Protestaktionen der Letzten Generation: Lasst es uns besser machen!
Die Kritik an der letzten Generation wirft die Frage auf: Wer hat eine bessere Idee? Bis dahin gilt es die Aktivist:innen zu unterstützen.
E rst das Regierungsviertel, dann ganz Berlin lahmlegen – so lautet der ambitionierte (und vielleicht auch ein wenig verzweifelte) Plan der Letzten Generation. Die Gruppe ruft alle Klimaaktivist:innen dazu auf, nach Berlin zu kommen, um die „Stadt zum Stillstand“ zu bringen – und das solange, wie es eben möglich ist. Mittlerweile haben sich über 700 Aktivist:innen aus ganz Deutschland angemeldet. Los geht es am Mittwoch mit einem gemeinsamen Brunch, Aktionsinfos, Protest und Legal-Trainings. (Mittwoch, 19. April, 9 Uhr, St. Thomas Kirche am Mariannenplatz).
Wie erfolgreich die Klimaaktivist:innen dabei sein werden, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Doch schon jetzt dürfte klar sein, dass analog zur gewaltigen Dimension der Aktion auch die Kritik an der Letzten Generation neue Dimensionen erreichen wird. Und das nicht nur aus dem konvervativ-bürgerlichen Lager, sondern auch von linker und liberaler Seite.
Die einzelnen Kritikpunkte sind dabei sehr vielfältig: Manchen ist die Letzte Generation „zu religiös“, anderen „zu elitär und selbstgerecht“, weil vor allem Arbeiter:innen von den Aktionen betroffen sind. Das grundlegende Argument bleibt dabei immer gleich: Die Letzte Generation würde dem Anliegen des Klimaschutzes im Endeffekt mehr schaden als nutzen, weil sie gesellschaftliche Mehrheiten mit ihren nervigen Aktionen vergraueln würde.
Interessant dabei ist, dass kaum eine der Kritiker:innen eine bessere Idee zu haben scheint, geschweige denn sie auch umsetzt. Gerade Grünen-Politiker:innen wären glaubwürdiger, wenn sie jedes Mal, wenn sie die Letzte Generation kritisieren, im Anschluss ihren Plan erklären würden, wie sie Deutschlands Treibhausgasemissionen in Einklang mit dem Paris-Abkommen bringen wollen. Stattdessen gab es auf politischer Ebene in letzter Zeit in Sachen Klimaschutz fast nur Rückschritte. Es scheint fast so, als würden sie mit der Schelte der Letzten Generation versuchen, über die eigene Ohnmächtigkeit hinwegzutäuschen.
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Bessermachen statt Besserwissen
Auch innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung dürfte allen klar sein, dass es nicht die finale Entwicklungsstufe der politischen Protestkultur sein kann, den Berufsverkehr für ein paar Stunden zu blockieren und dafür ein halbes Jahr in den Bau zu wandern. Doch die traurige Wahrheit ist: Es ist die wirksamste Aktionsform, die wir gerade haben.
Der Kampf um Mehrheiten ist in der Klimakrise vor allem ein Kampf gegen die gesellschaftliche Verdrängung geworden. Die Verdrängung der Tatsache, dass der fossile Kapitalismus, auf dem Deutschlands Wohlstand gründet, so nicht mehr weiter existieren kann. Eigenheimbesitzer:innen, die bei dem Gedanken, sich 2035 eine Wärmepumpe einbauen zu müssen, zu hyperventilieren anfangen, sind nur ein Vorgeschmack darauf, welche Widerstände Klimaschutz in Zukunft überwinden muss.
Der Protest der Letzten Generation ist richtig, weil er gegen diese Verdrängung angeht. Die mehrheitsbemühten Fridays for Future haben sich totgelaufen, linksradikale Formate wie Ende Gelände jucken Energieriesen wie RWE kaum noch – beide sind ignorierbar geworden.
Die Illusion, dass ein „Weiter-so“ auch in den nächsten Jahrzehnten problemlos möglich ist, wird allerdings nicht nur von konservativen Politiker:innen, fossilem Kapital und der Automobilindustrie aufrechterhalten. Auch die meisten von uns tragen aktiv zum gesellschaftlichen Verdrängungsprozess bei, indem sie ihrem Tagwerk nachgehen und so die Normalität des fossilen Wahnsinns aufrechterhalten.
Hilfreicher, als sich ständig an der Letzten Generation abzuarbeiten, wäre also, es besser zu machen. Produktiver als eine Straßenblockade kann da schon sein, seinem beruflichen und familiären Umfeld stärker auf die Nerven zu gehen. Der Kampf gegen die Klimakrise ist nicht die alleinige Aufgabe der Klimagerechtigkeitsbewegung, sondern ein Gesellschaftsprojekt. Auch der Autor dieser Kolumne muss sich fragen, ob sein Beitrag mit steilen Thesen über Klima-Aktivismus alle paar Wochen getan ist. Zum Glück gibt es in Berlin darüber hinaus einige Gelegenheiten, sich politisch zu engagieren:
Biotop in Gefahr
Am Dienstag diskutiert der Stadtentwicklungsausschuss Neukölln die Bebauung des Emmauskirchhofs. Aus dem ehemaligen Friedhof im Süden Neuköllns ist über die Jahre ein artenreiches Biotop geworden. Nun soll es für den Bau von Eigentumswohnungen weitgehend vernichtet werden. Seit einiger Zeit wehrt sich eine Bürger:inneninitiative gegen die Pläne. Sie hofft, die Bezirksverordnetenversammlung überzeugen zu können, gegen die geplante Bebauung zu stimmen (Dienstag, 18. April, 16 Uhr, Rathaus Neukölln).
Die Aktivist:innen des Bündnisses Sand im Getriebe haben sich dem Kampf gegen den deutschen Autokapitalismus verschrieben. Die Tesla-Fabrik in Grünheide und die geplante Erweiterung der Stadtautobahn A100 sind nur zwei der schlimmsten Auswüchse, die es zu stoppen gilt. Für alle, die auch aktiv werden wollen, gibt es diese Woche ein Onboarding im Café Cralle. (Mittwoch, 19. April, 19 Uhr).
Ebenfalls gegen den Weiterbau der A100 richtet sich eine Aktion des Kollektivs Lebenslaute, das mal wieder ein Protestkonzert auf der Stadtautobahn unter dem treffenden Motto „Musizieren statt Betonieren“ veranstaltet (Sonntag, 23. April, 13 Uhr, auf der A100 nahe S Tempelhof).
Zu guter Letzt lassen sich all diese Fragen am besten mit anderen Klimabewegten diskutieren. Die Letzte Generation lädt zu einer „großen Versammlung“ am Brandenburger Tor ein. Die angemeldete Kundgebung mit dem Titel „Klimakollaps verhindern, Grundrechte schützen“ soll auch ein Zeichen dafür sein, dass sich die Klimagerechtigkeitsbewegung trotz strategischer Differenzen nicht spalten lässt (23. April, 15 Uhr, Brandenburger Tor).
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