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Palästinenserin und Jude über den Krieg„Frieden ist möglich und nötig“

Gibt es einen Ausweg aus dem Nahostkrieg? Ja, sagen die Palästinenserin Rula Daood und der Jude Alon-Lee Green von der Bewegung Standing Together.

„Unsere Menschlichkeit steht auf dem Spiel“: Rula Daood und Alon-Lee Green von Standing Together Foto: Doro Zinn
Dinah Riese
Interview von Dinah Riese

wochentaz: Frau Daood, Herr Green, Ihre palästinensisch-jüdische Bewegung „Standing Together“ setzt sich in Israel für Frieden ein. Ist das mitten in einem solchen Krieg überhaupt möglich?

Im Interview: Rula Daood und Alon-Lee Green

Rula Daood, 38, ist Co-Direktorin von Standing Together. Daood ist Logopädin und stammt aus Kufr Jasif in Galiläa.

Alon-Lee Green, 36, ist Co-Direktor und Gründungs­mitglied von Standing Together. Schon bei den Sozial­protesten in Israel 2011 spielte Green eine führende Rolle.

Alon-Lee Green: Es ist natürlich schwieriger geworden. Aber eine Krise diesen Ausmaßes ist auch ein Moment der Klarheit: Wir haben verstanden, dass dies unsere Lebensaufgabe ist. Wir haben uns noch nie sicher gefühlt in unserem Land.

Was meinen Sie damit?

Green: Ich wurde zwei Tage nach dem Beginn der ersten Intifada geboren. Ich hatte meine Bar Mitzwa während der zweiten Intifada. Mein Bruder und ich durften als Kinder wegen der Gefahr von Attentaten nicht Bus fahren, wir sind stattdessen 25 Minuten zur Schule gelaufen. Das ist nicht normal. In den letzten anderthalb Jahrzehnten dann folgte Krieg auf Krieg auf Krieg, und das Ergebnis war immer das gleiche: unzählige Tote, und mehr und mehr Hass auf beiden Seiten. Aber keine Sicherheit, für niemanden. So kann es nicht weitergehen.

Standing Together

Die jüdisch-palästinensische Graswurzelbewegung mobilisiert in Israel seit 2016 für Frieden, Gleichheit, soziale und Klimagerechtigkeit. Die Di­rek­to­r:in­nen von Standing Together waren kürzlich zu Gast im taz Talk. Eine Aufzeichnung des Gesprächs ist zu finden auf taz.de/standingtogether

Rula Daood: Wir alle sind am 7. Oktober vom Dröhnen der Sirenen aufgewacht. Ich habe an diesem Tag stundenlang versucht, eine Freundin zu erreichen, die auf das von der Hamas angegriffene Festival in der Wüste wollte. Eine Palästinenserin. Sie ging nicht ans Telefon. Irgendwann hat sie doch geantwortet, und ich war so erleichtert zu hören, dass sie nicht gefahren war. Diese Tage waren traumatisierend für uns alle. Auch wir als Aktivisten waren paralysiert. Aber dann wurde uns klar: Unsere Arbeit ist wichtiger denn je.

Sie sind als palästinensische Bürgerin Israels doppelt betroffen.

Daood: Ja, zwei Tage nach dem 7. Oktober kamen die Bilder aus Gaza dazu: Tote Kinder, Mütter, die ihre Babys im Arm halten – und ich hatte in Israel keinen Raum, das zu betrauern. Diese Räume haben wir mit Standing Together dann selbst geschaffen.

Wie muss man sich das vorstellen?

Daood: Wir bringen die zusammen, die einen anderen Weg gehen wollen. Die verstehen, dass man die Hamas nicht zerstören kann, indem man Gaza in Grund und Boden bombt. Wir haben Kundgebungen organisiert, auf der Menschen ihrer Angst und ihrem Schmerz Raum geben konnten, Juden wie Palästinenser. Wir wollen zeigen, dass man Dinge zusammen erreichen kann. Wir haben zum Beispiel in gemischten Teams öffentliche Luftschutzräume aufgeräumt und ausgestattet, und wir haben eine Hotline eingerichtet für Menschen, die Rechtsberatung brauchen. Denn dieser Tage verlieren Menschen ihren Job oder werden verhaftet, wenn sie lediglich das Leid der Menschen in Gaza benennen.

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Welche Reaktionen erleben Sie auf Ihre Arbeit?

Green: Natürlich werden wir auch angefeindet. Für die israelische Rechte ist es schon Verrat, über Frieden nur laut zu sprechen. Aber wir stehen hier an einem Scheideweg. Und mein Gefühl ist: Immer mehr Menschen in Israel verstehen gerade, dass wir nicht weitermachen können wie bisher. Es ist auch eine Chance.

Daood: Standing Together hat so viel Zulauf wie noch nie. Die Zahl unserer Aktivisten hat sich seit dem 7. Oktober verdoppelt. Vor allem junge Palästinenser kommen gerade neu zur Bewegung.

Wann haben Sie Standing Together gegründet?

Green: Das war 2016, während der sogenannten Messer­intifada. Damals eskalierte die Gewalt innerhalb Israels. Keine der Parteien hatte den Menschen eine echte Alternative zu bieten, und gerade die linken Parteien konnten schon lange nicht mehr die Massen mobilisieren. Es gab eine Lücke zu füllen.

Warum haben Sie dann keine Partei gegründet?

Daood: Um die Realität zu ändern, müssen die Menschen ihre Perspektive verändern. Das geht nicht von oben. Als Graswurzelbewegung verstehen wir es als unsere Aufgabe, von unten zu wirken. Wir müssen den Menschen zeigen, dass es einen anderen Weg gibt als den, den Premierminister Netanjahu seit Jahren als den einzig möglichen vorgibt. Dass Frieden möglich und nötig ist.

Standing Together fordert einen Waffenstillstand. Gleichzeitig beschießt die Hamas weiterhin Israel und hat klar gemacht: Sie wird das Land wieder und wieder angreifen, bis es vernichtet ist. Muss Israel sich da nicht verteidigen?

Green: Natürlich muss ein Land seine Bürger verteidigen. So sehr ich gegen diesen Krieg bin: Am 7. Oktober hätte ich sofort eine Uniform angelegt, eine Waffe in die Hand genommen und versucht, die Menschen im Süden vor den Terroristen zu schützen, die ins Land eingedrungen sind. Aber was bringt das, was wir seither tun? Kann man die Hamas vernichten, indem man in Gaza Hunderte Menschen mit einem einzigen Luftangriff tötet? Was ist die Idee für den Tag nach den Kämpfen? Die Hamas existiert nicht nur in Gaza, und sie ist nicht nur eine Terrororganisation. Die Hamas ist eine Idee. Und am Ende des Tages wird Israel sie durch dieses Blutvergießen nur stärken.

Daood: Wir, und damit meine ich die Menschen in Israel und Palästina, müssen verstehen: Unsere Schicksale sind miteinander verwoben. Es wird keine Sicherheit für die Israelis geben ohne Befreiung der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen. Es wird aber auch keine Befreiung der Palästinenser geben ohne Sicherheit für Israel. Auf diesem Land leben Millionen Palästinenser und Millionen Juden, und egal was manche sich vorstellen: Sie werden bleiben. Das ist unser aller Zuhause. Und wir kämpfen dafür, dass alle Menschen hier in Sicherheit, Freiheit und Unabhängigkeit leben können.

Und was muss aus Ihrer Sicht jetzt passieren?

Green: Wir müssen so viele Leben retten wie möglich. Das heißt: die Geiseln nach Hause bringen und das Blutvergießen beenden. In diesem Krieg verlieren wir alle. Israel konnte mit militärischen Mitteln in über 50 Tagen eine einzige Geisel befreien – zum Preis Tausender toter Zivilisten. Aber in rund einer Woche Waffenstillstand wurden über 100 Geiseln befreit. Wir müssen zurück an den Verhandlungstisch. Der Kurs der israelischen Regierung aber ist genau das Gegenteil. Unsere Minister erzählen, es gäbe in Gaza keine unschuldigen Zivilisten, dass die Kinder von heute die Terroristen von morgen sind. Israel ist im Krieg, aber wir als Gesellschaft sind es auch.

Wie meinen Sie das?

Green: Auf dem Spiel steht nicht weniger als unsere Menschlichkeit. Wenn wir die verlieren, dann verlieren wir auf Generationen die Möglichkeit, hier ein normales Leben aufzubauen – auf beiden Seiten.

Wie haben Sie die interna­tio­nalen Reaktionen auf den 7. Oktober wahrgenommen?

Daood: Ich war enttäuscht. Die internationale Gemeinschaft hat sich so radikalisiert, seien es Regierungen oder die Zivilgesellschaften. Jeder stellt sich auf eine Seite, entweder Pro-Israel oder Pro-Palästina. Aber das hat mit unserer Realität und unseren Zielen wenig zu tun. Wir sehen nicht Seiten, wir sehen Menschen. Es ist einfach, in Berlin oder London zu sitzen und sich für palästinensische Befreiung auszusprechen.

Was erwarten Sie stattdessen?

Daood: Wir brauchen die internationale Gemeinschaft, wir wollen, dass Druck auf die israelische Regierung gemacht wird. Aber wir wollen auch, dass die Menschen die Realität hier vor Ort anerkennen. Wenn wir es schaffen, mitten im Krieg diese Komplexität anzuerkennen und die Menschen auf der anderen Seite zu sehen – dann erwarten wir, dass andere das auch schaffen.

Es gibt Menschen, die haben die Verbrechen der Hamas als legitimen Widerstand bezeichnet, mitunter sogar gefeiert.

Daood: Ja, und ich bin so wütend auf diese Menschen. Was die Hamas getan hat, ist unverzeihlich. Das sage ich als Palästinenserin auch, weil dieses schreckliche Massaker dem palästinensischen Kampf schadet. Meine Unabhängigkeit und die meines Volkes wird nicht auf den Leichen junger Menschen und in den Gazastreifen verschleppten Mädchen aufbauen.

Green: Auch die Reak­tio­nen mancher internationaler Linker haben uns entsetzt. Unschuldige Menschen werden umgebracht, und Menschen sagen dazu ernsthaft: „Gaza breaks free“, oder: „Was dachtet ihr, wie Dekolonisierung aussieht?“ Sind das wirklich die Werte, für die wir stehen? All diese Begriffe wie Siedlerkolonialismus verschleiern, dass in Israel Menschen leben. Ja, wir haben die rechteste Regierung in der israelischen Geschichte. Aber wir sind nicht identisch mit ihr, wir haben monatelang gegen diese Regierung protestiert. Ich bin gegen die Besatzung, aber ich bin auch Israeli. Soll ich mich vor einen Hamas-Terroristen stellen und sagen: Bitte erschieß mich, ich bin ein Kolonialist? Fakt ist, dass wir alle auf diesem Land leben, und dass wir eine gemeinsame Lösung finden müssen. Wenn du dazu nicht beitragen kannst, sondern nur interessante, aber völlig realitätsferne Essays über große Begriffe schreiben möchtest: Dann tritt bitte zur Seite, du hilfst uns nicht.

Daood: Wir wollen, dass die Menschen im West­jor­dan­land frei sind von Besatzung und Gaza nicht mehr militärisch abgeriegelt wird. Wir wollen, dass palästinensische Staatsbürger Israels die gleichen Rechte haben wie jüdische. Und deswegen finden wir gut, dass hier in Deutschland und überall Menschen dafür auf die Straße gehen. Wir wollen aber auch Sicherheit für die jüdischen Menschen in Israel. Deswegen bitte, wenn ihr hier eure Stimme erhebt: Erhebt sie für uns alle. Wir alle, Juden und Palästinenser, verdienen ein Leben in Freiheit und Sicherheit.

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40 Kommentare

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  • Danke für diesen wertvollen Beitrag. Ich wünsche den beiden bzw. der "Standing Together" viel Erfolg bei ihrem Engagement!

    Eine Passage möchte ich noch kommentieren: "Ja, und ich bin so wütend auf diese Menschen. Was die Hamas getan hat, ist unverzeihlich." Das Massaker der Hamas war ein brutaler Gewaltakt, den ich nur deswegen nicht Terror nenne, weil ich generell versuche, ohne diesen - oft missbrauchten - Begriff "Terror" auszukommen. Ich verurteile dieses Massaker klar.

    Das Wort "unverzeihlich" aber sehe ich problematisch. Es kann sein, dass ich etwas nicht verzeihen kann. Das kann gut sein und das ist dann meine Grenze. Aber was objektiv unverzeihlich ist, will ich lieber einer höheren Weisheit überlassen. Und da muss ich noch eine Klarstellung anhängen: es hat Jahrhunderte gegeben, in denen viele Menschen unter der Angst vor der ewigen Verdammnis ("Hölle") litten (was wahrscheinlich zur Fanatisierung und zum Kolonialismus beigetragen hat). Wenn ich also oben schreibe, das Maß, was verzeihlich ist, lieber einer höheren Weisheit zu überlassen, so ist es zugleich meine feste Überzeugung, dass es keine Hölle gibt, nur die menschliche Idee, dass es sie geben könnte.

  • Danke für diesen Beitrag und für die Arbeit von Frau Daoud und Herrn Green. Ein, wenn auch kleiner Lichtblick.

  • Wunderbarer Beitrag, je öfter ich ihn lese. Beide bringen es auf den Punkt, ohne Identitäten aufzugeben.



    - Was Green sagt, war bei mir übrigens eigentlich ein Problem bei der Verweigerung. Ich bin der Auffassung, dass Menschen gegen Angriffe auch mit Waffen zu verteidigen sind; auch, dass ich dies tue falls erforderlich. Ich stehe sicher nicht rum und lasse mich oder andere massakrieren. Für Zivis ein Nogo. Andersrum mich einem Kommando zu unterwerfen, was dann "über's Ziel hinausschießt", das war und ist für mich nicht möglich. In einem Land, in dem man entweder eine Waffe tragen durfte und dafür dienen musste, oder unbewaffnet Friedenstauben züchten musste, lief es auf letzteres hinaus. Es hat mir nicht gepasst, in so ein schwarz-weiß-Schema gepresst zu werden.

    • @sachmah:

      Das Thema kenne ich. Ich hatte das Glück, einen klugen Berater gehört zu haben, der klar unterschied: wenn ich den Angriff selber sehe und mit Gegengewalt verteidige, ist es Notwehr bzw. Nothilfe, aber wenn mir ein anderer Mensch sagt, da und da wird ein Mensch angegriffen, dann weiß ich nicht ob's stimmt und dann ist es nicht mehr Nothilfe. Und im Krieg ist es das zweitere. Dort wird nicht nur gesagt, da drüben ist eines in Gefahr, sondern befohlen, dorthin zu schießen.

      Ein prima formulierter Unterschied. Nur mal wiedergegeben für den Fall, dass sowas wieder gebraucht werden sollte.

  • Sie haben recht. Die Frage, ob dabei Europa und USA eher nützlich oder eher hinderlich sind, mit all ihren Facetten und unterschiedlichen einseitigen Vorlieben.

  • Toller Bericht, klasse Diskussion. So etwas liest man selten.

  • Dass nicht weiter über eine Freilassung der Geiseln verhandelt wird, liegt an dem Umstand, dass die Hamas sich nicht an die Abmachungen hält. Wer "zurück an den Verhandlungstisch" möchte, sollte doch wohl berücksichtigen wer die Verhandlungen abgebrochen hat. Israel war es nicht.



    Es war schließlich vereinbart, dass alle Kinder und nicht dem Militär angehörende Frauen zuerst freigelassen werden. Daran hat sich die Hamas aber nicht gehalten.

    "Under the terms of the truce deal, Hamas was to prioritize the release of children and non-soldier women. Israel says 15 women still held by Hamas meet that designation, as well as two children — Ariel Bibas, 4, and Kfir Bibas, 10 months. (...) US National Security Adviser Jake Sullivan said during a separate press conference Monday that, “Hamas is refusing to release civilian women who should have been part of the agreement.”



    “It is that refusal by Hamas that has caused the end of the hostage agreement and therefore the end of the pause in hostilities,” he added referring to the seven-day truce that concluded last Friday."

    www.timesofisrael....-happened-to-them/

    Es wird vermutet, dass die Hamas nicht will, dass die Frauen von ihren Misshandlungen berichten.

  • Es zeichnet die taz über alle Maßen aus, solchen Stimmen Gehör zu verschaffen!



    Danke dafür.

  • „Israel konnte mit militärischen Mitteln in über 50 Tagen eine einzige Geisel befreien – zum Preis Tausender toter Zivilisten. Aber in rund einer Woche Waffenstillstand wurden über 100 Geiseln befreit.“



    Also bitte, diese Argumentation ist doch völlig wohlfeil. Die Israelische Regierung hat sich in 50 Tagen entschlossenen militärischen Handelns doch überhaupt erst in die günstige Verhandlungsposition gebracht, um anschließend vorteilhaft verhandeln und damit Geiseln befreien zu können. Israel und die internationale Staatengemeinschaft müssen für die Zeit nach dem Krieg eine tragfähige Lösung für Gaza finden, damit sowohl Israelis als auch Gaza-Palästinenser in Frieden und Würde leben können (was keine leichte Aufgabe ist). Im gegenwärtigen Augenblick sind Friedensfloskeln überflüssig. Stattdessen ist ein verantwortliches militärisches Vorgehen vonnöten. Ein sofortiger Waffenstillstand ist aktuell nur unter einer Bedingung möglich: eine sofortige und bedingungslosen Kapitulation der Hamas mit Auslieferung aller für das Oktobermassaker verantwortlichen, einschließlich einer Selbstauslieferung der Hamas-Führung in Gaza.

  • Danke für das Interview.

  • Danke, solche Berichte bitte täglich!

  • Die beiden und ihre Initiative sind mutig und geben diesen Mut weiter. In der Hoffnung, dass sich viele weitere anschliessen.

  • Der status quo ist ja anscheinend wirklich: So kann es nicht weiter gehen.

    Der Antiterrorkrieg ließ sich de facto nicht begrenzen auf Gaza-Stadt. Nach den gescheiterten Antiterrorkriegen in Afghanistan und Irak muss mit aller guten Dinge drei nach dem Gazakrieg Schluss sein mit Antiterrorkriegen.

    Terroristen sind Verbrecher. Also müssen polizeiliche Mittel gegen sie eingesetzt werden. Beim heutigen Stand der Terrorismusentwicklung braucht es aber manchmal Einheiten wie die GSG 9, nur eben davon das Release 2.0, das die Herausforderung einer großen Terrorgruppe wie Hamas annehmen kann, gezielt gegen sie vorzugehen. Der Vorteil für die Welt: Von Polizisten gefasste Verbrecher müssen vor Gericht gestellt werden. Wenn da Massenmorde nachgewiesen werden und streng bestraft, hat das eine moralische Wirkung. In Deutschland haben die Nürnberger Prozesse 75 Jahre lang nachgewirkt, aber jetzt wählen immer mehr Deutsche ungehemmt AfD, und wir kommen damit an den Rand des Bruches mit der moralischen Richtschnur, die die Nürnberger Prozesse und später der Eichmann-Prozess und die Auschwitz-Prozesse vorgegeben hatten.

    • @Uwe Kulick:

      Ich gebe Ihnen völlig Recht. Bei den Nürnberger Prozessen muss ich allerdings lachen - nein, weinen, wenn ich sehe, was mit denjenigen Geschehen ist, die zu Haftstrafen verurteilt wurden. Unfassbar bis heute. Ich erinnere mich gut an die Eindrücke, die mir meine Großeltern aus der Zeit geschildert hatten, als sie sahen, wie diejenigen, die federführend waren, ne Weile später wieder in Freiheit kamen. Speziell für einen, der viele Jahre in Sibirien als "einfacher Armeesoldat" war, unverständlich. Nur wenige Kameraden kamen heim, und was sahen sie? Das alte Pack.



      Und von dem Holocaust, den Sinti und Rom, den Homosexuellen, Kommunisten und Andersdenken habe ich nicht gesprochen.Ja aber immerhin war es eine strake Geste. Ein Prozess, eine Konfrontation mit den ganzen gerne-zu-vergessenden-Details ist etwas, mit dem man Kriegsverbrechern und Menschenverächtern beikommen kann,.

    • @Uwe Kulick:

      Der Gedanke der polizeilichen Mittel ist ja interessant, aber abwegig. Die Hamas ist keine kleine Terrororganisation wie die RAF. Selbst die IRA hatte über die Jahrzehnte der Troubles hinweg insgesamt nur ein Drittel der Kämpfer, über die die Hamas zu Beginn des aktuellen Gazakrieges verfügte. Die gesamte israelische Polizei einschließlich der Grenzpolizei hat weniger als 40.000 Beamte. Der bewaffnete Arm der Hamas ist militärisch organisiert, hat weitreichende Waffen und vor allem: Divisionsstärke. Sie ist eine Bedrohung militärischer Dimension.

    • @Uwe Kulick:

      Der Unterschied zwischen den U.S.-amerikanisch angeführten Kriegen und dem jetzigen Geschehen ist, dass zwischen Jerusalem und Gaza keine Entfernung von >10 Tsd. Kilometern besteht, anders als zwischen Washington und Kabul. Wenn Al-Qaida ihr Lager nicht am Hindukusch, sondern in New Jersey aufgeschlagen hätte, wäre vielleicht auch der War on Terror der USA anders verlaufen.

  • Ihr hört es hier zuerst, die Regierungsangehörigen sagen dass es keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Soldaten gibt.

  • Wie schaffen Sie es, in der Situation des Nahost-Konflikts eine gemeinsame Initiative zu gründen und zu betreiben?



    Respekt.

  • Green irrt sich, wenn er meint 50 Tage Krieg hätten eine Geisel befreit und ein Waffenstillstand hätte mehr als 100 Geiseln befreit. Tatsächlich waren 50 Tage Krieg gegen die Hamas nötig um sie so tief in die Knie zu zwingen, dass sie mehr als 100 Geiseln frei lässt. Dazu kommt, dass die Hamas viele der noch gefangenen Geiseln nicht lebend frei lassen wird, weil deren Erlebnisse aus Sicht der Hamas nicht erzählt werden dürfen. Green und Daaod teilen die Perspektive von Aktivisten. Das ist ihr gutes Recht, welches ihnen niemand nimmt. Es macht sie mit ihren Ansichten jedoch nicht zu Realisten. Von daher bleiben sie gut gemeinte Meinungen ohne relevanten Lösungsansatz.

    • @Klaus Kuckuck:

      Und von wem haben Sie einen relevanten Lösungsansatz vernommen?

    • @Klaus Kuckuck:

      Die Sprache des Krieges wird die Hamas stärken. Schon jetzt treten die Verbrechen der Hamas hinter die der Israelischen Regierung. Wenn sie das als Erfolg werten,weiß ich auch nicht weiter, wie sie aus diesen Umstand etwas positives ziehen können.

  • Dass die Mehrheit der Menschen in Israel und Paästina Frieden wollen ist klar. Nur gibt es bestimmte politische Kräfte, die lieber an einem Gewaltfrieden, an einem Herrschaftsfrieden interessiert sind und das ist etwas anderes als Frieden, der auf Gleichheit und Emanzipation aller Menschen gemeinsam beruht.

    Dazu passende: Die Waffenruheresolution der UN ist im Sicherheitsrat am US-Veto gescheitert. Reife Leistung, Biden! Weiter so!

    • @Uns Uwe:

      Das stimmt doch nicht. Auf keiner Seite. Hier wird gerade eine extreme Minderheit interviewt.

      • @Kurt Kraus:

        Ich weiß, das sind wohlbehütete Mittelschichtler, die selber existentiell nicht bedroht sind.

        Aber grundsätzlich ist auch die Masse der Bevölkerung in Israel, in Palästina für einen WIRKLICHEN Frieden mit gerechten und gleichen Lebensverhältnissen für Alle.

        Und es müssen natürlich auch die aktuellen Kriegsverbrechen (beider Seiten) aufgearbeitet werden, aber richtig aufgearbeitet und nicht so larifari wie die vermeintliche Entnazifierung in Deutschland.

        Alles andere wäre kein Frieden. Und da kann ich verstehen, dass die Menschen zu so einem Pseudofrieden NEIN! sagen. Entweder echter Frieden wie beschrieben oder Frieden ist unmöglich.

  • Wunderbar, danke!, es gibt sie noch, die Menschen mit Licht! Selbst im finstersten Kapitel.

    • @Ardaga:

      Das stimmt. Hoffe es wird dort hell. Und anderswo. Mein Gott, was für ein Jahrzehnt.

  • dann brauchen wir wohl mehr berichte aus dem innernen israels. dass hier etwas nebenbei von den interviewten erwaehnt wird: ´dort erzaehlen Minister, es gäbe in Gaza keine unschuldigen Zivilisten, dass die Kinder von heute die Terroristen von morgen sind -



    und dass Menschen ihren Job verlieren oder verhaftet werden, wenn sie lediglich das Leid der Menschen in Gaza benennen. -



    das macht mich sprachlos.

  • "Auf dem Spiel steht nicht weniger als unsere Menschlichkeit. Wenn wir die verlieren, dann verlieren wir auf Generationen die Möglichkeit, hier ein normales Leben aufzubauen – auf beiden Seiten."

    In schwierigsten Situationen ein Mensch bleiben, den eigenen Racheimpulsen nicht nachgeben, gegenseitige Empathie bewahren. Das ist sehr schwierig, aber das ist der Weg.

    Die Lösung kann nur durch gemeinsames Handeln für den Frieden kommen.

    Das haben diese beiden wunderbaren Menschen verstanden.

    Vielen Dank!

  • Danke für diesen wundervollen Beitrag.

  • "Auf dem Spiel steht nicht weniger als unsere Menschlichkeit. Wenn wir die verlieren, dann verlieren wir auf Generationen die Möglichkeit, hier ein normales Leben aufzubauen – auf beiden Seiten."



    "Die internationale Gemeinschaft hat sich so radikalisiert, seien es Regierungen oder die Zivilgesellschaften. Jeder stellt sich auf eine Seite, entweder Pro-Israel oder Pro-Palästina. Aber das hat mit unserer Realität und unseren Zielen wenig zu tun. Wir sehen nicht Seiten, wir sehen Menschen."

    Nur ein paar Sätze aus einem ganz starken und durch die Bank unglaublich reflektierten Interview. Man könnte eigentlich alle zitieren. Obwohl die Beiden direkt betroffen sind, steckt in jeder Zeile dieses hoffnungsvollen Textes mehr Menschlichkeit als in all dem vorgeblich solidarischen Getöse der fahnenschwingenden und parolenschreienden Meinungskrieger



    da draußen.



    Ganz stark!

  • Endlich mal vernünftige Stimmen! Danke!

  • Dieses Interview berührt mich sehr..... ist jedoch diese Herangehensweise realistisch, ich muss leider sagen, kaum. Und das ist sehr tragisch. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass der 7. Oktober das 1. Progrom nach den Nazis war und das dort, wo jüdischen Menschen Schutz zugesagt wurde..... das ist eigentlich das schreckliche, dass man den 7. Oktober nicht zurückschrauben kann.

    • @Leningrad:

      Ich würde es nicht Pogrom sondern Massaker nennen, weil es kein spontaner Angriff aus der Wut eines Mobs war, sondern eine präzise geplante und vorbereitete Aktion einer organisierten Einheit.

  • Ja - da stimme ich absolut zu.



    Frieden ist möglich und nötig!

    Natürlich sind gemeinsame Projekte und Anstrengungen gut.



    Das wird am Ende aber nicht viel bringen, da hierbei auf beiden Seiten gleich- oder ähnlich-gesinnte am Tisch sitzen.

    Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, dass beide Seiten ihre radikalen Flügel in den Griff bekommen. Das kann nicht in Teamarbeit zwischen Palästinensern und Israelis passieren sondern muss von jeder Seite separat durchgeführt werden.

    Während Palestinenser einen Weg finden müssen Hamas und Hisbollah wieder zurück in die Mitte der Gesellschaft zu führen steht Israel der gleiche Weg mit Vertretern von Parteien wie Moledet, Herut Ha-Hadasha, Tekumah und Jisra'el Beitenu bevor.



    Leider lassen sich bei Benjamin Netanjahu keinerlei Anstrengungen in dieser Richtung beobachten.

  • Menschen wie diese beiden machen Hoffnung. Und sie sind nicht allein.



    Danke!

  • Danke. So viel Mut und Klarsicht hinterlässt mich... sprachlos.

    Euch brauchen wir.

    • @tomás zerolo:

      Ich schließe mich an. Und: Wir brauchen sie sehr.

    • @tomás zerolo:

      Mut, Klarsicht und anerkennende Sprachlosigkeit teile und unterschreibe ich gerne

    • @tomás zerolo:

      d’accord - anschließe mich

      • @Lowandorder:

        ebenso.

        alle Menschen sind gleich (viel wert).

        Meinen alten Traum von einem gemeinsamen Staat mit gleichen Rechten für alle in diesem gemeinsamen Gebiet lebenden Menschen habe ich noch nicht ganz verloren.

        Ich weiss, es scheint eine Illusion zu sein.



        Jedenfalls solange auf beiden Seiten die Hardliner so mächtig sind und von den jeweiligen Staatsmächten auch noch unterstützt werden.

        Wie eine Lösung aussehen könnte kann ich mir im Moment nicht vorstellen......

        Dieses gemeinsame Interview gibt ein bischen Mut.