Pfarrer gegen Seenotrettung: „Migranten ertrinken lassen“

Ein Nürnberger Pfarrer hält es für vertretbar, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Damit steht er in seiner Kirche Gott sei Dank alleine da.

Ein Mann blickt auf das Meerim Hintergrund ein Rettungsschiff

Gerettet: ein Flüchtender an Bord der „Open Arms“, 9. September 2020 Foto: Santi Palacios/ap

Selten wird ein Beitrag im Korrespondenzblatt des bayrischen Pfarrer*innenvereins Wellen geschlagen haben wie dieser. „Ein Christ kann ertrinken lassen“, steht über dem Text des Nürnberger Pfarrers Matthias Dreher in der Oktoberausgabe des Kirchenblatts, welcher der taz vorliegt. Die Nürnberger Nachrichten hatten zuvor über den Beitrag berichtet.

Drehers These: Es sei für Christ*innen durchaus ethisch vertretbar, Menschen, die sich auf der Suche nach einem besseren Leben „bewusst“ in Lebensgefahr brächten, nicht zu retten. „Im Zuge der Zwei-Reiche-Lehre, die operative Struktur-Politik dem Staat überlässt“, schreibt der evangelische Gemeindeleiter, „kann ein Christenmensch, soweit er nicht wie der Samariter einen Sterbenden vor sich sieht, Verantwortung vernachlässigende Migranten ertrinken lassen.“ Dreher bezieht sich damit auf die Unterscheidung zwischen einer religiösen und einer weltlichen Sphäre in der lutherischen Theologie sowie auf die neutestamentliche Erzählung vom „Barmherzigen Samariter“ – beides Gegenstände kontroverser theologischer Debatten.

In seinem Text kritisiert Dreher auch die Kirchenleitung für ihre Haltung, dass Seenotrettung ein „Ausbund christlicher Verantwortung“ sei. Tatsächlich finanzierte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) das Rettungsschiff „Sea-Watch 4“ mit. Hochrangige Kirchenvertreter*innen sprechen sich immer wieder gegen das Sterben im Mittelmeer aus. Dieser Umstand könne „zur Vermutung einer ‚hidden agenda‘ der Seenotretter“ verleiten, so Pfarrer Dreher.

Pfarrkolleg*innen und der bayrische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm haben sich bereits von Drehers Thesen distanziert. Am Montagabend reagierten die evangelischen Dekan*innen Nürnbergs mit einem gemeinsamen Statement. „Unter gar keinen Umständen darf man Menschen ertrinken lassen. Aus christlicher Sicht ist diese Forderung bedingungslos“, heißt es in der Erklärung.

Drehers Thesen müsse widersprochen werden, sagte Bischof Bedford-Strohm am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa. Dies gelte im Hinblick auf die Fakten und auch die Theologie. „Sein Argument fußt auf der Behauptung, die Seenotretter seien der Grund dafür, dass Menschen die Überfahrt über das Mittelmeer riskierten. Diese Behauptung ist widerlegt“, betonte der Oberhirte. Die Kirchenleitung wolle Dreher nun zu einem Gespräch treffen, sagte ein Kirchen-Sprecher.

Das Korrespondenzblatt fungiere als „altmodischer Chatroom“ für das innerkirchliche Gespräch, sagte Redaktionsleiter Martin Ost am Dienstag der kirchennahen Plattform evangelisch.de. Ost hatte Drehers Text mit einem redaktionellen Anhang veröffentlicht, der einige Fakten richtigstellt. Er habe seit langem „das dumpfe Gefühl“, dass es unter den Kollegen welche gebe, die dem bürgerlichen Teil der AfD nahestünden, so der Ruhestandspfarrer. Auf Kolleg*innen, „die uns ständig ins Bein schießen“, wird seiner Ansicht nach kirchlicherseits zu viel Rücksicht genommen.

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