und jetzt den Geldhahn abdrehen. Man könnte zumindest mit partiellen Sanktionen gegen den russischen Energiesektor beginnen – etwa einem Ölembargo, gemeinsam mit den USA. Eine weitere Option ist die Stilllegung von Nord Stream 1. Letztlich ist die Frage, welchen Preis wir bereit sind zu zahlen für die möglichst schnelle Beendigung eines Krieges, der immer stärker Völkermordcharakter bekommt.
Was folgt daraus für Sie?
Dieser Krieg hat für mich die gleiche Dimension wie Covid oder der Klimawandel. Wir haben bei Covid massive Einschränkungen hingenommen und bringen 300 Milliarden auf, um die ökonomischen Folgen abzufedern. Wir sind bereit, Hunderte Milliarden für den European Green Deal auszugeben. Der Krieg in der Ukraine entscheidet über die Zukunft Europas. Wir wissen nicht, wo Putin haltmachen wird, wenn er den Westen als schwach erlebt. Ob er als Nächstes die Nato im Baltikum testet oder einen Landkorridor nach Kaliningrad reklamiert. Wenn wir jetzt nicht bereit sind, den Preis zu zahlen, um Putin zu stoppen, könnte er in Zukunft sehr viel höher sein.
Anfang Februar sagten Sie der Zeit: „Ich halte Putin trotz allem für einen kühl kalkulierenden Machtpolitiker.“ Ist das immer noch so?
Ich weiß nicht, wie er reagieren wird, wenn er mit dem Rücken an der Wand steht und realisiert, dass er sich völlig verrechnet hat mit der Vorstellung, die Ukraine würde ihm in den Schoß fallen. Aber ich denke immer noch, dass er Kosten und Risiken kalkuliert. Das ist die Logik, in der man mit ihm kommunizieren muss. Putin versteht nur die Sprache der Macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch