Proteste bei Nan Goldin: Logiken des Boykotts
Das Gebrülle in der Nationalgalerie macht deutlich, dass die Israel-Boykottbewegung an einem ernsthaften Dialog nicht interessiert ist.
![Klaus Biesenbach von hinten. Dahinter palästinensische Fahnen im Publikum Klaus Biesenbach von hinten. Dahinter palästinensische Fahnen im Publikum](https://taz.de/picture/7372650/14/37077368-1.jpeg)
M an kann es amüsant finden, wenn eine international erfolgreiche Künstlerin eine Initiative gutheißt, die sich für den Boykott deutscher Kulturinstitutionen einsetzt, sich aber gleichzeitig von genau so einer Institution in der deutschen Hauptstadt eine große Retrospektive ausrichten und bezahlen lässt.
Es wäre amüsant, wäre die Lage nicht so ernst. Im Nahen Osten herrscht Krieg, von dem niemand weiß, wie er enden soll. Es gäbe viel zu reden über diesen Krieg, seinen gern vergessenen Auslöser, über den Anstieg von Antisemitismus und Islamophobie weltweit.
Doch ernsthafte Versuche, ins Gespräch zu kommen, werden immer wieder untergraben; zuletzt, als sich bei einem geplanten Symposium anlässlich besagter Retrospektive die Absagen derer mehrten, die regelmäßig das Fehlen israelkritischer Stimmen beklagen.
„Warum kann ich nicht sprechen, Deutschland?“, fragte auch jene international erfolgreiche Künstlerin, Nan Goldin, bei ihrer Ausstellungseröffnung in der Neuen Nationalgalerie. Wo sie natürlich auch sprach: Vor vollem Haus hielt Goldin eine Rede, in der sie auf die Gräuel des Kriegs in Gaza und im Libanon verwies, die sie an die Pogrome erinnerten, vor denen ihre Großeltern geflohen waren. Und überhaupt: „Es war Landraub von Beginn an“, stellte sie die Rechtmäßigkeit Israels infrage. Ihre Rede wurde von Jubel begleitet.
Wer im Anschluss indes wirklich nicht sprechen konnte, war Klaus Biesenbach. Der Leiter der Neuen Nationalgalerie wurde niedergebrüllt. Erst als die Protestierenden das Haus verließen, konnte Biesenbach erneut beteuern, dass er mit Goldin nicht übereinstimme, ihr Recht auf Meinungsäußerung jedoch unterstütze.
Im Grunde ist der Abend also verlaufen wie von allen erwartet: Ein bisschen Protest, ein bisschen kalkulierte Provokation, kurzzeitig talk of the town, so läuft das eben dieser Tage im Kulturbetrieb. Nur über die Realität im Nahen Osten spricht man wieder nicht. Und wenn schon über die Frage, wer hier eigentlich wen reden und ausreden lässt, derart große Unklarheit herrscht, ist davon auf absehbare Zeit wohl auch nicht mehr auszugehen.
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